Hans-Georg Conrady - Die Mentorinnen und Mentoren anlässlich der Feier zum 10-jährigen Bestehen unserer Gruppe vor der Eine-Welt-Kirche.
„Ist das nicht so, Lesementoren sind immer Rentner?“ fragt mich „Lesekind“ Pia an unserem ersten Tag. Ihre Vermutung hat einen guten Grund: Wer an Pias Grundschule Kinder beim Lesen lernen betreut, ist in der Regel nicht mehr berufstätig. Das ist natürlich keine Bedingung, um Lesementorin oder Lesementor zu werden, hilft aber in puncto Flexibilität und Ausdauer, um dieses Ehrenamt auszuüben. Jetzt, zum neuen Schuljahr, wird vor allem an den Grundschulen in Schneverdingen und Neuenkirchen wieder neu überlegt: Welche Kinder brauchen Unterstützung, welche haben sich durch Unterstützung soweit vorgearbeitet, dass sie auf „ihre“ Mentoren verzichten können? Eines ist vorn vornherein klar: Wir brauchen noch viel mehr Lese-Lernhelfer!
Bekanntermaßen klagen Lehrer und Arbeitgeber seit Jahren, dass Kinder und Jugendliche immer schlechter lesen und folglich schreiben können. Wer noch die kuscheligen Zeiten kennt, in denen Eltern oder Großeltern den Kleinen aus Büchern vorgelesen und damit Lust auf mehr gemacht haben: Das ist für viele Kinder heute vorbei; schätzungsweise jedes fünfte Kind kommt in die Schule, ohne diesen Kontakt mit einem Buch gehabt zu haben. Beim Lesen lernen geht es nicht darum, künftige „Bücherwürmer“ heranzuziehen, sondern um eine zentrale Fähigkeit für das künftige Leben: Das Textverständnis! Den Sinn des Geschriebenen zu verstehen, ist ohne Zweifel wichtig für amtliche Papiere, für Aufgaben in Beruf oder Studium, für geschäftliche Transaktionen oder auch, um später „zwischen den Zeilen“ verstehen zu können, was zum Beispiel politische Parolen bedeuten können. Klingt alles sehr weit weg, aber in der Grundschule wird buchstäblich der Grund für diese Lebenstüchtigkeit gelegt. Darum ist dieses Ehrenamt so wichtig.
Aber man sollte sich auch nicht fürchten vor der Aufgabe, sie ist ganz bodenständig und ganz individuell zu gestalten: Die Klassenlehrerin einer Grundschule zum Beispiel wendet sich an den Mentor-Verein im Mehrgenerationenhaus Schneverdingen und berichtet, welche Mädchen, welche Jungen welchen Alters Hilfe gebrauchen könnten. Dies geschieht in Abstimmung mit den Eltern, die oft erleichtert sind, dass sie Unterstützung bekommen, weil sie selbst wenig Zeit haben oder vielleicht aufgrund anderer Herkunft Lücken in der deutschen Sprache haben. Die Koordinatorin Angelika Schönberg im Mehrgenerationenhaus bemüht sich dann, Mentoren für diese Kinder zu vermitteln.
37 Frauen und 9 Männer sind zur Zeit in Schneverdingen und Neuenkirchen in den Schulen aktiv, die Alterspanne reicht von 55 bis 88 (!). Neuzuwachs jeden Alters ist herzlich willkommen; mit einer „Schnupperstunde“ an der Seite eines schon Aktiven kann man sich orientieren, wie sich so eine Lernstunde gestalten lässt. Das ist das Grundprinzip: Einmal pro Woche mit einem Kind eine Dreiviertelstunde zu verbringen. Das geschieht vor oder nach dem eigentlichen Unterricht in der jeweiligen Schule. Nicht rasante Lernfortschritte sind das Wichtigste, sondern, so sagt Angelika Schönberg: „Wenn sich ein Erwachsener für sie allein eine intensive Stunde Zeit nimmt, ist das für die Kinder schon sehr kostbar.“ Sie werden mit der Zeit selbstbewusster und trauen sich mehr zu, es nimmt ihnen die Angst vor der Schule.
Wie die Mentorin/der Mentor die Stunde gestaltet, hängt ganz von der eigenen Persönlichkeit und den Voraussetzungen des Kindes ab. Patentrezepte gibt es nicht. Wichtig ist nur: Geduld, Geduld, Geduld. Und: Nicht den eigenen Bildungsanspruch auf die Kinder übertragen: Mit Comics und Graphic Novels lässt sich auch die Leselust anstacheln. Wer selbst kinderlos ist und die neusten Trends nicht kennt, bekommt ausführliche Hilfe in der Stadtbibliothek: Jemand wie Bibliothekar Christian Kahle weiß punktgenau, welches die aktuellen Renner bei Jungen und Mädchen sind – und dann gibt es noch die wöchentliche „Kinderzeitung“, die bundesweit erscheint. Sie hat kurze Texte und bietet kleine Tests, mit dem man herausfindet, ob das Kind den Inhalt nicht nur lesen kann, sondern auch verstanden hat. Dazu lustige Rätsel, die Sprachverständnis und Vokabular trainieren. Außerdem gibt Material wie Buchstabenspiele im Mehrgenerationenhaus.
Aber wir sind keine Lehrer/innen, wir „dürfen“ dem Kind auch Luft schnappen vom Lernen gönnen, vielleicht mal einen Flummi mit Wasser zaubern oder beibringen, wie ein Fahrradreifen geflickt wird. Alles was hilft, die Neugier und das Selbstbewusstsein der Kinder zu fördern, kann nur gut sein. So gibt es immer etwas Neues über Menschen zu lernen, auch und gerade für die Mentoren.
Beim ersten Kennenlernen hilft ein Fragebogen, in dem Lesekind und Mentor/in von sich erzählen. Bei der Frage nach dem Lieblingshit konnte ich – trotz hohen Alters – damit punkten, dass ich die junge Sängerin Nina Chuba kenne. Umgekehrt wusste Pia nicht, wer Udo Lindenberg ist. Der Hinweis auf den Song „Komet“ half: „Ach, das ist der alte Mann, der mit Apache singt?“. Genau, mit Lachen kommt man sich näher. Sehr zu empfehlen, diese Aufgabe!
Für Interessierte gibt es eine Einführung am Dienstag, 26. August, um 17.30 Uhr im Mehrgenerationenhaus, Osterwaldweg 9. Anmeldungen oder weitere Fragen unter mentor@mgh-schneverdingen.de (Telefon: 05193-9769889) oder bei Angelika Schönberg unter 05193-52552