Famile Markus, Stadtführerkinder, die Flötengruppe und der Bürgermeister
Ezequiel Max im Gespräch mit Igor Pisseski
Stolpersteine der Familie Markus
Marko Mälitz bei der Verlegung der Steine
Joanne Herzberg und Samira Post bei der Verlesung von Jerry Bernhards Brief
Gäste in der Salzkirche
Es ist vollbracht. Nach langer Vorbereitungszeit inklusive akribischer Recherchen, besitzt die alte Kaiser- und Hansestadt Tangermünde nun auch zwei Gedenkstätten, die zu dem größten dezentralen Mahnmal der Welt gehören: das Stolperstein-Projekt des Künstlers Gunter Demnig.
Am Donnerstag, dem 30. Mai 2024, wurden insgesamt 11 Stolpersteine in den Fußweg vor den ehemaligen Wohn- und Geschäftshäusern der Familien Markus und Bernhard verlegt. An sie soll und muss erinnert werden, weil sie von Nationalsozialisten umgebracht oder verrieben wurden, nur weil sie einen anderen Glauben hatten. Sie waren Juden.
Die Stolpersteine für die Familien Bernhard und Markus sind die ersten, die in Tangermünde verlegt wurden. Nebenbei sei jedoch bemerkt, dass diese Familien nicht die einzigen Tangermünder Juden waren, die ihre Heimat verlassen und ins Ausland gehen mussten, um ihr Leben zu retten bzw. den Naziterror nicht überlebten.
Begonnen wurde mit der Stolpersteinverlegung vor dem ehemaligen Wohn- und Geschäftshaus der Familie Markus in der Langen Straße 80 direkt am Neustädter Tor. Hier betrieb die Familie einst eine Tabak- und Zigarrenfabrik mit einem Geschäft für ihre Produkte. Fortan erinnern fünf Stolpersteine an das Ehepaar Berthold und Rosa Markus und ihre drei Söhne Julius, Helmut und Max. Zirka 100 Gäste wohnten der Zeremonie bei, darunter der Bundestagsabgeordnete Marcus Faber (FDP), der Bürgermeister der Stadt, einige Stadträte, die Flötengruppe von St. Stephan, Stadtführerkinder und Junge Stadtführer und natürlich ihre Leiterin, Petra Hoffmann.
Sie hatte die Familiengeschichten dieser ehemaligen jüdischen Mitbürger mit Unterstützung der Nachfahren und zahlreicher Archive recherchiert. Anwesend war auch Igor Pissetski vom Landesverband der jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt mit Sitz in Magdeburg.
Eine der Ehrengäste war Deborah Markus, die zur Stolpersteinverlegung extra aus Argentinien angereist war. Sie ist die Enkelin von Helmut Markus, der 1910 in Tangermünde geboren wurde. Sie kam gemeinsam mit ihrem Sohn Ezequiel Max, der inzwischen in Österreich wohnt.
Auch Yasmin Amir, die Enkeltochter von Max Markus, war zur Stolpersteinverlegung aus Israel angereist.
Nach der Eröffnung der Veranstaltung durch Flötenmusik richtete sich der Tangermünder Bürgermeister mit einer bewegenden Rede an die Anwesenden. Er sprach von einer traurigen, jetzt aber auch freudigen Zeit. Er erinnerte an die schreckliche Zeit des Nationalsozialismus mit Terror, Verfolgung und Mord, der wir nun mit Demut gedenken. „Mögen diese Steine ein Symbol gegen das Vergessen sein, ein Mahnmal gegen Faschismus, deren Unrecht sich nie wiederholen darf“, so sagte er und forderte: „Nie wieder Hass und Antisemitismus“. Bei Petra Hoffmann bedankte er sich besonders, hatte sie doch für die Aufarbeitung der Geschichte und die Einladung der ausländischen Gäste gesorgt. Die Tangermünder Stadtführerkinder und Jungen Stadtführer stellten in ihrer Rede die einzelnen Personen vor, für die nun Stolpersteine verlegt werden sollten. Der Ehrengast Ezequiel Max - Urenkel von Helmut Markus - sprach ebenfalls zu den Gästen, bedankte sich bei den Organisatoren der Veranstaltung, die nicht nur „Hoffnung für eine bessere Welt spenden“. Er dankte auch den zahlreichen Sponsoren, die die Kosten der langen Reisen der Ehrengäste übernommen hatten.
