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Hünstetter Nachrichten - Mitteilungsblatt für die Gemeinde Hünstetten
Ausgabe 22/2024
Aus dem Gemeindearchiv
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Aus dem Gemeindearchiv - Unsere ehemaligen Dorfschulen

Schule oberhalb der Kirche: Vorn der Bau von 186o, hinten der Zubau von 1928. (Bild aus der Dorfchronik von 1993, S. 127)

Wussten Sie, dass in unserem Archiv ein Schatz an Informationen lagert: Aus allen 10 Dörfern haben wir die Chroniken der ehemaligen Dorfschulen, in denen die Lehrer jährlich über Ereignisse im schulischen und dörflichen Leben berichten. Heute unvorstellbar: In diesen Schulen unterrichtete meist nur ein Lehrer bis zu 100 Kinder in acht Jahrgängen und allen Unterrichtsfächern. Mit einem kleinen Auszug aus diesen Chroniken wollen wir Ihnen in den nächsten Wochen Einblick in diese vergangene Welt vermitteln und hoffen, damit im Bereich der Bildung eine Brücke aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu schlagen. Wir starten heute mit Wallrabenstein.

Ehemalige Schulen in Wallrabenstein

Hünstettens größter Ortsteil hat eine wechselvolle Schulgeschichte hinter sich. Der heutige Standort des Schulzentrums am Ortsausgang nach Beuerbach bietet neben einem Kindergarten und einer mehrzügigen Grundschule im Rahmen einer großen integrierten Gesamtschule alle Bildungsgänge bis zum 10. Schuljahr an. Dem Schul- und Vereinssport steht eine große dreiflächige Sporthalle zur Verfügung. Das schulische Lernen hat aber auch in Wallrabenstein klein angefangen.

Wie in allen Ortsteilen von Hünstetten begann die Schule für Wallrabenstein als kirchliche Einrichtung. Da der Ort mit Wörsdorf in einem Kirchspiel verbunden war, fand diese zunächst beim Pfarrer in Wörsdorf statt. Belegt ist der Start in den Jahren nach einer Kirchenvisitation von 1593. Mit Sicherheit wissen wir, dass im Jahr 1602 drei! Schüler aus Wallrabenstein in die Wörsdorfer Schule kamen (siehe Ortschronik Wörsdorf von 1990). Viele waren das nicht. Erster Lehrer war hier der Glöckner, dessen Vergütung zu einem Teil der Lehrerversorgung wurde. Das senkte die Kosten der Gemeinden.

Im Jahr 1610, dem gleichen Jahr, in dem die Kirchspielschule in Bechtheim begann, bekam Wallrabenstein seinen ersten eigenen Lehrer, und die Kinder wurden nun vor Ort unterrichtet. Ein eigenes Schulgebäude gab es nicht, genutzt wurde der Gemeindesaal im Rathaus, das in der Rathausstr., heute „Zum Haingraben“, stand. Teil des Gebäudes war auch das Backhaus.

Im 30-jährigen Krieg (1618 – 1648), der den Raum Idstein insbesondere in der Zeit nach 1634 verwüstete, kamen in diese Schule auch die (wenigen) Kinder aus Beuerbach und Bechtheim, weil die dortige Kirchspielschule von 1635 bis 1656 geschlossen war. Ob aber in diesen Kriegszeiten überhaupt durchgehend Unterricht stattfand, ist nicht sicher.

Die Schule im Rathaus bestand mehr als 200 Jahre. Erst 1822 entschloss sich die Gemeinde wegen der gewachsenen Schülerzahl (1820 um 50 Schülerinnen und Schüler) dazu, ein eigenständiges Schulhaus zu schaffen. Man kaufte ein Haus in der Hauptstraße, heute „Burgstraße“ und baute es für die Schule um. 1823 zog diese in das neue Heim um. In den Folgejahren erneuerte man auch die Einrichtung. Der Schulsaal im Rathaus wurde später Aktenlager der Gemeinde. Das Gebäude bestand noch bis 1937, wurde dann wegen Baufälligkeit abgerissen und die Fläche an die Nachbarn verkauft.

Die Schülerzahl wuchs im 19. Jahrhundert weiter auf etwa 80 (1840) und um 110 (1860), was zu dem Entschluss der Gemeindegremien unter Bürgermeister Rau führte, ein neues Schulhaus zu bauen. Heute unvorstellbar: Für die 110 Kinder gab es nur einen Lehrraum und einen Lehrer. Dieser musste mit jeweils über 50 Kindern vier Stunden am Vormittag und vier Stunden am Nachmittag arbeiten. Die Gemeinde zahlte ihm für die Belastung einen kleinen Zusatzlohn.

