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Tangermünde
Ausgabe 2/2024
Geschichtliches
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Ein Besuch der Nicolaikirche

Nicolaikirche

Jungfer Lorenz

Seit Jahren ist es bei den Tangermünder Stadtführerkindern und Jungen Stadtführern Tradition, dass bei der ersten Veranstaltung im neuen Jahr ein historisches Bauwerk erkundet wird und nach Möglichkeit eines, in das nicht jeder hineinkommt. In diesem Jahr sollte es die Nicolaikirche sein. Oma Schönwald nahm sich für den Stadtführernachwuchs sehr viel Zeit, bewirtete ihn in der gemütlichen Gaststube mit leckerem Kakao und erzählte spannende Geschichten aus der Geschichte der Kirche.

So auch die Geschichte von der wohltätigen Gertrud, die einst in der Nicolaikirche bestattet wurde. Der Höhepunkt der Besichtigung war ein Blick in den Turm der Nicolaikirche. Zunächst ging es in die schöne gewölbte Turmstube, aber schließlich auch noch etwas höher über die schmale Treppe. Im Schein der Taschenlampen war es recht gruselig. Aber der Forschergeist besiegte die Angst. Es war ein aufregender und lehrreicher Nachmittag für den Stadtführernachwuchs, der sich bei Oma Schönwald recht herzlich dafür bedanken möchte.

Die Nicolaikirche gilt als die älteste Tangermünder Kirche. Sie gehörte bereits zur Marktsiedlung, die an der Kreuzung mehrerer Handelsstraßen ganz in der Nähe des Tangers und der Elbe entstand. Aus ihr entwickelte sich im 12. Jahrhundert die Stadt Tangermünde. Die Kirche trägt den Namen des Schutzpatrons der Schiffer und der fahrenden Kaufleute „St. Nicolai“.

Die Kirche ist ein einschiffiger Bau mit einem rechteckigen vorgelagerten Westturm. Errichtet wurde sie aus Feldsteinen im romanischen Stil. Ursprünglich besaß sie kleine Rundbogenfenster, von denen im Chorraum, in dem sich heute der Tresen der rustikalen Gaststätte „Zecherei St. Nikolai“ befindet, noch zwei vermauerte Reste zu erkennen sind.

Im 15. Jahrhundert wurde ein Turm im gotischen Stil angefügt. Wegen der regen Bautätigkeit zur damaligen Zeit und dem vermutlich daraus resultierenden Mangel an Feldsteinen verwendete man nun als Baumaterial den roten Backstein. Den vorhandenen Ziegelstempeln zufolge, muss der Turm zwischen 1460 und 1470 errichtet worden sein. Dieser Turm bildet mit den Türmen des Neustädter Tores eine Einheit und hätte im Angriffsfall zur Verteidigung der Stadt genutzt werden können. Die breite Turmfront, die hinter der Tordurchfahrt liegt, versperrt den direkten Blick in die Lange Straße. Die zahlreichen Einschusslöcher in der Wand des Turmes rühren von den letzten Kampfhandlungen des Zweiten Weltkrieges im April 1945 her.

Nach der Reformation wurde die Nicolaikirche der Stephanskirche unterstellt. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts wurde noch regelmäßig Gottesdienst abgehalten. Die im Turm hängende Glocke - zeitweise waren es sogar zwei - bildete mit den Glocken der Stephanskirche ein Geläut, sodass das Läuten zu den Gottesdiensten von den Bewohnern der Neustadt gut zu hören war. Auch zu den Begräbnissen der Verstorbenen aus der Neustadt, die ihre letzte Ruhe auf dem Friedhof auf dem Klosterberg fanden, wurden die Glocken im Turm der Nicolaikirche geläutet. Der Glockenstuhl ist noch erhalten, die Glocken hingegen nicht mehr. Auf der Etage auf halber Höhe des Turmes liegen allerdings noch drei Glockenklöppel und die schweren Gewichte sowie einige Zahnräder der Uhr, deren hölzernes Ziffernblatt sich noch bis etwa 1975 am Turm befand.

Im 18. Jahrhundert hatte man die Absicht, neben der im Dreißigjährigen Krieg stark beschädigten Klosterkirche auch die „… im Kriegstrubel gänzlich ruinierte …“ Nicolaikirche für Gottesdienste wiederherzustellen. Der König genehmigte zu diesem Zweck eine Kirchenkollekte im gesamten preußischen Staat und bald trafen die Dukaten, Thaler, Groschen, Pfennige und sonstige Münzen aus den entlegensten Orten in Tangermünde ein. Insgesamt waren es 916 Thaler. Das Geld wurde, sobald es in Tangermünde eintraf, in dem heute noch erhaltenen Gemeinen Kasten in der Stephanskirche eingeschlossen und mit drei großen Schlössern gesichert. Noch vor Baubeginn musste allerdings das Geld auf Befehl des Königs ausgeliehen werden. So konnten die Pläne nicht in die Tat umgesetzt werden, das Kirchenschiff sowie den Chorraum der Nikolaikirche (außer den Turm) komplett abzureißen und durch einen Rundbau zu ersetzen. Pfarrer Zahn bemerkte dazu, dass „man es doch nicht bedauere, dass die Ausführung in dieser Form nicht zustande gekommen sei, denn in unmittelbarer Nähe des Neustädter Tores hätte dieser unschöne und dem Charakter der Tangermünder Bauten widersprechende Stil nur um so abschreckender wirken müssen.“ Der Umbau scheint auch den damaligen Tangermündern nicht gefallen zu haben.

