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Hünstetter Nachrichten - Mitteilungsblatt für die Gemeinde Hünstetten
Ausgabe 30/2024
Aus dem Gemeindearchiv
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Kesselbach wird selbstständiger Schulstandort

Als letzter der Hünstetter Ortsteile erhielt Kesselbach 1911 eine eigene Schule. Das war das Ende eines längeren Streites mit Görsroth über Bau einer neuen oder Ausbau und Sanierung der alten gemeinsamen Schule in Görsroth. Die Regierung in Wiesbaden stimmte der Errichtung einer eigene Schule für Kesselbach zu und die Gemeinde war begeistert über diese Lösung. Der zugewiesene Lehrer Conrad Gottschalk schreibt dazu am Beginn der Schulchronik:

„O, war das ein langer Traum. Nun endlich ist er Wirklichkeit geworden. Eine eigene Schule, das war das Ziel aller Kesselbacher. Jetzt ist´s geschehen. So leicht ging´s freilich nicht. Schon immer wanderten die Kinder nach Görsroth. Nun soll die Qual ein Ende haben. Daß der alte Brauch ein Mißstand ist, sahen die Kesselbacher leicht ein, nicht aber die Görsröther.“

Entsprechend herzlich wurde der neue Lehrer in Kesselbach aufgenommen. Er erzählt:

Am 7. Oktober 1911 kam ich ganz hierher (Er hatte den Ort kurz vorher im Rahmen eines Manövers der Armee kennengelernt). Am Bahnhof Idstein waren Schulkinder und Schulvorstand von Kesselbach. Der erste meiner Knaben (Willi Rücker) begrüßte mich mit recht lieben Worten: „Lieber Herr Lehrer! Im Namen meiner Mitschüler begrüße und empfange ich Sie recht herzlich. Der Wunsch nach einer Schule und einem Lehrer wurde schon lange in unserem Dörfchen gehegt. Nach langen Kämpfen […]“.

Ein Schulhaus gab es aber noch nicht. Deshalb mietete die Gemeinde den Tanzsaal des Gastwirts August Christmann und richtete ihn als Schule ein. Lange dauerte dieser Zustand nicht, denn noch vor Kriegsausbruch 1914, im Jahr 1913, konnte die neu gebaute Schule bezogen werden. Sie war ein Schmuckstück und für damalige Verhältnisse sehr großzügig und mit schöner Lehrerwohnung erbaut. Ein Türmchen mit Glocke krönte das Bauwerk.

Zum Stand der Leistung der Schüler ist der neue Lehrer entsetzt. Er überlegt: Liegt es an der Begabung oder der Vorbildung in Görsroth? Dort unterrichtete ein alter, häufig kranker Lehrer. Lange konnte Gottschalk in Kesselbach nicht arbeiten. Im August 1914 rückte er sofort bei Kriegsbeginn zur Armee ein und fiel im Artilleriefeuer vor Verdun im März 1916. Die Kesselbacher trauerten ihm sehr nach. Zunächst mussten die Kinder wieder nach Görsroth zur Schule gehen, denn erst im Sommer 1916 kam ein neuer Lehrer nach Kesselbach.

Nach Kriegsende rückten Franzosen in Kesselbach ein, beschlagnahmten das Schulhaus und machten es zum Bataillonsbüro. Die Schüler wurden in der Wohnstube des Landwirts Adolf Frankenbach unterrichtet. Von Dezember 1919 bis März 1920 dauerte dieser Zustand. Zum Glück hatte Kesselbach damals nur 21 Schülerrinnen und Schüler.

Jubel gab es am 29. August 1921: Kesselbach wurde an das Stromnetz der MKW angeschlossen, zeitgleich ging die örtliche Straßenbeleuchtung in Betrieb. Der Stromanschluss war auch Voraussetzung für den Bau der Wasserleitung, die ohne Hochbehälter mit Pumpstation nicht möglich gewesen wäre. Ende 1929 lief frisches Wasser in jedes Haus. Zum Vergleich: Beuerbach hatte seine Wasserleitung und den Hochbehälter schon 1909 gebaut, nachdem von der Neumühle her Strom ins Dorf geliefert wurde. Kesselbach war damals aber mit um 130 Einwohnern und um die 15 Schülerinnen und Schülern ein viel kleineres Dorf.

Einige Fortschritte zeigten sich auch im Schulleben der zwanziger und dreißiger Jahre, so z. B. die Abschaffung der kirchlichen Schulaufsicht. 1928 organisierte Lehrer Schumann in Kesselbach erstmals eine dreitägige Klassenfahrt in die Jugendherberge nach Bacharach am Rhein. Die dortige Burg Stahleck ist heute noch ein beliebtes Ziel für die Schuljugend. Und 1934 richtete die Schule im Keller mit Hilfe der Kinder, der Eltern und der Gemeinde einen Werkraum ein. Fachunterricht entwickelte sich auch in Naturkunde: Die Kinder legten im Unterricht ein Blumenbeet vor der Schule an.