Marko Mälitz, Teamleiter beim städtischen Bauhof, übernahm die Zeremonie der Stolpersteinverlegung. Er fügte die fünf Stolpersteine für die Familie Markus in die vorbereitete Stelle auf dem Gehweg vor ihrem ehemaligen Wohn- und Geschäftshaus ein. Gemeinsam mit vielen Anwesenden wurde abschließend die neue Gedenkstätte mit kleinen Steinen und Rosenblättern geschmückt.
Nach der Verlegung der Stolpersteine für die Familie Markus zogen die Gäste weiter die Lange Straße entlang bis zum ehemaligen Kaufhaus der Familie Bernhard. Hier wurde die Zeremonie auf ebenso würdige Weise wiederholt. Trotz des einsetzenden Starkregens verließen nur wenige Gäste die Veranstaltung, was die Bedeutung der Stolpersteinverlegung für Tangermünde und die Ehrung der Nazi-Opfer besonders verdeutlicht. Auch hier wurde die Zeremonie mit Flötenmusik eingeleitet. Der Tangermünder Bürgermeister mahnte in seiner Rede, dass das damals erlittene Unrecht sich nicht wiederholen darf.
Die Stadtführerjugend erinnerte in ihrer Rede an die Familienmitglieder der Familie Bernhard und an das, was sie unter den Nationalsozialisten erleiden mussten. An sie erinnern fortan sechs Stolpersteine: Paul Bernhard, geb. 1874 in Tangermünde und seine Frau Lilly, sowie deren Kinder Hilde (verheiratete Herzberg) und Heinz und deren Ehepartner Hugo Herzberg und Dora Bernhard. Paul Bernhard erkrankte aufgrund der Repressalien der Nazis schwer und verstarb in Tangermünde. Seine Frau Lilly wurde ins Warschauer Getto deportiert und fand dort oder einem Vernichtungslager den Tod. Erst nach 1945 erfuhren ihre Kinder, die sich mit ihren Ehepartnern in die USA retten konnten, vom Tod ihrer Mutter. Joanne Herzberg, die Enkelin von Hugo Herzberg und Hilde, geb. Bernhard verlas stellvertretend für Jerry Bernhard - dem in den USA lebenden Sohn von Heinz und Dora Bernhard - dessen Brief, den er anlässlich der Stolpersteinverlegung verfasst hatte. Joanne Herzberg war extra aus den USA angereist. Sie pendelt seit einigen Jahren zwischen St. Louis in den USA und Detmold in Deutschland.
Die Stolpersteinverlegung fand mit einer Festveranstaltung in der Salzkirche einen würdigen Abschluss. Obwohl die Kleidung zahlreicher Gäste gewiss noch nass war, ließen sie sich das Konzert mit hebräischen und jiddischen Liedern und Instrumentalstücken und Gedichten, vorgetragen vom Gospelchor der St. Petrikirche Seehausen, nicht entgehen.
So herrschte in der fast voll besetzten Salzkirche eine ganz besondere Stimmung. Zum Abschluss sangen Chor und Gäste gemeinsam ein bekanntes hebräisches Lied.
Ezequiel Max zeigte noch den jüdischen Chanukka-Leuchter, der aus dem Tangermünder Haushalt der Familie Markus stammte und den Helmut auf seiner Flucht nach Argentinien mitnahm. Dieser Leuchter wird von den Nachfahren von Helmut Markus immer noch benutzt und erinnert die Familie heute beim Chanukka-Fest nicht nur an die Wiedereröffnung des zweiten jüdischen Tempels in Jerusalem (164 v. Chr.), sondern auch an die schlimme Zeit und die Verluste, die ihre Vorfahren erlitten. Er dankte noch einmal den Organisatoren für diese Ehrungen. Dem schloss sich der Bürgermeister an. Er sprach auch die Hoffnung aus, dass zu diesen 11 Stolpersteinen noch weitere kommen werden, um auch an andere verfolgte und ermordete Tangermünder Juden zu gedenken und sie zu ehren. Petra Hoffmann verteilte abschließend kleine Geschenke an die Gäste, die sie an Tangermünde erinnern sollen.