von links: Frank Wiegand, Georg Germann, Kerstin Geis, Filippo Rinallo, Manfred Ockel, Günter Schneider.
Der 1. Mai ist als Feiertag der Arbeit gewidmet und für die Gewerkschaften ein Anlass, auf Maikundgebungen ihre Anliegen zu artikulieren. In diesem Sinne hatte der Kelsterbacher Ortsverband des Deutschen Gewerkschaftsbundes in den Sportpark eingeladen, wo zunächst in der Aula eine Kundgebung abgehalten und anschließend auf dem Sportparkareal ein buntes Familienfest gefeiert wurde.
Zur Kundgebung waren rund 30 Personen gekommen, darunter viele Mitglieder der Kelsterbacher politischen Gremien. Der Vorsitzende des DGB-Ortsverbands Kelsterbach, Georg Germann, kam in seiner Begrüßung auch auf aktuelle politische Themen zu sprechen. So lobte er die im Koalitionsvertrag für die nächste Bundesregierung verabredeten Investitionen in die Infrastruktur, etwa in die Schiene, in Schulen, Wohnungen, soziale Sicherung, Digitalisierung und Klimaschutz. Er erinnerte außerdem an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren. Neben dem Bekenntnis zum Frieden sei „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ die zentrale Erkenntnis aus der Geschichte, sagte Germann.
Als Hauptredner hatte der DGB den Verdi-Gewerkschaftssekretär Filippo Rinallo eingeladen. Dieser hielt ein Plädoyer dafür, Reiche und insbesondere Milliardäre bei der Finanzierung der staatlichen Aufgaben stärker in die Pflicht zu nehmen. Das reichste eine Prozent der Menschheit verursache genauso viel Treibhausgas Kohlendioxid wie die ärmsten fünf Milliarden. Nur vier Prozent der weltweit gezahlten Steuern stammten aus Vermögen. In Deutschland gebe es 249 Milliardäre und neun Billionen privates Vermögen, zugleich aber auch viel Armut, die jeden Tag in der Öffentlichkeit zu sehen sei. Die Vermögen seien sehr ungleich verteilt und die Einkommensschere weit geöffnet, begründete Rinallo seine Forderung nach höheren Steuern für Superreiche. Dass viele Kommunen und Landkreise keine ausgeglichenen Haushalte mehr vorlegen könnten, sei ein strukturelles Problem, denn Reiche beteiligten sich nicht an der Finanzierung des Staates. Auch die Kommunen müssten eine andere Fiskalpolitik fordern, fügte Rinallo an. Zu den vor dem Abschluss stehenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst sagte der Gewerkschafter, die Arbeitgeber hätten gesagt, es sei kein Geld da. Tatsächlich sei es aber woanders, man müsse es sich nur holen, schloss Rinallo.
Die Landtagsabgeordnete Kerstin Geis sprach sich in ihrem Grußwort dafür aus, dass starke Schultern das tragen, was schwache Schultern nicht tragen können. Dass sich die im Bund künftig regierenden Parteien deutlich zur Tariftreue bekennten, freue sie, sagte Geis. Kritische Worte fand sie für den Umstand, dass Frauen schlechter bezahlt würden als Männer. Insbesondere in den Kommunen müsse mittels Kindertagesstätten die Möglichkeit geschaffen werden, Kinder und Beruf vereinbaren zu können, folgerte sie.
Bürgermeister Manfred Ockel zeigte sich froh über die Tarifeinigung, zwar müssten die Steigerungen finanziert werden, aber die Kommunen würden nicht durch Streiks lahmgelegt. Auch er unterstrich die Wichtigkeit der Tarifbindung. Fast alle Kommunen hätten defizitäre Haushalte, fuhr er fort, größter Ausgabenfaktor sei die Kinderbetreuung. An deren Kosten trügen die Kommunen den Hauptanteil. Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, müsse das Land Hessen sich wesentlich stärker beteiligen, die Kommunen besser finanziert werden. Den Landesrechnungshof kritisierte Ockel dafür, dass dieser Teile der kommunalen Infrastruktur infrage stelle – sie werde aber gebraucht. Fordere man von gemeinnützigen Vereinen Miete für die Nutzung kommunaler Einrichtungen, so dränge man Menschen an den Rand der Gesellschaft, so der Bürgermeister. Es gelte, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, Menschen dazu zu bewegen, sich für die Demokratie zu engagieren, schloss er.
Stadtverordnetenvorsteher Frank Wiegand sagte in seinem Grußwort, beim 1. Mai gehe es um Respekt, Anerkennung und Gerechtigkeit. Arbeit verdiene Wertschätzung – nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten – und das nicht nur am 1. Mai, sondern jeden Tag. Er unterstrich die Bedeutung und Wichtigkeit von Tarifbindung, sie sei unverzichtbar, sichere den Wohlstand und schütze vor Ausbeutung. Die Vorstellung, Gewerkschaften seien nicht nötig, sei falsch, sagte Wiegand. Denn nur gemeinsam sorge man für faire Löhne, bessere Arbeitszeiten und -bedingungen sowie Solidarität und Ausgleich für die Schwächeren, gemeinsam stemme man sich gegen eine Marktliberalisierung nach angelsächsischem Vorbild. Dazu brauche es starke Gewerkschaften, denn ohne starke Tarifverträge, ohne gelebte Mitbestimmung gebe es keine soziale Marktwirtschaft. Wiegand sprach sich auch für die Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro als ersten Schritt aus. Die Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft, Anpassungen und Änderungen seien nötig, etwa Leitplanken für den digitalen Sektor. Es gelte, das Ziel der sozialen Marktwirtschaft – Wohlstand für alle – weiter zu erhalten. (wö)