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Wochen-Kurier Verbandsgemeinde Unkel
Ausgabe 34/2022
Aktuelles MUSS
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Rheinbreitbacher hielt Vortrag über "1700+1 Jahre jüdisches Leben in Deutschland"

Klaus-Henning Rosen zeigt Gebetsriemen und Gebete, die im Türrahmen des Hauses Sophie Moses in Rheinbreitbach versteckt waren.

"1700+1 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" - unter dem Titel lud Klaus-Henning Rosen in Kooperation mit der Evangelischen Trinitatis Kirchengemeinde zu einem Vortrags- und Gesprächsabend in das Evangelische Gemeindezentrum in Rheinbreitbach ein. Für die Zuhörer begab er sich auf die Spuren des jüdischen Lebens in Rheinbreitbach und in Deutschland und kam zu dem Fazit: Grundsätzlich "müssen wir uns noch viel kritischer dem Thema zuwenden". Zunächst hieß Pfarrer Michael Busch die Besucher herzlich willkommen. Busch erinnerte an das bundesweite Festjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland". Ein Edikt Kaiser Konstantins von 321 gelte als ältester Beleg jüdischen Lebens in Europa nördlich der Alpen. Das Judentum in Deutschland habe seitdem eine vielfältige und leider auch immer wieder tragische Geschichte erlebt, betonte Busch, wie wichtig es sei, Erinnerungen wachzuhalten und sich stark zu machen gegen judenfeindliche und rassistische Stimmen. Rosen berichtete von seinen Recherchen über die jüdische Gemeinde in Rheinbreitbach, deren Ergebnisse in das 26. Rheinbreitbacher Heimatheft mündeten. Unter Zuhilfenahme von teils sehr dürftigen Chroniken und Namenslisten sowie weiteren Nachforschungen habe er 250 Namen zusammengetragen. "Mindestens 16 der in Rheinbreitbach geborenen Juden wurden Opfer der Shoa. Elf von ihnen waren allerdings schon bis in die Zwanziger Jahre weggezogen und wurden nicht von Rheinbreitbach aus deportiert. Der Wegzug hing mit der Veränderung der Wirtschaftsstruktur zusammen." Die Anfang der 50er Jahre verfasste Dorfchronik mit lediglich kryptischen Hinweisen zu drei Entschädigungsvorgängen sei ein negatives Beispiel dafür, wie man in der Nachkriegszeit teilweise mit der Aufarbeitung umgegangen sei. Im Landeshauptarchiv lägen Akten über Entschädigungsprozesse jüdischer Erben in Rheinbreitbach. Die meisten seien gescheitert, somit habe gerade in der Zeit, als sich die neue Bundeshauptstadt Bonn bildete, wertvolles Bauland in Rheinbreitbach zur Verfügung gestanden. Hinsichtlich der Shoa-Opfer sagte er: "Wir können hier in der evangelischen Kirchengemeinde das fehlende Begräbnisritual der 16 Shoa-Opfer nicht nachholen", las Rosen stattdessen den 91. Psalm in der Fassung von Martin Buber vor. Bisherige Nachforschungen hätten ergeben, dass es auch Rheinbreitbacher gab, die Juden über Jahre hinweg in ihren Häusern versteckt hielten. Rosen unternahm einen kurzen Exkurs in die Zeit Fürst von Bismarck, der sich zur Erfüllung seiner politischen Ziele der mit Antisemiten "durchseuchten" Partei bediente. "Dem Vernehmen nach war Bismarck selbst kein Antisemit, er hatte jüdische Freunde, die Liberalisierung der jüdischen Bevölkerung machte er nicht rückgängig, aber er brauchte die Mehrheit der konservativen Nationalliberalen im Reichstag", wusste Rosen. Nach dem historischen Exkurs berichtete Rosen unter anderem von der Verfolgung, Einstellung von Strafverfahren und durch Verjährung erlangte Straffreiheit von NS-Tätern in den Sechzigern. Mit Blick auf die jüngsten Strafverfahren sagte Rosen: "Auch wenn noch so gründliche Strafverfahren den Angeklagten kaum zur Einsicht in Schuld bewegen werden und weitere Strafverfahren unwahrscheinlich sind, ist im Ergebnis wohl die Bewertung von Prantl richtig: Wir sind es den Angehörigen schuldig." In der Diskussion wurde bekräftigt, dass die Bildung eine große Rolle zur Bekämpfung heutiger antisemitischer und rassistischer Strömungen spiele.

Simone Schwamborn