Um einen Neubau errichten zu können, musste zunächst die Standortfrage geklärt werden. Schnell einigte sich die Gemeinde mit dem Besitzer der Fläche oberhalb der Kirche.

Nach dem Grunderwerb und der Planung wurde im Juli 1860 der Grundstein gelegt. Vor dem Winter erhielt der Neubau noch das Dach, und am 17. November1861 konnte die Einweihung zusammen mit der Kerb gefeiert werden. Die neue Schule erhielt zwei Lehrsäle, eine Lehrerwohnung und ein „Ökonomiegebäude“ (mit Scheune, Ställen und Aborten), denn immer noch ging man davon aus, dass der Lehrer sich weitgehend selbst versorgte. Allerdings hatte die Maßnahme ein arges Loch in die Gemeindekasse gerissen, was u. a. zu Verkäufen führte. Nicht nur das alte Schulhaus ging in Privatbesitz über, es kam auch zu einer Extraholzfällung und zu Waldflächenverkäufen, z. B. am Camberger Berg.

In den Jahren 1928/29 war die Raumknappheit wieder so groß, dass die Gemeinde sich zu Um- und Ausbauten an der Schule entschloss. Die Schülerzahl wuchs von 85 im Jahre 1929 auf 111 im Jahre 1933. Die Schule hatte seit 1928 auch zwei Lehrerstellen. Kern der Umbauten war die Erstellung eines dritten Lehrsaales, den man durch den Ausbau der (nun nicht mehr benötigten) Schulscheune gewann. Damals in Mode war die Schaffung eines Schülerbades, weil sich die Bürger in den Privathäusern noch keine Bäder leisten konnten. Auch der Neubau der Toiletten gehörte zu den Maßnahmen. Dass es in der Gemeinde riesige Diskussionen über Art und Umfang der Baumaßnahmen und deren Kosten gab, sei nur am Rande erwähnt. Beispiel aus der Diskussion: „Was brauche mer e Bad, de ald Poths is übber 80 Jahr alt un hot sich sei Lebe lang nit geboard.“

Die Nachkriegszeit brachte durch die Ankunft der Vertriebenen aus dem Sudetenland eine weitere Steigerung der Schülerzahlen auf 172 und damit die Einrichtung einer dritten Lehrerstelle, die 1947 mit dem aus dem Sudetenland stammenden Lehrer Willert besetzt wurde. Von 1946 bis 1949 hatte man Schulraum mit Flüchtlingen belegt, was wieder zu Vor- und Nachmittagsunterricht führte.

Anfang der Fünfziger Jahre wurde wegen der vielen Mängel an den Gebäuden über einen vollständigen Neubau der Schule diskutiert, der nach damaligen Schätzungen etwa 250.000 DM gekostet hätte. Es blieb aber bei der Entwurfsplanung eines Wiesbadener Architekten, wobei aus der Schulchronik nicht hervorgeht, warum der Plan aufgegeben wurde. Gründe könnten die wieder gesunkene Schülerzahl (um 100) und die hohen Kosten sein. Statt des Neubaus wurden die alten Gebäude saniert und renoviert und die Schulausstattung verbessert.

Zehn Jahre später begann dann im Kreis die Diskussion über den Bau von Mittelpunktschulen, deren erste schließlich im November 1965 in Wallrabenstein die Arbeit aufnahm. Die Räume der alten Wallrabensteiner Schule wurden zunächst noch bis zur Fertigstellung der Grundschule neben der Mittelpunktschule weitergenutzt, dann näherte sich das Ende der alten Schule. Der letzte Schulleiter, Herr Wilhelm Jäger, beendete die Schulchronik 1965 und wechselte als stellv. Schulleiter nach Michelbach.

In Wallrabenstein blieb von den alten Schulgebäuden das ursprüngliche Haus aus dem Jahre 1861 erhalten und wurde evangelische Gemeindehaus, der westliche Teil der Schule machte dem Neubau des Bürgerhauses Platz. Den Wallrabensteinern steht so ein Teil ihrer ehemaligen Dorfschule auch weiterhin für die dörfliche Gemeinschaft zur Verfügung.

Manfried Weber