Die Wirtschaftskrise und die Not der 1930er Jahre ging auch an Kesselbach nicht vorbei. Klassenfahrten und Weihnachtsfeiern fielen aus Kostengründen aus, im Dorf waren viele Männer arbeitslos. Anders als der Lehrer in Wallbach begrüßt Lehrer Gerheim die Machtübernahme Hitlers mit folgender Eintragung in der Schulchronik:

„Als am 30. Januar 1933 Adolf Hitler deutscher Reichskanzler wird, leuchten in den Gesichtern der Dorfbewohner Freude und Hoffnung auf bessere Zeiten. … Unser Gelöbnis soll sein, mitzuhelfen am Aufbau des neuen Deutschlands“.

Etwas weiter berichtet der Lehrer dann:

„In unserem Vaterland beginnt nun allerorts die Säuberung der öffentlichen Betriebe von Vertretern des alten Systems. Auch in unserer näheren Heimat ist das der Fall.“

Im Oktober 1936 kam mit Herrn Conrad ein sportlich ambitionierter Lehrer nach Kesselbach und die Kesselbacher Kinder wurden wohl Spitzenreiter beim Erlernen des Skifahrens. Conrad absolvierte im Februar 1939 einen Skikurs in Saalbach-Hinterglemm und trainierte anschließend die Kinder an den „Kesselbacher Hängen“. Die „Bretter“ hatte der Görsrother Wagner Frankenbach geliefert.

Anders als der Wallbacher Lehrer war Conrad offensichtlich NS-treu. Der Eindruck entsteht, wenn man seine „Erfolgsmeldungen“ von 1936 bis 1940 liest. Viel Politik in der Schulchronik. Auffällig ist aber, dass er sich ab Ende 1940 plötzlich zurückhält und z. B. den Angriff auf Russland im Sommer 1041 mit keinem Wort erwähnt. Er berichtet nur noch über schulische und örtliche Ereignisse ohne politischen Bezug. Im Dezember 1941 enden seine Eintragungen völlig. Unterrichtet hat er wohl noch bis Januar 1943 in Kesselbach, dann schickte ihn das Schulamt zur Vertretung nach Panrod und von dort wurde er wenige Monate später zur Wehrmacht eingezogen. Die Kesselbacher Kinder mussten in dieser Zeit wieder nach Görsroth zur Schule gehen.

Eintragungen in der Schulchronik finden sich erst ab Februar 1944 wieder. Es schrieb nun Lehrer Stöcklein aus Frankfurt, der mit 17 Kindern seiner dortigen Klasse vor den Bombenangriffen aus Frankfurt geflüchtet war und nun in Kesselbach seine und die Kesselbacher Kinder unterrichtete. Von Februar 1944 bis Januar 1947 erfahren wir von ihm, was sich in und um Kesselbach zum Kriegsende und in der ersten Zeit danach ereignete. Im Januar 1947 kehrte Lehrer Conrad nach Krieg und Gefangenschaft an seine alte Schule zurück.

Conrad nimmt die Tradition der Schulausflüge sofort wieder auf, wenn auch zunächst nur mit Tagesauflügen und Besichtigungen in die Nachbarschaft (Idstein, Wiesbaden, Taunus). Schon 1949 fuhr er mit den Kindern für 5 Tage in eine Jugendherberge (nach Schlossborn).

Was in keiner Dorfschule zur damaligen Zeit unterrichtet wurde: Conrad führte 1948 freiwilligen Englischunterricht ein, den er selbst erteilte! Die Kinder machten freudig mit. Mit Theateraufführungen und Kunstausstellungen erfreute er die Eltern und trug zur kulturellen Entwicklung des Dorfes bei. Später folgten auch Theaterbesuche in Wiesbaden.

Auch in der Nachkriegszeit behielt die Gemeinde trotz vieler anderer Sorgen ihre Schule immer im Blick und der Lehrer musste nie um notwendige Verbesserungen oder Reparaturen kämpfen. So wurde Ender der 1940er Jahre die Lehrerwohnung ausgebaut und erneuert und 1952 dem ganzen Gebäude ein neuer Anstrich verpasst. Im Jahr 1959 bekam die Schule durch Umbauten auch einen Gruppenraum (zugleich Küche).

Anders als in den meisten Orten wurde die Schule in Kesselbach nach deren Auflösung und dem Übergang der Kinder nach Wallrabenstein 1970 nicht verkauft sondern zum Dorfgemeinschaftshaus umgebaut sowie um einen Saal sowie die Feuerwehr (heute Gemeindearchiv) erweitert. Sie ist bis heute mit ihren vielfältigen räumlichen Möglichkeiten weit über Kesselbach hinaus ein wichtiges Angebot für das Vereinsleben und private Feiern in Hünstetten.

Manfried Weber

P. S.: Die Fakten zu diesem Beitrag sind der Schulchronik entnommen, diese ist im Gemeindearchiv einzusehen