Dora, Heinz und Gerd im Juli 1938
Jerry Bernhard in Tangermünde 1991
Kaufhaus Bernhard, neu erbaut an selber Stelle 1912
„Liebe Leute, kommt herbei! Wir wollen heut‘ lesen den Bericht von einem Mann, der einst hier gewesen. In Tangermünde geboren, die Heimat verloren vor langer, langer Zeit. Zur Buchlesung seid bereit!“
Mit diesem kurzen Liedtext, gesungen nach der Melodie von „Die Gedanken sind frei“ werden die Tangermünder Stadtführerkinder und Jungen Stadtführer am Freitag, den 15. November 2024, um 17 Uhr ihr Publikum im Grete-Minde-Saal zur Buchlesung begrüßen.
Der Mann, von dem im Eröffnungslied die Rede ist, heißt Jerry Bernhard. Geboren wurde er am 18. September 1935 im Tangermünder Krankenhaus. Damals gaben ihm seine Eltern Heinz und Dora Bernhard den Vornamen Gerd. Nach der Flucht in die USA wurde daraus „Jerry“.
Der inzwischen 89-Jährige ist der letzte direkte Nachkomme der Familie Bernhard, die einst das große Kaufhaus in der Langen Straße 20/Kirchstraße 49 besaß. In diesem Jahr hätte das Kaufhaus „J. Bernhard“ sein 200-jähriges Jubiläum gehabt, wenn es nicht anders gekommen wäre.
Im Jahre 1938 gelang es Jerry Bernhards Eltern, mit dem damals Dreijährigen in die USA zu flüchten. Heinz Bernhard konnte zwei Jahre später auch seiner Schwester Hilde und ihrem Mann Hugo Herzberg zur Flucht in die USA verhelfen, jedoch nicht seinen Eltern Paul und Lilly Bernhard, die in Nazi-Deutschland den Tod fanden. An das Schicksal dieser vertriebenen bzw. ermordeten ehemaligen Tangermünder jüdischen Glaubens erinnern seit dem 30. Mai 2024 sechs Stolpersteine vor dem Eingang ihres ehemaligen Kaufhauses.
Dieses dunkle Kapitel unserer Stadtgeschichte soll in der Buchlesung nur am Rande erwähnt werden. Im Mittelpunkt werden Reiseberichte stehen, die Jerry Bernhard in den Jahren 1991 und 1997 verfasste. Dank des Mauerfalls und der Wiedervereinigung Deutschlands konnte er damals seine Heimatstadt besuchen. Mehr als 50 Jahre lagen nach seiner Flucht dazwischen. Vieles vom alten Tangermünde hätte er inzwischen wohl vergessen. Doch sein Vater Heinz Bernhard hielt durch seine Erzählungen und anhand von Fotos die Erinnerungen an die verlorene Heimat stets wach. So wird das Publikum bei der Buchlesung erfahren, wie Jerry Bernhard nach so langer Zeit seine Geburtsstadt erlebte, welche Orte er bei der Suche nach Spuren seiner Vorfahren aufsuchte und wie er Begegnungen mit einigen Tangermündern empfand.
Begleitend zum vorgelesenen Text werden viele inzwischen historisch wertvolle Fotos aus alten Familienalben der Bernhards und von Jerry Bernhards Tangermünde-Besuchen per Powerpoint-Präsentation an die große Leinwand des Grete-Minde-Saales projiziert.
Wer Interesse an der Tangermünder Stadtgeschichte hat und auch etwas über die jüdische Familie Bernhard erfahren möchte, sollte sich die Buchlesung nicht entgehen lassen.