Arthur und Getrud Conitzer mit Ruth (rechts vorn) und Dora Bernhard (links vorn).
Innenaufnahme des Kaufhauses zu DDR-Zeiten mit der originalen Einrichtung von den Conitzers.
Kaufhaus Lange Straße 41 in Jahre 2006 mit dem Geschäft New Yorker.
Der jüdische Kaufmann Aron Conitzer wurde am 1. März 1874 im westpreußischen Jeschewo an der Weichsel geboren. Später legte er seinen hebräischen Vornamen ab und nannte sich Arthur.
Nur wenige Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges heiratete er im Jahre 1914 seine 18 Jahre jüngere Braut Gertrud Jacob aus der nahegelegenen Kreisstadt Schwetz. An ein Eheleben war zunächst nicht zu denken, denn schon bald zog Arthur Conitzer für sein deutsches Vaterland als Soldat in den Kampf. Nach dem Krieg mussten er und seine Familie die seit Generationen angestammte Heimat Westpreußen auf Grund der Bestimmungen des Versailler Vertrages verlassen. So ließ er sich mit seiner Frau und den beiden Töchtern im Jahre 1920 in Tangermünde nieder. Ursula war damals kaum drei Jahre alt und Ruth noch ein Baby. Zur selben Zeit gründeten auch einige von seinen Geschwistern Kaufhäuser unweit von Tangermünde: sein Bruder Adolf Conitzer in Aschersleben, sein Bruder Leo Conitzer in Schönebeck und sein Schwager Nathan Arendt in Tangerhütte. Das Einheitspreisgeschäft (Epege) in Stendal gehörte Alfred Conitzer.
Das große Wohn- und Geschäftshaus in der Langen Straße 35 direkt am Hünerdorfer Tor, in dem die Conitzers ihr erstes Tangermünder Kaufhaus betrieben, war gerade neu errichtet worden. Die Kosten für die Pflasterung des erweiterten Gehweges vor dem Gebäude übernahm Arthur Conitzer persönlich.
Nicht unerwähnt soll ein Leserbrief im Tangermünder Stadtanzeiger aus dem Jahre 1999 sein: „Ich bin Herrn Conitzer immer noch sehr dankbar. In den schwierigen Jahren um 1923 haben sich viele Schüler in den Ferien oder nach Schulschluss bei Bauern auf dem Felde Geld verdient. Mein Mann auch. Er war damals zehn Jahre alt und wollte sich von dem verdienten Geld einen Anzug kaufen. Er ging mit seinem Vater in das jüdische Geschäft Conitzer. Plötzlich stellten sie fest, dass das Geld für den Anzug nicht reichte und wollten schon wieder den Laden verlassen. Da kam Herr Conitzer auf sie zu, klopfte dem Vater auf die Schulter und fragte: ‚Haben Sie alles nach Wunsch bekommen? Bei uns kauft man doch gut und preiswert.‘ Der Junge sagte: ‚Mir fehlt noch Geld.‘ Da strich Herr Conitzer den Preis durch und sagte: ‚Der Anzug gehört jetzt dir.‘ Wollte er damit dem Jungen ein Geschenk machen?“ Zehn Jahre später forderten die Nazis: Kauft nicht bei Juden!
Im Jahre 1932 erwarben die Conitzers das stattliche Wohn- und Geschäftshaus Lange Straße 41 gegenüber der Stephanskirche. Zur Einweihung spendierten sie ihrer Kundschaft hübsche Teller mit einer Widmung. Das Kaufhaus sicherte der Familie Conitzer einen gehobenen Lebensstandard, was sich in ihrer 7-Zimmer-Wohnung über dem Kaufhaus widerspiegelte.
Arthur Conitzer arbeitete aktiv im Vorstand der jüdischen Gemeinde mit. Seine Familie war mit der jüdischen Familie Bernhard eng befreundet, die ebenfalls ein großes Kaufhaus in der Tangermünder Innenstadt besaß. Oft waren sie bei Heinz und Dora Bernhard in der Albrechtstraße 14 oder auf Familienfeiern zu Gast.
Mit dem Machtantritt der Nazis 1933 und der damit verbundenen Entrechtung und Verfolgung von Juden begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen die Conitzers. Der von den Nazis verordnete Boykott von jüdischen Geschäften am 1. April 1933 traf sie hart. Der Verkauf ging in der Folgezeit spürbar zurück. Sie verloren ihre staatsbürgerlichen Rechte, wurden ausgegrenzt und aus der Tangermünder Geschäftswelt gedrängt. Ihre Hausbank kündigte ihnen den Kredit und verbreitete das Gerücht, die Conitzers seien zahlungsunfähig. Die Demütigungen verletzten Arthur Conitzer sehr, hatte er doch im Ersten Weltkrieg für sein deutsches Vaterland gekämpft. Das Eiserne Kreuz, das ihm für seine Tapferkeit im Kampf verliehen wurde, trug er demonstrativ an seiner Jacke.
Im Zuge der Arisierung waren die Conitzers gezwungen, ihr Wohn- und Geschäftshaus zu einem Spottpreis zu verkaufen. Nach den Gräueltaten der Reichspogromnacht im November 1938 zogen sie nach Berlin, weil sie es „… in dem kleinen Ort als Juden nicht aushalten konnten…“. So berichtete es ihre Tochter Ursula später.
Doch die Anonymität der Großstadt Berlin bot ihnen nur vorübergehenden Schutz, denn vom 1. September 1941 an wurden sie gezwungen, den stigmatisierenden Judenstern an ihrer Kleidung zu tragen.
Zunächst lebten sie mit ihren Töchtern in Berlin-Wedding in der Grüntaler Straße 37. Bald mussten sie in eine kleinere Wohnung in Berlin-Tiergarten, Krefelder Straße 7 umzuziehen.
Von dort wurden sie im Dezember 1942 in das Jüdische Krankenhaus in der Iraner Straße 2 verschleppt, das als Sammellager für die Berliner Juden zum Abtransport in die Vernichtungslager diente. Anfang Januar 1943 mussten sie in das als Sammellager missbrauchte jüdische Altersheim in der Großen Hamburger Straße 26 wechseln. Die vergitterten Fenster, Wachposten und Scheinwerfer verhinderten ein Entkommen. Die Insassen – vom Säugling bis zum Greis - mussten dort hungernd und frierend, wie Vieh zusammengepfercht auf dem nackten Fußboden bis zu ihrem Abtransport ausharren. Am 11. Januar 1943 wurde Arthur Conitzer von den Nazis gezwungen, eine Aufstellung seines verbliebenen Vermögens zu machen und es dem Staat zu übereignen. Am folgenden Tag ging es für Arthur und Gertrud Conitzer vermutlich zu Fuß in einer langen Kolonne, vielleicht auch auf der Ladefläche eines LKWs, zum Güterbahnhof Putlitzstraße in Berlin-Moabit. Dort wurden sie in Güterwaggons verladen. Bei der Ankunft in Auschwitz am nächsten Tag waren von den 1.196 Deportierten bereits 200 nicht mehr am Leben. Bei der Selektion an der Rampe wurden nur sehr wenige Männer als „arbeitsfähig“ bestimmt. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurden Arthur und Gertrud Conitzer direkt nach ihrer Ankunft in Auschwitz-Birkenau in die Gaskammer geschickt.
Arthur Aron Conitzer war zum Zeitpunkt der Deportation 68 Jahre alt, seine Frau Gertrud 50 Jahre alt.