Rathen, am 11. Juni 1944
Das Blümlein
Der blaue Himmel fällt mir ein,
ist´s auch auf Erden kalt und grau,
und ich kann wieder fröhlich sein,
wenn ich ein kleines Blümlein schau,
es wird genannt „Vergiß-nicht-mein“.
Sieh dir das Wunder näher an!
Ein Ring, ein Sternchen, Blätter zart…
Kein Künstler formt aus Porzellan,
kein Maler zeichnet solcherart,
als die Natur dies bilden kann.
Darum hab ich dieses Blümlein gern,
nicht um den Namen dessen.
Ich bitte dich nicht, bist du fern,
du sollst mich nicht vergessen,
denn ich vertraue dir, mein Mann!
Meine geliebte Irmgard!
Eine wunderschöne Sitte scheinst Du inzwischen eingeführt zu haben, mir an jedem Sonntag ein Gedicht zu machen. Ich würde mich sehr freuen, könntest Du diesen Brauch der vergangenen drei Wochen fortsetzten. Die Gedichte gefallen mir sehr gut, und ich staune über Dein vollendetes Können auf diesem Gebiet. Schade, dass ich davon nicht früher etwas merkte, es stimmt halt doch, dass man erst eine Weile verheiratet sein muss, um sich ganz kennen zu lernen. Gemeint ist bei dieser Redensart allerdings, dass sich schlechte Eigenschaften zeigen, doch bei Dir konnte ich bisher nur gute entdecken.
Den ganzen Tag über denke ich heute schon besonders oft an Dich, denn auf meinem Arbeitsplatz habe ich heute ein neues Bild von Dir aufgestellt. Das Foto von Dir, aufgenommen vorm Raupennest in Altenberg, auf dem Du mich anlächelst, habe ich vergrößern lassen. Bisher war in dem kleinen Silberrahmen die Aufnahme aus Tammul, Du morgens am See. Diese Aufnahme würde für die Jahreszeit jetzt ja wohl besser passen, aber auch die Winteraufnahme passt gut, denn bei uns ist gegenwärtig noch lange nicht Sommer. Hoffentlich habt Ihr wenigstens besseres Wetter…
Mein Liebling, wenn ich nun mit dem Schreiben an Dich aufgehört habe, dann ist damit aber meine Verbindung zu Dir für heute noch nicht abgerissen, denn ich werde weiter an Dich denken.
Herzlichste Grüße Dir
Von Deinem Horst.