Was wir aus Krankentagen lernen können
Es beginnt oft ganz harmlos. Ein Ziehen im Arm, ein unglücklicher Tritt, ein Sturz – und plötzlich steht alles still. Der Terminkalender, der noch bis zum Rand gefüllt war, verliert über Nacht seine Bedeutung. Das Handy bleibt stumm, Meetings werden abgesagt, Projekte verschoben. Der Alltag macht Pause – aber nicht freiwillig.
Auch ich wurde vor Kurzem jäh aus meinem gewohnten Rhythmus gerissen. Eine Fraktur, eine Operation, Krankenhauszimmer statt Büro, Schmerzmittel statt To-do-Listen. Zuerst war da Trotz, Wut vielleicht sogar. Ich hatte Pläne, Verpflichtungen, Termine – und plötzlich war mein einziger Tagesordnungspunkt das Gesundwerden.
Doch je länger der erzwungene Stillstand andauerte, desto mehr begann sich etwas zu verschieben. Ich beobachtete die Welt durch ein neues Zeitfenster. Was vorher belanglos erschien, wurde bedeutend: das erste Aufstehen ohne Hilfe, ein freundlicher Gruß des Pflegepersonals, ein frischer Tee, das erste Mal wieder etwas mit dem rechten Arm, der rechten Hand tun zu können. Ich begann zu merken, wie selten ich im gesunden Zustand solche Dinge überhaupt wahrnahm.
Krankentage sind keine verlorene Zeit, auch wenn sie sich so anfühlen. Sie sind eine Art Reset – für den Körper, aber auch für den Geist. Man begegnet sich selbst auf eine ungewohnte Weise. Ohne den Lärm des Alltags kommen andere Stimmen zu Wort: die der Erschöpfung, die der vernachlässigten Bedürfnisse – aber auch die der Dankbarkeit.
Ich habe gelernt, dass Gesundheit nicht selbstverständlich ist – und dass unsere Selbstverständlichkeit manchmal gefährlich nahe an Selbstvergessenheit grenzt. Ich habe gelernt, Hilfe anzunehmen – und vor allem: Geduld mit mir selbst zu haben.
Wenn der Alltag plötzlich Pause macht, dann ist das auch eine Einladung. Eine unbequeme, aber wertvolle. Eine Chance, innezuhalten, zu prüfen, zu ordnen – und vielleicht auch, dem Leben danach mit etwas mehr Achtsamkeit zu begegnen.
Krankheit macht uns nicht nur schwächer. Sie kann auch etwas sehr Stilles, Kraftvolles in uns freilegen – wenn wir bereit sind, hinzuhören.
Wenn wir irgendwann zurückkehren in unser normales Leben, nehmen wir vielleicht ein kleines Stück dieser Erkenntnis mit – als stillen Begleiter in der Hektik des Gesunden.