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Amtsblatt der Verbandsgemeinde Diez und der Ortsgemeinden
Ausgabe 34/2023
Aus Vereinen und Verbänden
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NABU-Thema im August: Neophyten – besser als ihr Ruf?

Am letzten Wochenende fuhren wir mit der Bahn quer durch Süddeutschland: Auf jedem der zahlreichen Bahnhofsgelände entlang der Strecke fielen uns zwei dominante Pflanzenarten auf; der Sommer- oder Schmetterlingsflieder und der Götterbaum. Auch die Industriebrachen waren von ihnen geprägt.

Beide Arten stammen aus Asien, waren ehemals Zierpflanzen in Parks und Gärten und verbreiten sich seit einem Menschenalter massenhaft wild in Europa. Es sind somit Neophyten, also neue, weil eingewanderte Pflanzen. Neophyten werden häufig verteufelt: Viele von ihnen gelten nämlich als invasive Arten, das heißt als Einwanderer, die heimische Pflanzen verdrängen oder andere Schäden anrichten. Das können wie beim Götterbaum Schäden an Gebäuden und Straßen durch Wurzelsprengung oder Überwucherung sein, aber auch – wie im Falle von Ambrosia und Riesen-Bärenklau – Gesundheitsschäden durch Allergene oder andere Gift- und Reizstoffe.

Das stimmt, ist aber nicht die ganze Wahrheit, gerade jetzt im Klimawandel. Denken wir an unsere Städte aus Asphalt und Beton mit ihren versiegelten Flächen, die immer heißer und trockener werden. Zu Recht wird mehr urbanes Grün gefordert, um die Stadtwüsten zu kühlen, zu befeuchten und ihren Staub und Lärm zu binden. Dies soll aus Naturschutzgründen eigentlich mit heimischen Pflanzen geschehen, die aber meist an feuchtkühle Waldklimata angepasst sind und in Städten nur mit intensiver Pflege überdauern. Und nun schauen wir auf die verwahrlosten Bahnhofs- und Industrieflächen: Robuste und anspruchslose Neophyten wie Götterbaum und Schmetterlingsflieder, aber auch Robinie, Kupfer-Felsenbirne, Immergrüner Liguster, Heckenkirsche, Aufrechter Cotoneaster, Feuerahorn und Eschenblättriger Ahorn, Hybridpappeln und viele mehr verwandeln sie in grüne Urwälder. Ohne langwierige Planungsverfahren, ohne teure Investitionen für Bodenvorbereitung und Anpflanzung, ohne aufwendige Pflegemaßnahmen wie Bewässerung, Schnitt, Düngen, Jäten durch knappe Fachkräfte, ohne Ersatzpflanzungen für absterbende Setzlinge. Alles geschieht von selbst, Staub und Dreck werden in Biomasse verwandelt, Tiere und andere Pflanzen finden geschützte, schattige und feuchte Biotope, wo zuvor nur Stein, Staub und Müll waren. Heimische Pionierpflanzen wie Brombeere, Distel, Birke und Zitterpappel hätten auf solchen humusfreien Extremstandorten ohnehin kaum gesiedelt und sind insofern nicht bedroht, sondern bekommen eher den Weg bereitet. Zudem haben im Gegensatz zu den Vorgenannten die Neophyten Schmetterlingsflieder, Götterbaum und Robinie noch eine andere große Stärke: Sie sind extrem schnittverträglich und treiben nach radikalem Rückschnitt (Stockpflege) mit frischer Kraft wieder aus. Das macht sie hervorragend geeignet für eine Umtriebswirtschaft, bei der diese Pflanzen in Plantagen alle zehn Jahre geerntet und energetisch genutzt werden in Biogas- oder Hackschnitzelanlagen.

Wir sind und bleiben Naturschützer und wollen die Gefahren der Florenverfälschung nicht verharmlosen. Viele Invasoren sind tatsächlich durchweg schädlich und sollten bekämpft werden. Aber bei aller Kritik sollten wir auch jene Chancen sehen, die uns Pflanzen bieten, die ohne jedes Zutun mit den lebensfeindlichsten Umwelten zurechtkommen.

Weitere Infos zu Umwelt und Natur erhalten Sie über www.naburheinlahn.de.