Diana Gring war Referentin beim Isral-Sonntag. Das Foto ist von Christoph von der Ohe, der Text von Susanne Zaulick.
hr/gs „Es spielt keine Rolle, ob wir Juden, Christen oder Muslime sind, wir sollten menschlich miteinander umgehen“. Leonard Lewin, Überlebender des KZ Bergen-Belsen, hat diesen Satz im April im Rahmen einer Gedenkveranstaltung an der (Bahn-)Rampe bei Bergen gesagt. Am „Israel-Sonntag“ am 24. August, zu dem der Arbeitskreis Christen und Juden in Hermannsburg ins Ev. Bildungszentrum eingeladen hatte, zitierte Diana Gring seinen Appell, der auch ein Stück weit die Motivation des 1996 gegründeten Arbeitskreises widerspiegelt.
Die Historikerin und Kuratorin der Gedenkstätte Bergen-Belsen gab an diesem Spätsommerabend Einblicke in ein Interview-Projekt, das im Laufe der vergangenen 26 Jahre einen Fundus von 455 Gesprächen audiovisuell dokumentiert hat. Menschen aus 27 Ländern haben nicht nur das Leben und Sterben im Konzentrationslager Bergen-Belsen geschildert, sondern auch, wie diese Erfahrung ihren weiteren Lebensweg geprägt hat.
Da ist der inzwischen 100 Jahre alte Albrecht Weinberg, der 1925 in eine jüdische Familie in Ostfriesland hineingeboren wurde. Seine Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Er überlebte mehrere Lager, emigrierte nach dem Krieg in die USA und kehrte 2012 nach Deutschland zurück, wo er an Schulen oder Jugendzentren wie der CD-Kaserne Celle über sein Leben spricht. Ein Foto zeigt ihn auf einer Demonstration für Demokratie und Vielfalt – im Jahr 2025. Er hat seine Erinnerungen in einem Buch festgehalten und in seiner ostfriesischen Heimat das Verlegen von „Stolpersteinen“ initiiert.
Zahllose Überlebende haben für solche Aktivitäten keine Kraft. Diana Gring schildert, wie sich ein roter Faden von Identitätsproblemen, multiplen Traumata, Depressionen, Beziehungsstörungen, Verlustängsten oder Entfremdungsgefühlen durch die Leben vieler Überlebender zieht. Davon betroffen ist oft auch die nächste Generation. Zum Beispiel, wenn ein Vater mit KZ-Erfahrung seinen Sohn schlägt, weil dieser einfache Lebensmittel wie einen Apfel nicht wertschätzt.
„Die Befreiung war oft der Anfang einer Odyssee“, sagt die Historikerin. Der Verlust der Eltern oder anderer naher Angehöriger löste sich nach der Befreiung nicht in Luft auf. Kinder, deren Eltern im KZ umgekommen waren, mussten sich in Waiseneinrichtungen zurechtfinden, ohne zuvor jemals ein „normales Alltagsleben“ kennengelernt zu haben. Wer nach Israel auswanderte, sei dort nicht selten mit dem Vorwurf konfrontiert worden, die Juden in Deutschland hätten sich mehr wehren müssen. In Deutschland selbst wurde in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg in den Familien und in der Öffentlichkeit überwiegend geschwiegen über das, was passiert war. Und so schwiegen auch die Opfer.
Die Bewältigung von Traumata war eines der Themen, die im anschließenden Gespräch mit den knapp 40 Besucherinnen und Besuchern weiter vertieft wurden. Auf eine Phase des Schweigens nach dem Krieg sei die Phase der „Reden hilft immer“-Devise gefolgt. Heute versuche man, eher intuitiv zu erspüren, was das Beste für die betroffene Person sei, berichtete Diana Gring, die für ihre Interviews eine zusätzliche Ausbildung im Bereich Psychotraumatologie absolviert hat.
Sie erwähnt auch all jene, mit denen sie kein Interview führen konnte, weil sie keinen Kontakt zu deutschen Institutionen oder Menschen wollen, weil sie physisch und/oder psychisch nicht in der Lage sind, über ihre Erfahrungen zu sprechen, oder weil sie sich bewusst dagegen entschieden haben.
Am Ende der Veranstaltung stand der Dank von Dr. Albrecht Schack vom Arbeitskreis Christen und Juden an die Referentin, gemeinsam gesungene Friedenslieder und ein Appell von Diana Gring: „Wir müssen schauen, wo es jetzt hingeht, und klar machen, auf welcher Seite wir stehen, als demokratische Gesellschaft.“