Über den großen Sohn der Stadt, Ernst Loeb, will die Stadt bis Ende des Jahres ein Buch herausgeben. Außerdem sind bisher unbekannte Nachlassmaterialen aufgetaucht, die nun den Fundus des Museums bereichern. Darüber freuen sich (von links) Museumsleiter Dr. Kai Seebert, Mitautor Wolfgang Redwanz, Barbara Söhngen und Volker Keßeler vom deutsch-israelischen Freundschaftskreis Dimona/Andernach, Bürgermeister Claus Peitz und Sylvia Lippert, deren Vorfahren mit Ernst Loeb befreundet waren.
Bis Ende des Jahres will die Stadtverwaltung Andernach ein umfängliches Buch über den jüdischen Mitbürger Ernst Loeb (1914-1987) herausgeben, der 1936 nach Palästina und 1938 nach USA emigrierte. Von der Familie, seiner Frau Margot und seinem Sohn Dennis, sind dafür etliche bisher unbekannte Nachlassmaterialien zur Verfügung gestellt worden. Und auch etliche Briefwechsel von Ernst Loeb mit Andernacher Bürgern liegen nun erstmals vor.
Einen beinahe „weißer Fleck“ bildete bisher die Zeit von 1950, Ernst Loebs erstem mehrwöchigem Besuch in Andernach, und dem Jahr 1966. Von da an weilte er fast jährlich in der Stadt. Sicherlich hat es in den 50er Jahren auch Kontakte und Briefwechsel gegeben, aber nichts davon war auffindbar.
Bürgermeister Claus Peitz freut sich, dass Dr. Klaus Schäfer im Juni im Museumsfundus auf einen Brief vom 2. Oktober 1952 von Ernst Loeb an Dr. Johann Füth gestoßen ist, an Andernachs Bürgermeister von 1949-1964. Ernst Loeb weist darin auf eine Sonderseite „Andernach“ in der Philadelphia Gazette Democrat hin.
Archiv Stadtmuseum
Ernst Loeb arbeitete während seines Studiums als Redakteur und Übersetzer an der deutschsprachigen „Philadelphia Gazette-Demokrat“ mit, auch um während seines Studiums zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Die Recherche die der Leiter des Städtischen Museums Dr. Kai Seebert unternimmt, führt „überraschend prompt und erfreulich positiv“ - so er selbst - zum Erfolg. Mitte Juli 2023 liegt Loebs Artikel dann in Andernach vor. Die ganzseitige kleingedruckte Sonderseite „ANDERNACH“ vom 28. September 1952 bietet gleich mehrere Überraschungen.
Unter dem Titel „ANDERNACH, kleine alte Stadt am Rhein“ - das kommt schon einer Liebeserklärung nahe - würde man zunächst einen sehr persönlich geprägten Rückblick auf Andernach vermuten. Keineswegs: Ernst Loeb schreibt eine Stadtgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart.
Und Ernst Loeb geht ins Detail. Das gilt nach dem historischen Rückblick auf die Stadtgeschichte vor allem für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Bespiel dafür: „Im weiteren Südostgelände vor den Toren der Stadt wirkt und arbeitet die Industrie der verschiedenen Wirtschaftszweige, die der Stadt Andernach eine gesunde finanzielle Grundlage und Stabilität verleihen. In großen, langgestreckten Hallen produziert der Rasselstein, ein Kaltwalzwerk, vor allem Weissband, einen kaltgewalzten Bandstahl, Dynamostahl und legierten Bandstahl. Mehre Metallgießereien erzeugen Metallformguss, Rotguss, Bronze, Phosphorbronze, Aluminium, Messing und anderes mehr, während drei Maschinenfabriken einen in- und ausländischen Kundenkreis mit ihren Fabrikaten beliefern und einen guten Ruf in der Herstellung vor allem von Bimsbrechern, Hochleistungs-, Rüttel- und Dampfmaschinen für die Herstellung von Leichtbeton besitzen, die besonders in der heimischen Bimsindustrie Verwendung finden……“.
