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Hünstetter Nachrichten - Mitteilungsblatt für die Gemeinde Hünstetten
Ausgabe 38/2025
Kirchliche Nachrichten
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An(ge)dacht

Liebe Leserinnen und Leser,

es ist doch immer wieder das Gleiche: Wenn es mir schlecht geht, dann vergesse ich ganz schnell, wie viel mir schon in meinem Leben geschenkt wurde, wie viel mir auch in diesen Tagen geschenkt wird. Geht es mir wieder gut, dann kommt mir das beinahe selbstverständlich vor.

Das wird mir schlagartig bewusst, wenn ich eins meiner liebsten Lieder aus dem EGplus höre oder singe: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“ (Nr. 87). Und ich muss zugeben: Im Klagen bin ich viel ausdauernder als im Danken. Was die Widrigkeiten des Lebens, seine Herausforderungen und Rückschläge angeht, habe ich ein Gedächtnis wie ein Elefant. Die großen und vor allem die kleinen Geschenke des Lebens nehme ich oft nicht einmal wahr – geschweige denn, dass ich mich dafür bedanke.

Dabei wusste schon Francis Bacon: „Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.“

Die deutsche Theologin Dorothee Sölle, die ich in meinen Studientagen noch kennenlernen durfte, beschrieb es als eine gute geistliche Übung „von hohem Gebrauchswert“, am Abend auf den Tag zurückzuschauen und drei Dinge zu finden, für die sie Gott danken kann.

Zugegeben: An manchen Tagen fällt das ganz leicht. Da leuchten diese Momente wie Sonnenblumen aus den vergangenen Stunden heraus. Doch es gibt auch Tage, an denen es anders ist. Auf sie zurückzuschauen tut womöglich sogar weh. Und ich muss meinen Blick weiten. Muss genau hinschauen, die Gänseblümchen suchen, die mir dieser Tag geschenkt hat: Das Stück Kuchen, das mir die Nachbarin vorbeigebracht hat. Das Telefonat, nach dem ich mit einem Lächeln im Gesicht aufgelegt habe. Das Morgenlicht, das lockend und einladend durch das Blätterdach auf den Weg fiel.

So auf den Tag zu schauen, verändert den Blick auf die Dinge: Scheinbar Unbedeutendes wird noch einmal wichtig. Kleines wird plötzlich groß. Und ich kann direkt spüren, wie ich zuversichtlicher werde, mutiger, ausdauernder, stärker – glücklicher.

Und was ist mit denen, die am Abend so müde sind, dass sie glatt einschlafen, während sie noch auf ihren Tag zurückschauen?

Die können es machen wie der Bauer aus der Geschichte, dem geraten wurde, jeden Morgen eine Handvoll Bohnen in eine seiner Jackentaschen zu stecken. In jedem glücklichen Moment ließ er eine Bohne in die andere Jackentasche wandern. Anfangs waren es vielleicht nur ein oder zwei Bohnen, die über den Tag den Weg auf die andere Seite fanden. Mit der Zeit wurden es mehr und mehr. Abends zählte der Bauer dann seine Steine, dachte an die schönen Momente, freute sich daran und stellte irgendwann fest: „Ich bin doch ein glücklicher Mensch!“

In diesem Sinne wünsche ich eine Woche voller Sonnenblumen, Gänseblümchen, Gladiolen oder was auch immer – und dass Sie abends sagen können: „Ich bin doch ein glücklicher Mensch!“

Mit herzlichen Grüßen

Manuela König, Pfarrerin im Nachbarschaftsraum Mittlerer Untertaunus