Nachdem keine Gottesdienste mehr in der Kirche stattfanden, wurde die Kirche in vielfältiger Weise genutzt, wofür etliche Veränderungen an der Fassade und im Innenraum vorgenommen wurden. Aus dieser Zeit stammen auch die Spitzbogenfenster, die heute der Kirche ihr typisches Aussehen verleihen. Das Kirchenschiff wurde durch den Einbau einer Zwischendecke in zwei Etagen unterteilt. Durch den Einbau von Trennwänden wurden mehrere Räume geschaffen. So wurde das Kirchengebäude zeitweise als Hospital sowie Lazarett, Wach- und Arrestlokal der Tangermünder Garnison und als Wohnung für arme Leute genutzt.

Im Jahre 1856 wurde zum Zwecke der Einrichtung eines Spritzenhauses der Tangermünder Feuerwehr ein großer Torweg in die Wand des Chores eingebaut. Die Feuerwehrschläuche wurden zum Trocknen von oben herab in den Turm gehängt. Dazu wurden sogar Löcher in das Gewölbe der Turmstube geschlagen, die zwar inzwischen wieder verschlossen sind, jedoch die Durchbruchstellen sind im Putz noch gut erkennbar.

Im Jahre 1825 bewegte die Nicolaikirche noch einmal die Gemüter der Tangermünder, denn der Superintendent Krause stellte an den Magistrat der Stadt den Antrag, die zu dieser Zeit als Krankenhaus genutzte Nicolaikirche und auch den Turm gänzlich abzureißen, um dadurch das notwendige Baumaterial für Reparaturen an der Stephanskirche zu gewinnen. Dagegen erhob der damalige Landrat schwere Bedenken, da zum einen „… die Stadt eine Zierde verlieren würde …“ und der Turm mit den Glocken fehlen würde. Die Stadt hätte „… keinen Ort, wo sie die beiden Glocken, die zu den Gottesdiensten geläutet werden müssen, aufhängen soll …“. Außerdem wäre der Neubau eines Krankenhauses nötig gewesen, zumal gerade „… auch noch zwei Wahnsinnige darin untergebracht …“ waren. Daraufhin unterblieb der geplante Abbruch. Sogar die zu dieser Zeit defekte Uhr musste wieder instandgesetzt werden.

Von der einstigen Ausstattung der Nicolaikirche blieb nichts erhalten, abgesehen vom Geweih der Jungfer Lorenz. Es ist ein altes Wahrzeichen der Stadt Tangermünde, um das sich eine beliebte Tangermünder Sage rank. Es zog 1831 von der Nicolaikirche in die Stephanskirche um, wo es heute noch im Umgangschor hängt.

Der jüdische Kaufmann Max Bernhard war ein leidenschaftlicher Dichter und erzählte die Sage von der Jungfer Lorenz auf seine Weise:

Von Jungfer Lorenz ist dies Bildnis.

Sie verirrte sich einst in der Wildnis

eines großen Waldes vor den Toren.

Sie fand nicht heraus, war völlig verloren

und rief nach Hilfe. Ihre Furcht war groß.

Dann wurde sie müde, legte sich ins Moos.

Und wie sie da lag in ihrem Kummer,

kam der Schlaf und ein tiefer Schlummer.

Sie schlief ganz fest und schnarchte laut

bis dass der nächste Morgen graut.

Als sie erwachte, schien die Sonne schon warm.

Sie sah zur Uhr an ihrem Arm

und erschrak, denn es war schon zehn!

Sie fing erneut an um Hilfe zu fleh’n.

Und siehe da: Aus des Waldes Mitten

kam eine Hirschkuh heraus geschritten,

legte sich zu ihren Füßen nieder.

„Diese Gelegenheit kommt nie wieder!“

Und schnell entschlossen – eins, zwei, drei –

erfasste sie der Hirschkuh Geweih.

Schwang sich auf den Rücken des Tieres rauf

und heimwärts ging’s im schnellen Lauf.

So ritt sie flott, frisch und gesund

zurück ins schöne Tangermund‘.

Den Wald, wie’s der Chronist berichtet,

hat sie der Nicolai- Kirche gestiftet.

Text: Petra Hoffmann