Aufnahme in den 1950iger Jahren vor der neu geschaffenen Kulturstätte
Einweihungsfeier vor 65 Jahren am „Brunnen vor dem Tore“ in Gieboldehausen
„Am Brunnen vor dem Tore“. Dass alter Brauch und alte Sitte im Zuge unserer heutigen schnelllebigen Zeit mehr und mehr aussterben, beweist die Tatsache, dass bereits im Frühjahr 1960 ein Sprecher des NDR in der Sendung „Funkbilder aus Niedersachsen“ darüber Klage führte, dass ein NDR-Funkwagen Niedersachsens Dörfer kreuz und quer durchfahren sei, um eine Stätte inmitten eines Dorfes zu finden, an der unter einer alten Linde ein alter Ziehbrunnen und eine Bank ständen, auf der sich an warmen Frühlings- und Sommerabenden die Nachbarn nach getaner Arbeit zu einem erholsamen Gespräch zusammenfinden.
Diese Sendung wurde auch von einem hiesigen Schulmädchen gehört, das den NDR davon unterrichtete, dass in Gieboldehausen, nämlich auf der Obertorstraße 43, vor dem Hause Dreykluft, eine solche Stätte vorhanden ist. In einer späteren Sendung erfolgte dann eine kurze Reportage darüber. Aber nicht nur der Rundfunk, sondern auch der Landkreis Duderstadt ist inzwischen auf diesen Seltenheitswert aufmerksam geworden und hat den Brunnen unter der alten Linde vor dem Obertore gebührend renovieren lassen. Wie verlautet, soll am 15. Mai „Am Brunnen vor dem Tore“ eine schlichte Feierstunde stattfinden, an deren Durchführung und Gestaltung auch unsere Schulkinder beteiligt sein werden. Auch der Norddeutsche Rundfunk soll sich wieder angesagt haben. [1]
Groß war die Zahl der Einwohner und Gäste, die sich am Sonntagnachmittag, den 15. Mai 1960, an dem idyllisch gelegenen Plätzchen unter der alten Linde vor dem Obertor in Gieboldehausen eingefunden hatten, um an einer schlichten Einweihungsfeier der mit Hilfe des Landkreises Duderstadt geschaffenen Kulturstätte „Am Brunnen vor dem Tore“ teilzunehmen. Nach einem Vorspruch aus Goethes „Gesang der Geister über den Wassern“ und einem vom Schulchor gut vorgetragenen dreistimmigen Chorsatz „Es springt ein güldner Bronnen“ begrüßte Bürgermeister Dr. med. vet. Paul Emmerich die Anwesenden, insbesondere die Geistlichkeit, den Landtagsabgeordneten Baumeister Heinrich Engelhardt, Landrat Karl Diedrich, Schulrat Paul Kreuzer. Die Vertreter der Kreisverwaltung, den Kreisheimatpfleger Paul Buerschaper aus Bernshausen, das Lehrerkollegium und die Mitglieder des Gemeinderates.
Bürgermeister Dr. Emmerich dankte im Namen der Gemeinde der Kreisverwaltung und dem Kreistag für die tatkräftige Unterstützung, die die gründliche Renovierung des alten Ziehbrunnens in Gieboldehausen ermöglichte und die gesamte Neuanlage erstehen ließ. Besonderen Dank zollte er aber auch dem Kreistagsabgeordneten Willi Döring, der sich besonders aktiv für die Erhaltung und Erneuerung des Brunnens eingesetzt hatte.
Dr. Emmerich umriss dann die geschichtliche Entwicklung und den Wert der vor Jahrhunderten von unseren Ahnen und Urahnen angelegten Brunnen und betonte, dass gerade Einrichtungen dieser Art in unserer heutigen schnelllebigen Zeit allzu leicht vergessen und übersehen würden. Um diesen Gedanken im Menschen wieder wachzurufen und besonders in der Jugend den Heimatsinn zu wecken und zu fördern, sei diese besinnliche Stunde besonders angebracht und wertvoll.
Den Worten des Bürgermeisters folgten ein Gedicht, vorgetragen von einer Mittelschülerin, und ein dreistimmiger Chorsatz „Wenn alle Brünnlein fließen“, gesungen von dem Schulchor, dirigiert von Lehrer Heribert Gerlach.
Landrat Diedrich ging in seiner Ansprache davon aus, dass sich an diesem vertrauten Plätzchen unter der alten Linde im Laufe von zwei Jahrhunderten sicher schon viel Familiengeschichte abgespielt habe. Auch er habe mit dem Kreistag den Gedanken des Kreistagsabgeordneten Willi Döring sehr begrüßt und die Unterstützung zur Erhaltung dieses geschichtlichen Denkmals zugesagt. Die Heimatpflege, so betonte er, sei in der heutigen Zeit besonders nötig und zähle zu den wichtigsten Aufgaben der Gemeinden und des Staates.
Nach der Ansprache des Landrats Diedrich sang der Männerchor den vierstimmigen Satz von Komponist Karl Marx „Kein schöner Land in dieser Zeit“, es folgte das Gedicht „Am Brunnen“ von Gottfried Keller.
In seinem Schlusswort sprach Rektor Adalbert Dölle eingehend über die Bedeutung des Wassers und schilderte anschaulich die Notwendigkeit dieses wichtigen Urelements für Mensch, Tier und Wachstum. Abschließend brachte er zum Ausdruck, dass diese Stätte stets ein Plätzchen der Besinnung und Ruhe in der heutigen überhasteten und unruhigen Zeit sein möge. [2]
Mit dem gemeinsam gesungenen Lied „Am Brunnen vor dem Tore“ schloss die besinnliche Veranstaltung.
| [1] | Text aus der Südhannoverschen Volkszeitung (SV) vom 07.05.1960 |
| [2] | Bericht von der Einweihungsfeier in der SV vom 16.05.1960 |