Auf dem Marktplatz im Unterdorf könnte die Main-Line halten und wenden, um zurück zum Oberdorf zu fahren.
Smart, grün und einwohnerfreundlich – die Stadt der Zukunft muss viele Bedingungen erfüllen. Dies bedeutet einen Spagat zwischen notwendigen Änderungen für Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit sowie Interessen und Bedürfnissen der Bevölkerung. Doch die Anstrengungen lohnen sich, ist man sich bei der Stadt Kelsterbach sicher.
Im Zuge der Digitalisierung sowie den Klimaanpassungsmaßnahmen, wie dem Pflanzen von 1000 klimatoleranten Bäumen und der kommenden Starkregenkarte, hat man sich in der Verwaltung andere Städte in Deutschland sowie europäische Metropolen angesehen und möchte von diesen lernen. „Es ist unumgänglich, dass wir die smarte und klimaresistente Stadt weiterdenken, ja sogar um die Ecke denken müssen, wenn wir es ernst meinen“, sagt Bürgermeister Manfred Ockel. Dazu gehört auch der Ausbau an Elektromobilität sowie weitere Verkehrsberuhigungen und eine autofreie Innenstadt.
Prominentes Beispiel ist aktuell Paris, das nach einer Volksabstimmung bald rund 500 Straßen für Autos sperren will. Paris plant für die Umsetzung drei bis fünf Jahre ein. Der Pariser Weg ist in Deutschland nicht möglich, denn hier können nicht einfach Straßen per Bürgerabstimmung gesperrt werden und auch die Interessen von ansässigen Händlern müssen beachtet werden. Doch deutsche Städte wie Leipzig, Hannover oder Essen zeigen, wie eine autofreie Innenstadt funktionieren kann.
So gilt im gesamten Leipziger Stadtgebiet Tempo 20 und Autos dürfen nur auf gekennzeichneten Flächen und zeitlich begrenzt parken. Hannover geht einen Schritt weiter und möchte möglichst bis 2030 autofrei sein. Autos können statt auf innerstädtischen Parkplätzen in Parkhäusern geparkt werden. Eine extreme Kehrtwende hat aber wohl Essen gemeistert. Die ehemalige Kohle- und Stahl-Stadt im Ruhrgebiet hat bereits 2023 den Titel „Grüne Hauptstadt Europas“ erhalten. Geschafft hat das die Stadt, weil sie 2022 den „Sustainable Energy and Climate Action Plan“ verabschiedet hat, ein gesamtstädtisches Klimakonzept, das eine mittelfristig angestrebte Klimaneutralität darlegt. Zentraler Punkt ist dabei die Mobilitätswende. Die autogerechte Stadt sei dabei ein Auslaufmodel. Der Essener Stadtrat möchte eine Stadt mit mehr Aufenthaltsqualität schaffen, den Verkehr aber nicht aus der Stadt verbannen. Stattdessen soll er zu 75 Prozent durch ein gut ausgebautes Netz von umweltfreundlichem, öffentlichen Nahverkehr ersetzt werden. Für die restlichen 25 Prozent privaten Straßenverkehrs soll eine Wende hin zur Elektromobilität geschafft werden.
Dass dies funktioniert, zeigt wiederum die Stadt Gent, die zweitgrößte Stadt in Belgien. Seit 2017 findet sich in der Innenstadt die größte verkehrsberuhigte Zone Europas. Die Vorlaufzeit hierzu reicht jedoch bis in die 1970er Jahre zurück. Heute gibt es dafür autofreie sowie reine Fahrradstraßen. Der innerstädtische Verkehr ist auf Umgehungsstraßen ausgelagert und lediglich Busse und Straßenbahnen dürfen in der Innenstadt fahren. Wer sein Auto parken möchte, kann dies entweder auf kostenfreien Park und Ride Parkplätzen außerhalb der Stadt – und mit Bussen oder Mieträdern in die Stadt fahren – oder kostenpflichtige Parkplätze in der Stadt in unterirdischen Parkhäusern nutzen.
Gerade bei diesem Praxisbeispiel klingeln bei den Beauftragten für Klimaschutz, Nahverkehr sowie ehrenamtlichem Fahrradbeauftragten die Ohren. Auch Bürgermeister Ockel ist angetan und sagt: „Wir haben bereits mit dem SIGGI einen individuell nutzbaren Service der öffentlichen Verkehrsmittel“. Dieser könne weiter ausgebaut werden und auch eine im Dauerbetrieb fahrende Linie, die zwischen Ober- und Unterdorf – konkret zwischen Integrierter Gesamtschule bis Marktplatz im Unterdorf – pendelt wäre denkbar. Diese Linie könnte auf dem Marktplatz halten, wenden und wieder zurück in das Oberdorf fahren. Ein Arbeitstitel hierfür existiert bereits: Die Main-Line.
Gleichzeitig erweitert die Stadt bereits die Infrastruktur für Elektromobilität und auch der Radschnellweg entlang des Mainufers ist ein zentraler Baustein in der Mobilitätswende. Eine radfahrerfreundliche und autofreie Innenstadt mit einem autoarmen Radius, in dem Privatfahrzeuge nicht mehr an der Straße geparkt werden dürfen, hätte dabei gleich mehrere Vorteile: Die Luftqualität bessert sich, die Feinstaubbelastung nimmt ab, der Lärmpegel verringert sich und die Quote der Straßenverkehrsunfälle könnte weiter drastisch gesenkt werden. Letztlich kämen verkehrsberuhigte Zonen auch der Freiwilligen Feuerwehr zugute, die darauf aufmerksam macht, dass zugeparkte Straßen eine echtes Sicherheitsrisiko sind und im Ernstfall die Rettung verhindern können.
Wo der Bereich der autofreien Innenstadt exakt verlaufen soll, ist noch nicht beschlossen. Aktuell werden mehrere Szenarien durchgespielt und auch mit anderen Städten ist man im Gespräch. Die Mörfelder Straße eigne sich hierfür jedoch hervorragend, so Ockel. Würde dieser Bereich sowie die angrenzenden schmalen Straßen nur noch für den ÖPNV und Anlieferungsdienste freigegeben sein sowie der Sandhügelplatz weiter begrünt werden – durch die wegfallenden oberirdischen Parkplätze – könne man in kürzester Zeit einen ruhigen öffentlichen Raum mit hoher Aufenthaltsqualität generieren, ist sich Ockel sicher – eben eine Stadt der Zukunft. (ana, Bild: wö)