Die Schüler des Jahrgangs Neun der IGS besprachen das Buch im Ethikunterricht und gestalteten viele Poster und Präsentationen zum Thema Rassismus und Identität.
Raschelle Al-Moussawi und Mizgin-Meryem Sen gestalteten mit Said Etris Hashemi den Vortrag.
Am Montag begann die Woche für rund 40 Schülerinnen und Schüler der IGS Kelsterbach mit einem schweren Thema. Man merkte den Jugendlichen an, dass es sie belastete, zum Teil flossen Tränen, vor allem aber wurden viele Fragen gestellt. Grund dafür war der Besuch von Said Etris Hashemi, einem der Opfer vom Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020, bei dem neun Menschen starben. Hashemi selbst überlebte, wurde aber schwer verletzt. Aufgrund dieses schicksalhaften Erlebnisses und allen Erfahrungen, die daraufhin folgten, entschloss er sich, ein Buch zu schreiben. Bei seinem Besuch im Kelsterbacher Fritz-Treutel-Haus las er aus „Der Tag, an dem ich sterben sollte“.
Eingeladen wurde Hashemi, da der Jahrgang neun sich im Ethikunterricht vier Wochen lang mit seinem Buch auseinandergesetzt hatte und viele Schülerarbeiten dazu entstanden sind. Begleitet wurde er bei seinem Vortrag von Raschelle Al-Moussawi und Mizgin-Meryem Sen, zwei 15-jährigen Schülerinnen, die diesen moderierten und Fragen aus der Schülerschaft vorlasen. Dabei leiteten sie das Thema auch damit ein, dass sie nicht nur die Widmung des Buches abwechselnd vorlasen, sondern auch sichtlich bewegt von ihren eigenen Erfahrungen mit Rassismus berichteten. Hashemi lobte das Engagement der Schülerschaft, sich mit diesem Thema zu beschäftigen und sein Buch gelesen zu haben. Seit 2023 ist er Schulpate im Rahmen des Projekts „Schule ohne Rassismus“. Er betonte, dass er weniger einen Vortrag halten wolle, sondern lieber das offene Gespräch mit den Jugendlichen suche.
Nachdem er eine Passage vorgelesen hatte, erläuterte er die Bemühungen, die die Hinterbliebenen und Überlebenden auf sich nehmen mussten: „Normalerweise war das alles geheim. Wir haben mit der Initiative 19. Februar Hanau alles öffentlich gemacht, sobald wir etwas Neues erfahren haben. Die Öffentlichkeit war unser einziges Ass, um Dinge voranzubringen.“ Es sei berührend gewesen, wie die Öffentlichkeit geholfen habe, die Opfernamen zu verbreiten und so den Fokus weg vom Täter und hin zu den Opfern und Hinterbliebenen zu lenken. Dadurch sei eine völlig neue Erinnerungskultur entstanden. Da die Mitglieder jedoch selbst von der Generalbundesanwaltschaft keine eindeutigen Antworten auf ihre Fragen erhielten, beauftragten sie auf eigene Kosten ein externes forensisches Institut. Durch diese Hartnäckigkeit gelang es der Initiative schließlich, einen zwei Jahre andauernden Untersuchungsausschuss in Gang zu bringen.
Sein Buch wollte Hashemi bewusst erst dann schreiben, wenn der Untersuchungsausschuss abgeschlossen war. Mit Nina Sternberg habe er eine gute Co-Autorin gefunden, so Hashemi, denn als Autor habe er zuvor keinerlei Erfahrung gehabt. Aufgrund des französischen Films „La Haine“ (Der Hass) habe er sich entschlossen, die Kapitel seines Buches mit Datumsangaben zu ersetzen. Auch wenn es hierdurch Zeitsprünge gebe, sei es dennoch chronologisch aufgebaut. Die größte Überraschung war für ihn, dass sein Buch in den Bestsellerlisten gelandet ist und sowohl in Schulen als auch an Universitäten behandelt wird. Spätestens seit die Bundeszentrale für Politische Bildung die Lizenzrechte gekauft habe, sei das Buch offiziell in den Unterricht als Lernmaterial für Bildungszwecke aufgenommen worden. Seine Botschaft sei klar: „Ich will Perspektiven schaffen und auf Themen aufmerksam machen, die in der Öffentlichkeit totgeschwiegen werden. Diesen Hass muss man sehr, sehr früh ersticken.“
Die Schüler folgten aufmerksam den Ausführungen und stellten, wie Hashemi betonte, sehr viele gute Fragen. Immer wiederkehrend wurde gefragt, wie man mit Rassismus im Alltag umgehen solle – und Hashemi wurde nicht müde zu betonen, dass man sich nichts gefallen lassen und schwere Vorfälle bei den entsprechenden Stellen melden solle. Denn erst dadurch würden diese Vorfälle in die Statistik eingehen und bekämen die Aufmerksamkeit der Politiker. Aber auch bei Fällen von Alltagsrassismus solle man als Betroffener mit anderen darüber reden und bloß nichts in sich hineinfressen. „Irgendjemand gibt es immer, der Dir zuhört oder Dich vielleicht sogar unterstützt.“ Auch die Frage, ob er selbst bis heute Rassismus erlebe, beantwortete er: „Ja, vor allem als Person des öffentlichen Lebens erlebe ich oft Anfeindungen. Doch zum Rassismus gehören ja auch Bemerkungen wie „Sie sprechen aber gut Deutsch“. Ich spreche heute auch unterschwelligen Rassismus an.“ Doch an einer Stelle betonte er ebenso, dass jeder Mensch etwas Rassistisches in sich trage. Jeder habe ein Schubladendenken und müsse sich immer wieder selbst hinterfragen.
Auf die Frage, warum er an Schulen komme, antworte Hashemi, dass er gerne mit Jugendlichen zusammenarbeite, denn in diese setze er „extrem viel Hoffnung“ für eine veränderte Zukunft. Schließlich mahnte er auch, dass die klassischen sowie die sozialen Medien zum Teil polarisieren würden und die jungen Menschen nicht alles glauben dürften, was sie in Videos auf gängigen Plattformen zu sehen bekämen. Zum Abschluss dieses Gesprächsaustauschs trugen zwei Schülerinnen kurze Texte mit eigenen Gedanken vor und die Schüler hatten noch einmal Gelegenheit, mit Hashemi Fotos zu machen und ihrem Vorbild weitere Fragen zu stellen. (ana)