Ab hier wird´s wild.
Vogelwicke, Mohnblume, Klee und und und.
Disteln, heiß begehrt bei Bienen und Hummeln.
Der Bienen-Ragwurz, die einzige einheimische Orchideenart.
Die Insekten sind auch Grund dafür, dass zusätzlich viele Flächen im Kelsterbacher Stadtgebiet nun frei wachsen dürfen und nur noch zweimal im Jahr gemäht werden, erklärt Siegfried Roscher vom Kelsterbacher Kommunalbetrieb. „Einige Einwohner stört die Optik, andere freuen sich, weil sich dadurch seltenere Wildpflanzen wieder ansiedeln, die wichtig für bestimmte Insekten sind“, erklärt Roscher.
Denn im Insektenreich ist es vertrackt, da gibt es zum Beispiel Wildbienen, die nur auf eine bestimmte Pflanzen fliegen. Verschwindet diese Pflanze, verschwindet auch die Biene und wieder ist eine Gattung bedroht oder im schlimmsten Fall sogar ausgestorben.
Lässt man Flächen jedoch in Ruhe, können sich Pflanzen durchsetzen, die zum Beispiel länger zum Aussamen und Blühen brauchen oder die erst kommen, wenn andere Pflanzen den Weg bereitet und den Boden verändert, oder für Beschattung gesorgt haben. Dies nennt man Sukzession, die natürliche Entwicklung einer Pflanzengesellschaft auf einem Standort.
Das kann auf einer Blühfläche zum Beispiel bedeuten, dass sich dort nicht nur Disteln und Vogelwicke sondern auch Wiesen-Bocksbart ansiedeln. Ein paar Meter weiter kann sich der Nährstoffgehalt des Bodens verändert haben und dort blühen dann Kornblumen und Klatschmohn. Und fertig ist die bunte Wiese, auf die die Insekten so stehen.
Aber auch im Baumbereich funktioniert dieses Prinzip. Alles fängt an mit den Pionierpflanzen, das können zum Beispiel Weiden oder, wie am Kelsterbacher Waldrand, Zitterpappeln sein, die sich auf einer freien Fläche selbst ansiedeln. Diese breiten sich mit weiteren Setzlingen aus, sorgen für Beschattung und verändern durch herabfallendes Laub den Boden und seinen Nährstoffgehalt. Dann können weitere Sträucher und Bäume folgen, wie Ahorn oder Eichen, die mehr Ansprüche an den Boden haben. Ließe man der Natur ihren Lauf und gebe es keine Störfaktoren, würde innerhalb von 2000 Jahren ein Buchenwald entstehen, erzählt Roscher. Das wäre der Wald, der sich in Deutschland natürlicherweise durchsetzen würde. Aber – es gibt immer wieder Störfaktoren, wie Staunässe und andere Standortfaktoren und so beginnt der Prozess der Sukzession immer wieder von vorne.
Schlimm ist das nicht, denn die Natur hat immer wieder Pflanzen parat, die freigewordene Nischen besetzen und so dafür sorgen, dass andere Pflanzen und Tiere davon profitieren.
Um diesen Prozess so gut es geht zu unterstützen und dem Prinzip der Nachhaltigkeit nachzukommen, werden die Blühflächen im Stadtgebiet bis auf einen schmalen Streifen nur noch zweimal im Jahr gemäht. Allerdings wird dies eine andere Mähtechnik und somit auch andere Gerätschaften mit sich bringen. Denn mit einem herkömmlichen Rasenmäher kommt man schwer durch eine meterhohe Blühwiese und ein Aufsitzrasenmäher würde aus den Bemühungen einen Kahlschlag machen.
Mit der Blühwiese können Pflanzen blühen, ihre Samen verteilen und im nächsten Jahr wieder austreiben. Und wenn Wiesen nicht kategorisch alle paar Wochen gemäht werden, dann erhöht sich auch die Artenvielfalt. Dann finden auch wieder so seltene Pflanzen wie zum Beispiel eine einheimische Orchideenart, die Bienen-Ragwurz, einen neuen Lebensraum. (Bilder und Text ana)