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Adenauer Nachrichten
Ausgabe 20/2025
100 Jahre Nürburgring
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100 Jahre Nürburgring

Alexander Matthias Kraß, Nürburgring-Historiker

Teil 2: der Beschluss zum Bau einer Rennstrecke

In diesen Wochen vor 100 Jahren ging im Kreis Adenau alles sehr schnell. Wie wir in der ersten Ausgabe dieser Kolumne gesehen haben, vergingen zwischen der Gründung des Automobilclubs Adenau und den ersten Arbeiten im Bereich Galgenkopf nur knapp drei Monate. Danach begann eine Zeit der Entscheidungen, um die Idee einer Rennstrecke final auf den Weg bringen zu können. Im Vorfeld mussten die Verantwortlichen noch etwas Überzeugungsarbeit leisten, um ein solch gigantisches Projekt im damaligen Landkreis Adenau realisieren zu können, denn vor allem aufgrund der desolaten finanziellen Situation des Kreises war die Idee zum Bau einer Rennstrecke kein Selbstläufer. Adenau war damals als der ärmste Kreis im Land Preußen bekannt, die Menschen fristeten ein Dasein voller Entbehrungen und konnten sich von dem, was die Erde ihnen gab, kaum ernähren. Unzählige Menschen wanderten aus, es gab kaum Industrie und trotz verschiedener politischer Initiativen konnte die Not der Menschen nicht gelindert werden.

In einer solchen Situation erschien der Bau einer Rennstrecke doch eigentlich fehl am Platz. In weiser Voraussicht wussten Creutz und seine Mitstreiter jedoch, dass eine Rennbahn eine ungewöhnliche, aber nachhaltige Lösung der wirtschaftlichen Probleme des Kreises und der Menschen bedeuten würde - warum, werden wir gleich sehen. Eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Lösung dieser vielen Probleme war die geschichtsträchtige Sitzung des Kreistags am 18. Mai 1925. Sicherlich wurde im Vorfeld viel diskutiert, es wurden Details besprochen und auch zahlreiche offene Fragen geklärt - offensichtlich eine erfolgreiche Zeit, denn dem Bau der Strecke wurde tatsächlich zugestimmt. Aus heutiger Sicht stellt sich natürlich die Frage, welche Gründe die Mitglieder des Kreistags dazu bewegten, einem solch gigantischen Projekt in ihrem herrlich schönen, gleichzeitig aber auch bitterarmen Landkreis zuzustimmen. Diese bezeichne ich zusammengefasst gerne als den "Creutz'schen Urzweck".

Der erste dieser Gründe betrifft natürlich den eigentlichen Sinn einer Rennstrecke, nämlich die Förderung des Motorsports. Die wenigen damals in Europa bestehenden Rennbahnen waren hauptsächlich Hochgeschwindigkeitsstrecken, jedoch war keine davon eine wirkliche Prüfungsstraße, wie sie die Verantwortlichen im Kreis Adenau im Sinn hatten. Der Gedanke war, eine Rennbahn zu bauen, welche sowohl von den Rennwagenkonstrukteuren als auch von den Fahrern absolute Perfektion verlangte und die für Mensch und Maschine eine bisher nicht dagewesene Herausforderung darstellte. Steigungen, Gefälle, Höhenunterschiede, Querneigungen, Sprungkuppen, Kurven unterschiedlichster Radien und vor allem die Länge von fast 30 Kilometern unterstrichen den Charakter der Strecke als Prüfungsstraße. Eine so lange Strecke mit all ihren Eigenarten zu kennen sollte für die Fahrer zur ultimativen Herausforderung werden, dies auch mit Blick auf den Motorsportnachwuchs, der hier ausgebildet auf allen Strecken der Welt bestehen sollte.

Die extremen Eigenschaften der Strecke sollten auch den Automobilherstellern zugute kommen - der damals noch jungen Industrie sollte ein Testfeld für ihre Produkte gegeben werden. Zur damaligen Zeit wurde meist auf öffentlichen Straßen getestet, was unsicher und alles andere als praktikabel war. Eine in sich geschlossene und von jeglichem öffentliche Verkehr abgetrennte Versuchsstrecke musste her. Als eine solche wurde der Nürburgring geplant und jeder, der schon einmal auf der Nordschleife unterwegs war, weiß: Diese Strecke beansprucht jedes noch so kleine Teil an einem Fahrzeug und ist daher auch heute noch das ideale Testfeld, auf der die Hersteller in Ruhe und ungestört von plötzlich auftauchenden Hindernissen ihre Produkte testen können. Hinzu kam, dass die Eifel mit ihren gerade in der kalten Jahreszeit vergleichsweise extremen Wetterbedingungen umfangreiche Tests unter vielen verschiedenen Bedingungen zuließ. Zudem würde eine solche Teststrecke mit Fahrerlager, Boxen und Tankstellen sowie der weiteren Infrastruktur einer Rennbahn alle technischen Voraussetzungen bieten, welche die Automobilindustrie für erfolgreiche Tests benötigte.

Was Creutz im Sinn hatte, war jedoch mehr als eine Rennstrecke, die um ihrer selbst willen gebaut wurde. In erster Linie - und damit sind wir beim dritten und für den Landrat wichtigsten Aspekt des "Creutz'schen Urzwecks" - hatte er seinen Kreis im Blick, den er in bitterster Armut versinken sah. Ihm ging es mit dem gesamten Projekt vor allem darum, mit der Strecke einen touristischen Anziehungspunkt zu schaffen, der Menschen und damit Geld in die Region bringen würde. Zwar verirrten sich zur damaligen Zeit immer wieder Wanderer in die Region rund um die Nürburg, von ihnen leben konnte die Region aber nicht. Um einen stabilen Wirtschaftszweig aufzubauen, mussten deutlich mehr Menschen in die Hocheifel kommen. Im Gegensatz zu einzelnen Wanderern würden sich Rennbesucher an mehreren Wochenenden im Jahr auf den Weg in die Eifel machen, hier übernachten, in Restaurants gehen, Eintrittskarten kaufen, gegebenenfalls eine Runde auf der Strecke fahren, sie würden hier tanken, einkaufen und vieles mehr - und dabei wichtige wirtschaftliche Kraft in die Region bringen, so wie es der Tourismus an unzähligen Orten der Welt tut. Und vor allem: Die Rennbesucher würden wiederkommen.

All diese Gründe überzeugten die Mitglieder des Kreistags in Adenau, sodass sie dem Bau der Strecke nicht nur in Mehrheit zustimmten: Der Beschluss geschah einstimmig. Dies war ein wichtiges Signal der Politik, dass dieses Projekt wirklich gewollt war. Nachdem diese zentrale politische Hürde am 18. Mai 1925 genommen werden konnte, ging das Projekt in großen Schritten weiter - welche wichtigen Zwischenziele auf dem Weg zu einer Rennbahn im Kreis Adenau in den folgenden Wochen erreicht wurden, wird Thema des nächsten Teils dieser Kolumne sein.

von Alexander Matthias Kraß, Nürburgring-Historiker