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Rhein-Lahn-Kurier - Heimat- u Bürgerzeitung für die Stadt Lahnstein
Ausgabe 39/2023
Lahnstein hat Geschichte
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Folge 771: Vor 100 Jahren galoppierte die Inflation

Notgeld der Stadt Niederlahnstein vom 20. September 2023 über 200 Millionen Mark

Der höchste Nennwert des Kreises St. Goarshausen betrug 20 Billionen Mark (22. Oktober 1923). Er entsprach nach der Inflation 20 Rentenmark. (Sammlung Stadtarchiv Lahnstein)

Lahnsteiner Druckerei von Separatisten besetzt

Schwer getroffen wurde vor 100 Jahren der größte Teil der Bevölkerung vom Niedergang der deutschen Währung als Folge des verlorenen Krieges und der darniederliegenden Wirtschaft. Durch die von der deutschen Reichsregierung zu leistenden Reparationen, die Unterstützung der ausgewiesenen Beamten und der im passiven Widerstand befindlichen Arbeiter und Beamten und ihrer Familien sowie der fehlenden Steuereinnahmen aus den besetzen Gebieten wurde aus der schleichenden Geldentwertung eine galoppierende Inflation.

Kostete ein Pfund Brot 1914 im Durchschnitt noch 13 Pfennig, waren es Mitte 1922 bereits 3,50 Mark, im Januar 1923 schon 700 Mark, im Mai 1923 ganze 1200 Mark, im August rund 100.000 Mark, im September 1923 zwei Millionen Mark und im Oktober gar 670 Millionen Mark. Für 1 Pfund Mehl waren 2.400 Millionen, 1 Pfd. Butter 5.800 Millionen und selbst für ein Hühnerei 1.900 Millionen Papiermark zu zahlen. Die Kaufkraft der Mark sank in dieser Zeit im Vergleich zum Dollar von 4,20 Mark (1914) zu 4,2 Billionen Mark (15. November 1923).

Parallel zum Verlust der Kaufkraft wurde immer mehr Geld gedruckt und in Umlauf gebracht, auch von den Kommunen und Landkreisen. Im Juli 1923 ließ Niederlahnstein zeitlich befristete „Gutscheine“ von 25.000 bis 1 Million Mark drucken. Diese Gutscheine waren vom Fürsorgeamt ausgegebene Warenbezugsscheine über den aufgedruckten Nennwert zum einmaligen Gebrauch. Im August und September wurde weiteres Notgeld herausgegeben, die als „Kassenscheine“ mit Nennwerten von 100.000 Mark bis zu 10 Millionen Mark deklariert waren. Die höchsten „Gutscheine“ zu 100 und 200 Millionen Mark tragen das Datum des 20. September 1923. Ähnlich in Oberlahnstein. Hier gab die Stadt mit Genehmigung der preußischen Finanzkommission Kassenscheine von 500.000 bis 100 Millionen Mark heraus. Die Scheine waren nur bei der jeweiligen Stadtkasse einzulösen.

Auch der Kreis St. Goarshausen ließ eigenes Notgeld drucken. Die Nennwerte der Scheine mit dem Genehmigungsdatum vom 22. Oktober 1923 betragen 5 Milliarden bis 20 Billionen Mark. Aufgedruckt steht auf den Kassenscheinen: „Umlaufsfähig im ganzen Regierungsbezirk Wiesbaden.“ Dieses Notgeld musste von der Bezirksregierung in Wiesbaden genehmigt und überwacht werden.

Gedruckt wurden die Scheine von Oberlahnstein, den umliegenden Städten und dem Kreis in der Druckerei Nohr in der Hochstraße in Oberlahnstein, wo auch die Lahnsteiner Tageszeitung hergestellt wurde. In Zusammenhang mit dem Umsturzversuch durch Separatisten, die eine Rheinische Republik losgelöst von Preußen und Deutschland forderten, wurde auch die Druckerei im November 1923 unter Duldung der französischen Besatzungsbehörde von Separatisten besetzt. Sie besorgten sich die Klischees für Notgeld, das sie nun in der Druckerei in unkontrollierter Menge herstellten und an Erwerbslose verteilten, um diese für sich und ihre Vorstellungen zu gewinnen. Noch kurz vor der sich androhenden Besetzung ließ die Stadtverwaltung Oberlahnstein die bereits amtlich gedruckten Notgeldscheine ins Städtische Krankenhaus zur Aufbewahrung bringen. Doch bei der Besetzung des Rathauses durch die Separatisten zwangen diese den Stadtrechner „unter Bedrohung mit dem Revolver“ den geheimen Aufbewahrungsort anzugeben. So wurde das versteckte Geld von den Separatisten entdeckt und beschlagnahmt. Erst nach Tagen gelang es auf Betreiben von Bürgermeister Dr. Weber die Druckerei zu räumen und die Separatisten zu entwaffnen, wobei es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Schussverletzungen kam.

Die Einführung der Rentenmark am 15. November 1923 machte dem ganzen Spuk ein Ende und legte den Grundstein für eine Konsolidierung der deutschen Wirtschaft, denn sie ist durch eine Belastung von Grundbesitz und Wirtschaft gesichert. Aus einer Billion Mark wurden 1 Rentenmark (wertgleich mit der am 30. August 1924 eingeführten Reichsmark). Eine zweite Notenbank, die Deutsche Rentenbank, wachte darüber, dass der festgesetzte Höchstbetrag von 2,4 Milliarden Rentenmark nicht überschritten wurde. Da die Menschen Vertrauen in die neue Rentenmark fassten, konnte wieder ein geregelter Zahlungs- und Warenverkehr aufkommen. Außerdem passte sich der neue Zahlungsplan für die Reparationszahlungen, vom US-Amerikaner Charles Dawes ausgearbeitet und vom Reichstag im August 1924 angenommen, der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Deutschen Reiches an und der Ruhrkampf wurde beendet.

Das von den Separatisten beschlagnahmte und von ihnen widerrechtlich gedruckte Notgeld des Kreises St. Goarshausen erklärte die Regierung in Wiesbaden für ungültig. Um festzustellen, welche Mengen an echten und falschen Scheinen im Besitz der Bürgerschaft waren, mussten die Bürger alle Scheine mit eidesstattlicher Erklärung in geschlossenen Umschlägen abgeben. Anhand der auf den Scheinen aufgedruckten Nummerierung ließ sich feststellen, welche Scheine echt sind und Anfang Februar 1924 bei der Kreiskommunalkasse zur Einlösung kommen konnten. Dazu wurden den Besitzern alle Scheine zurückgegeben, auch die ungültigen.

Das Not- und Inflationsgeld der Städte Nieder- und Oberlahnstein sowie des Kreises St. Goarshausen aus den Jahren 1917 bis 1923 ist im Stadtarchiv Lahnstein am Kaiserplatz montags bis freitags bis Ende Dezember in Ausstellungsvitrinen zu besichtigen.