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Bad Ems-Nassau aktuell Ausgabe Bad Ems
Ausgabe 39/2023
Öffentliche Bekanntmachungen und sonstige Mitteilungen
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„Stell dir vor, du müsstest deine Heimat verlassen ...“

Jubiläumsveranstaltung zu 30 Jahren Eine-Welt-Arbeitskreis Nassau war zugleich Eröffnungsveranstaltung des Fests der Kulturen in Nassau

„Stellen Sie sich vor, ein afrikanischer Kleinbauer käme zu Ihnen nach Europa und würde Ihnen befehlen, Ihre Heimat zu verlassen!“ So die verzweifelten Worte eines Äthiopiers in dem Film „Das grüne Gold“. Der Film wurde vorgeführt bei der gut besuchten Jubiläumsveranstaltung zu 30 Jahren Eine-Welt-Arbeitskreis Nassau, die zugleich Eröffnungsveranstaltung des Fests der Kulturen in Nassau war. Das grüne Gold, das sind Landwirtschaftsflächen in armen Ländern des globalen Südens. Ein neuer Goldrausch: dieses Land zieht reiche Investoren an wie ein Magnet.

Warum diese Art von Geldanlagen auch als „Landraub“ oder „land-grabbing“ bezeichnet werden und warum sie die weltweite Ungerechtigkeit und die Migration befördern, erfuhren die Besucher an diesem Abend im Film, dem sie mit großer Aufmerksamkeit und Anteilnahme folgten. Am Beispiel von Kleinbauern in Äthiopien erlebten sie, was es bedeuten kann, wenn reiche Investoren in armen Ländern riesige Ländereien erwerben, um dort hochtechnisierte Landwirtschaft zu betreiben: Vertreibung der heimischen Bevölkerung aus ihrer Heimat, aus dem Land, auf dem sie und ihre Vorfahren seit Jahrhunderten gelebt haben. Die häufigen Folgen: Flucht, Elend, Verzweiflung bis hin zu gewaltsamen Konflikten. Und statt die Ernährungslage in den armen Ländern zu verbessern, werden die Produkte dieser agrarindustriell bewirtschafteten Flächen meist in reiche Länder exportiert, denn es geht um rentable Geldanlage. Export von Lebensmitteln aus Ländern, in denen oft Menschen hungern. Und die dann auf Lebensmittelhilfe aus dem Ausland angewiesen sind.

Eröffnet hatte die Veranstaltung und damit das Fest der Kulturen Stadtbürgermeister Manuel Liguori. Nach Worten des Dankes an alle Initiatoren und Unterstützer, hatte er über seine Arbeit im Ausschuss für Migration und Integration des Landtags berichtet. Dr. Christoph Froehlich vom Eine-Welt-Arbeitskreis Nassau (EWA) griff das Thema Migration auf, insbesondere Flucht als erzwungene Migration. „Wo bitte geht’s zu einer solidarischen Welt, in der niemand gezwungen ist seine Heimat zu verlassen?“ - solche Fragen hatten vor 30 Jahren ein Grüppchen von Menschen zusammengeführt, die in Nassau den EWA gründeten. Mit fairem Handel, heute im Weltladen in der Bachgasse, wollten und wollen die MitarbeiterInnen hier ein Zeichen setzen gegen den ungerechten Welthandel – seit langer Zeit eine der bedeutenden Ursachen für Armut, Elend und Fluchtbewegungen im globalen Süden. Seit etwa 2007 sei mit dem „Landraub“, der das Thema des Films ist, eine neue Ursache hinzugekommen.

Oft bleibt das Leid der in armen Ländern Betroffenen namenlos und schwer fassbar, da nur nackte Zahlen genannt werden. Dagegen lernten die ZuschauerInnen im Film Einzelpersonen kennen, die über ihr Schicksal und ihre verzweifelte – jedoch aussichtslose – Hoffnung sprachen, in ihre Heimat zurückzukehren. Die Betroffenheit nach dem Film war daher groß. Und es gab viele Fragen. Glücklicherweise hatte der EWA einen kenntnisreichen Experten zum Thema Landraub gewinnen können: Roman Herre, Agrarreferent der Menschenrechtsorganisation FIAN, die sich besonders für die Verwirklichung des Menschenrechts auf Nahrung einsetzt. Er kennt die Problematik nicht nur theoretisch, sondern auch von regelmäßigen Reisen in betroffene Länder. Unter anderem wurde er schon wiederholt als Sachverständiger im Bundestag geladen. Obwohl es nach dem langen Film schon spät am Abend war, blieben alle Besucher da. Nachdem Roman Herre vertieft Hintergründe des Themas Landraub beleuchtet hatte, ergab sich eine engagierte und lebendige Diskussion. Dabei ging es z.B. um die Ursachen des Landraubs, die durchaus auch in Deutschland zu finden sind, und die teils fragwürdige Rolle der Weltbank als Finnanzierer solcher Projekte. Mehr dazu in einem zweiten Teil dieses Berichts.