Ein Neubeginn mit Tradition
Von den Anfängen des Frauenfußballs bis zur Neugründung in Hambühren
Am 24. Juli 2023 saßen 5,61 Millionen Menschen vor dem Fernseher, um das erste Spiel der deutschen Frauen-Nationalelf bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Australien zu sehen. Ein Zeichen dafür, wie populär Frauenfußball geworden ist. Diese Popularität hat auch lokale Auswirkungen, wie das Beispiel der Gemeinde Hambühren zeigt, wo im selben Jahr eine neue Frauenfußballmannschaft ins Leben gerufen wurde.
Hambühren hat allerdings eine lange Tradition im Vereinsfußball. Doch seit einigen Jahren fehlte es an einer Frauenmannschaft. Das änderte sich 2023, als der Wunsch nach einer solchen Mannschaft immer wieder aufkam. Marcel Kühne startete einen Aufruf auf Facebook, um Interessentinnen zu finden, wobei die Resonanz überwältigend war. So begann der SV Hambühren, unter der Leitung von Oliver Herzog, eine neue Frauenmannschaft aufzubauen.
Die Anfänge des Frauenfußballs: Pionierin Lotte Specht
Die Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland beginnt in den 1920er-Jahren, als Studentinnen erste Fußballspiele bei Hochschulmeisterschaften organisierten. Doch der eigentliche Startschuss fiel 1930 mit einer Zeitungsannonce in den Frankfurter Nachrichten. Lotte Specht, damals 19 Jahre alt, suchte nach anderen Frauen, um einen Fußballverein zu gründen. Sie erhielt rund 40 Rückmeldungen und gründete im selben Jahr mit 35 Frauen den 1. Deutschen Damen-Fußballclub (1. DDFC) in Frankfurt.
Die Presse reagierte zwiespältig auf diese Initiative: Während einige wohlwollend berichteten, kamen auch hämische Kommentare und sogar Beleidigungen. Die Spielerinnen wurden als „Mannweiber“ beschimpft, und es kam zu Steinwürfen. Die negativen Reaktionen waren so heftig, dass der 1.DDFC bereits 1931 wieder aufgelöst wurde. Auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) lehnte die Aufnahme des Vereins ab und erklärte später, dass Fußball „mit der Würde und dem Wesen der Frau unvereinbar“ sei.
Das Verbot und der Wiederaufstieg des Frauenfußballs
1955 verbot der DFB den ihm angeschlossenen Vereinen, Frauenmannschaften zu gründen oder zu führen. Schieds- und Linienrichter durften keine Spiele von Frauen leiten. Frauen spielten dennoch weiter Fußball, organisierten sich in unabhängigen Verbänden und spielten Länderspiele, die teilweise tausende Zuschauer anzogen.
1970 hob der DFB das Verbot auf, stellte jedoch ungleiche Bedingungen: Frauen mussten mit einem Jugendball spielen, durften keine Stollenschuhe tragen, und die Spiele dauerten nur zwei Mal 30 Minuten, im Gegensatz zu den üblichen zwei Mal 90 Minuten. Trotz dieser Einschränkungen wuchs die Zahl der fußballspielenden Frauen stetig.
Meilensteine im Frauenfußball
Ein bedeutender Meilenstein war die Europameisterschaft 1989, bei der die deutsche Frauen-Nationalmannschaft den Titel gewann. Das Turnier fand in Deutschland statt, und das Finale gegen Norwegen verfolgten 22.000 Zuschauer im Stadion in Osnabrück. Der Sieg brachte den Spielerinnen öffentliche Anerkennung, doch finanziell blieb die Unterstützung bescheiden: Als Prämie erhielten sie ein Kaffeeservice von Villeroy & Boch.
1991 fand die erste Frauenfußball-Weltmeisterschaft unter der FIFA statt, die USA gewannen den Titel. Deutschland siegte erstmals 2003 und wiederholte den Erfolg 2007. Trotz dieser Erfolge und einer Million fußballspielender Frauen in Deutschland ist die Gleichstellung der Geschlechter im Fußball noch immer nicht erreicht: Die Prämien für Frauen sind nicht nur deutlich geringer, werden auch, anders als bei den Männern, an die Verbände — in Deutschland also dem DFP — ausgezahlt.
Diesen Nachteilen zum Trotz fand im August 2023 das erste Probetraining der neugegründeten Hambührener Frauenfußballmannschaft statt, an dem acht Spielerinnen teilnahmen. Dieser Beginn markierte den Startpunkt für eine Mannschaft, die inzwischen auf 20 aktive Spielerinnen angewachsen ist. Der SV Hambühren hatte bereits vor zwei Jahrzehnten eine erfolgreiche Frauenmannschaft, die jedoch aufgelöst wurde. Die Neugründung war daher nicht nur ein Schritt nach vorne, sondern auch eine Rückkehr zu alten Erfolgen.
„Die größte Herausforderung war eigentlich nur, genügend Spielerinnen zusammen zu bekommen, um eine Mannschaft anmelden zu können. Dies war aber zum Glück kein Problem, da wir mittlerweile 20 aktive Spielerinnen haben“, so die Mittelfeldspielerin Jasmin Cammann. Der Enthusiasmus und die Unterstützung innerhalb des Vereins und der Gemeinde waren von Anfang an spürbar.