Auch 3 Malzwerke, Holzindustrie, Nahrungs- und Genussmittelindustrie, Chemische Werke und der Hafen werden nicht vergessen. Wie kommt Ernst Loeb an diese differenzierten Kenntnisse, die in dieser Form doch so gar nicht in seine sonstigen Interessenssphären als Student der Germanistik zu passen scheinen? Sicherlich nicht nur durch eigene Recherchen. Mit Sicherheit hat er Bürgermeister Dr. Füth kontaktiert. Und so kommt es - und das ist eine Überraschung - zu einem Grußwort des Andernacher Bürgermeisters in einem Journal der USA. Loeb hat ihn und seine städtischen Mitarbeiter um Informationen zur Stadtgeschichte gebeten. Im Brief an Dr. Füth - nach Erscheinen des Artikels - spricht er auch von „vereinten Kräften“, die diesem Inhalt zugrunde liegen. Da verwundert es nicht mehr, dass der Abschnitt „Wichtigster Umschlagplatz am Mittelrhein“ aus der Feder von Stadtinspektor Franz Theodor Hunold, stammt, der in den Stadtwerken auch zuständig für den Hafen gewesen ist. Diese Kooperation ist intensiv und mit Vorlauf geplant. Ernst Loebs besondere Leistung besteht darin, aus vermutlich umfangreicheren Materialien einen sprachlich und gedanklich strukturierten Artikel in seiner Intention zu gestalten.
Ernst Loeb will der amerikanischen Leserschaft ein umfassendes Bild seiner Heimatstadt anbieten und näherbringen, und das nur wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in der die Erinnerungen an die Nazi-Zeit noch sehr präsent sind, die er übrigens gar nicht im Artikel anspricht. Er macht quasi Werbung für die Schönheit und die Geschichte seiner Heimatstadt, ohne aktuelle Herausforderungen wie Wohnungsbau, Verkehrssicherheit, Unterbringung der Flüchtlinge und Wasserversorgung zu übergehen.
Interessant sind Loebs wertende Schlussfolgerungen: „Man denkt wohl in Andernach nicht allzu materiell und ist sich der Verpflichtung bewusst, eine der stolzen geschichtlichen und kulturellen Vergangenheit der Stadt würdige Zukunft zu bauen…. In Andernach reichen sich also die historische Vergangenheit und eine der Zukunft aufgeschlossene Gegenwart die Hand... Im Schatten der vertrauten historischen Baudenkmäler aber lässt es sich gut leben … Frohsinn und Gewerbefließ kennzeichnen den Bürger der Stadt. Gastlichkeit und Heiterkeit lassen die Fremden gern in ihr verweilen… Möge sich immerdar der Wunsch erfüllen, den das alte Stadtsiegel trägt: Gottes Gnad‘ und Allmacht, schütze Dich, Stadt Andernach.“
Und dann erreichen die Überraschungen ihren Kulminationspunkt: Der Artikel über Andernach schließt mit Ernst Loebs Gedicht „An meine Vaterstadt“. Dieses Gedicht ist erst 36 Jahre später 1988 bei der 2000 Jahr-Feier in Andernach bekannt geworden. Es hat auch keinen Eingang in seine vier Gedichtbände gefunden. Hier wird es bereits am 28. September 1952 der amerikanischen Leserschaft des „Philadelphia Gazette Democrat“ präsentiert, ist also schon deutlich früher entstanden, wohl kurz nach Ernst Loebs Besuch in Andernach im Jahr 1950. Nur wenige Exemplare des Artikels sind nach Andernach gelangt - und im Laufe der Jahre völlig aus dem Blickfeld geraten - und so auch dieses Gedicht. Mit ihm stellt Ernst Loeb die Verbindung von Andernach mit seinem persönlichen Schicksal her, ein höchst emotionaler Bezug als Abschluss einer sachlich geprägten Darstellung der Andernacher Stadtgeschichte. Andernach geht Ernst Loeb nicht aus dem Sinn, auch in den Jahren, wo noch keine regelmäßigen Besuche stattfinden.
Für die Autoren der geplanten Ernst Loeb Publikation Dr. Rüdiger Heimlich aus Köln und Wolfgang Redwanz, so Claus Peitz, bedeutet der Fund eine wertvolle Bereicherung. Vielleicht löst dieser Vorgang ja auch noch weitere Erinnerungen bei einigen Andernachern aus. Anregungen und Hinweise sind Dr. Kai Seebert willkommen. Überhaupt gibt es sicherlich noch einige, die Einzelheiten zur Beziehung von Ernst Loeb zu Andernach beitragen könnten. Eine rasche Rückmeldung wäre da wichtig.