Gesellschaftliche und sportliche Akzeptanz
Die Spielerinnen des SV Hambühren betonen, dass es keinerlei gesellschaftliche Widerstände gegen die Gründung der Frauenmannschaft gab. Im Gegenteil, die Unterstützung war enorm. „Wir wurden vom Verein gut aufgenommen, und auch die Frauenmannschaften anderer Vereine haben uns super unterstützt“, berichtet z.B. die im linken Mittelfeld spielende Kimberly Soppa. Besonders der SV Altencelle zeigte großen Zuspruch und half bei der Integration der neuen Mannschaft in die lokale Fußballszene.
Trainings- und Spielbetrieb
Die neue Frauenmannschaft trainiert zweimal pro Woche, montags und donnerstags, jeweils um 19 Uhr. Die Spiele finden während der Saison an den Wochenenden statt. Die Mannschaft besteht aus drei Trainern und 19 Spielerinnen, darunter zwei Kapitäninnen und ein Mannschaftsrat. „Am Anfang hatten wir eine Trainerin, Veronique Dettmar, die aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste. Oliver Herzog übernahm daraufhin das Training und führt die Mannschaft mit viel Engagement“, erzählt die Abwehrspielerin Robyn-Anne Leoniec.
Die Unterstützung kommt nicht nur aus den eigenen Reihen. Auch die Herrenmannschaften und die Fans des SV Hambühren zeigen großes Interesse und feuern die Frauen bei ihren Spielen an. „Unser Sport- und Anlagenwart Eddi hat uns sogar die Trikots gesponsert“, fügt Soppa hinzu.
Der Einfluss des DFB und die gesellschaftliche Wahrnehmung
Anders als zu erwarten sehen die Spielerinnen den Erfolg der Frauenfußball-Nationalmannschaft und die steigende Popularität des Frauenfußballs nicht als Einfluss auf das lokale Engagement. „Ich finde, dieser Verein ist wie eine große Familie und wir wurden komplett herzlich aufgenommen. Bei Auswärtsspielen merkt man auch, wie viele von uns immer mitkommen“, berichtet Soppa. Der Enthusiasmus und die Gemeinschaft sind spürbar und tragen zur positiven Entwicklung bei.
Herausforderungen und Erfolge
Obwohl die Mannschaft erst seit kurzem existiert, kann sie bereits auf einige Erfolge zurückblicken. Das Unentschieden gegen den SV Altencelle war ein Highlight für die Spielerinnen. Doch es gab auch Niederlagen, die jedoch nicht den Mut und die Motivation der Mannschaft minderten. „Wir sind so viele unterschiedliche Charaktere, aber dennoch sind wir zu einem unzertrennlichen Team geworden“, betont Leoniec.
Eine der größten Herausforderungen besteht in der Finanzierung und Organisation von Trainingscamps und der weiteren Entwicklung der Mannschaft. „Wir brauchen natürlich Geld. Da die Mannschaft noch jung ist, ist das Vereinsgeld schon verplant. Wir sind aber schon dabei, die Mannschaftskasse zu befüllen“, erklärt Leoniec.
Zukunftspläne und Visionen
Für die kommende Saison steht der Einstieg in die Kreisklasse auf dem Plan. Die Mannschaft hat klare Ziele: sich weiterentwickeln, Erfolge erzielen und als Team wachsen. Ein Trainingscamp soll dabei helfen, die Spielerinnen optimal auf die Saison vorzubereiten. „Ein Trainingscamp ist, wenn man sich übers Wochenende oder sogar über eine ganze Woche z.B. an die Ostsee begibt und dort dann von morgens bis abends, natürlich mit Pausen dazwischen, trainiert“, erläutert die Torwärtin und Abwehrspielerin Alexandra Hitz. Hierfür werden allerdings finanzielle Mittel benötigt, die jede Spielerin andernfalls selber aufbringen muss.
Fazit: Frauenfußball in Hambühren – ein lebendiges Beispiel für Engagement und Gemeinschaft
Die Gründung der Frauenfußballmannschaft in Hambühren zeigt, wie viel Engagement und Gemeinschaftssinn in einer kleinen Gemeinde möglich sind. Die Unterstützung aus dem Verein, der Gemeinschaft und anderen Mannschaften hat dazu beigetragen, dass der Frauenfußball in Hambühren einen festen Platz gefunden hat. Mit Blick auf die kommende Saison und die weiteren Ziele zeigt sich, dass der Frauenfußball hier nicht nur angekommen ist, sondern auch eine vielversprechende Zukunft hat.
Die Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland, von den Anfängen mit Pionierinnen wie Lotte Specht bis hin zu den aktuellen Erfolgen der Nationalmannschaft, hat gezeigt, dass der Weg nicht immer einfach war. Doch der unerschütterliche Wille und die Leidenschaft der Spielerinnen haben den Frauenfußball zu dem gemacht, was er heute ist – ein integraler Bestandteil des deutschen Sports und der Gesellschaft. Hambühren trägt zu dieser Entwicklung bei und blickt optimistisch in die Zukunft.