Titel Logo
Kelsterbach aktuell
Ausgabe 27/2023
Seite 3
Zurück zur vorigen Seite
Zurück zur ersten Seite der aktuellen Ausgabe

Wildtierstation im Überlebenskampf

Ein feste Größe in der Vereinswelt, aber auch im Kelsterbacher Stadtbild, ist der Tierschutzverein Kelsterbach e.V. Der Verein unterhält auch eine Wildtierstation, in der er sich um verwaiste Tierkinder, verletzte Wildtiere, Fundtiere und vieles mehr kümmert. Er errichtete vor zwei Jahren ein Taubenhaus, in dem er kranke Tauben pflegt und in dem ebenfalls deren Eier ausgetauscht werden – die effektivste und humanste Art, um die Anzahl der hungernden Stadttauben zu verringern. Er übernimmt aber auch das Catering für viele Events und verkauft Honig aus eigener Herstellung, um die Vereinskasse aufzubessern. Was wäre nun, wenn der Verein die Wildtierstation auflösen müsste? Sagen wir, Ende des Jahres. Ein Szenario, das gar nicht so unwahrscheinlich ist, denn dem Verein zum Schutz der Tiere fehlt es an allem: Geld, Zeit und menschlicher Unterstützung. Vereinsvorsitzende Judith Wagner und Vereinsmitglied Anja Eckert begründen diesen Ernstfall.

„Situation unserer Wildtierstation“

„Seit fast 40 Jahren kümmert sich der Tierschutzverein Kelsterbach nicht nur um Haustiere, sondern auch um junge und verletzte Wildtiere. Nach einigen Fortbildungen und Seminaren haben wir inzwischen auch die staatliche Anerkennung als Wildtierstation. Der Tierschutzverein hat kein Tierheim und arbeitet zu 100 Prozent ehrenamtlich“, sagt Judith Wagner.

Man merkt Wagner den Druck an, denn wer helfen will, dies aber nicht in ausreichendem Maße kann, der erfährt Stress: „Bis vor einigen Jahren gab es ein umfangreiches Netzwerk an anderen Tierschutzvereinen, Stationen und Privatpersonen, die sich um Aufzucht und Pflege von Wildtieren gekümmert haben und sich untereinander hilfreich zur Seite standen. Inzwischen ist kaum noch ein Netzwerk vorhanden. Aus unterschiedlichen Gründen fallen immer mehr Stellen weg und die hilfsbedürftigen Wildtiere werden auf immer weniger Schultern verteilt. „Die Feder“ in Darmstadt beispielsweise, die leider wegen Krankheit geschlossen werden musste und bis jetzt keinen Nachfolger gefunden hat, hinterlässt eine große Lücke. Eine weitere Station hat ihren Umzug geplant und wird in Kürze ein ganzes Stück weiter weg ihre Zelte aufschlagen. Wir haben in den letzten Jahren mit wenigen Helfern pro Jahr 700 Wildtiere aufgenommen und versorgt, können diese Zahl aber auf Dauer nicht halten.“

Eckert ergänzt, dass der Zustand der gebrachten Tiere immer schwerer zu ertragen sei: „Unsere Umwelt, gerade in Ballungsgebieten, hält immer mehr Probleme für die Wildtiere bereit. Immer weniger natürlicher Lebensraum, Futter- und Wassermangel sowie zunehmender Befall von Parasiten. Kaum ein Wildtier muss nur aufgezogen und ausgewildert werden, in den meisten Fällen ist es auch nötig, sie tierärztlich behandeln zu lassen. Wir bekommen keine Gelder oder Unterstützung vom Staat für Futter oder Tierarztkosten und auch nicht für die Kilometer, die wir mit unseren Autos zurücklegen, wenn Tiere zu Tierärzten, Fachleuten oder zum Auswildern gefahren werden.“ Gleichzeitig sei der Verein jedoch verpflichtet, dem Regierungspräsidium Darmstadt jährlich eine ausführliche Statistik zu übermitteln (an welchem Tag wurde welches Tier gefunden, wo und von wem, was war der Grund für die Abgabe bei der Wildtierstation, wie und womit wurde das Tier behandelt oder aufgezogen, was ist mit dem Tier passiert oder wann konnte es wieder in Freiheit entlassen werden). Dies koste wiederum etliche Stunden Zeit am Computer. Und das Ganze wird von den Vereinsmitgliedern ehrenamtlich geleistet, neben Beruf und Familie.

„Zusätzlich zu allen genannten Problemen kommt noch die Problematik des Auswilderns hinzu. Wenn die Wildtiere so weit sind, dass sie wieder in die Freiheit entlassen werden können, kann man nicht einfach das Fenster aufmachen und sich verabschieden. Viele Tierarten müssen über Volieren ausgewildert werden und man muss auch darauf achten, ob und wieviel Artgenossen es dort bereits gibt oder welche Tiere unbedingt wieder in ihrem Revier freigelassen werden sollten. Auch da fehlen uns die Möglichkeiten und wir kommen an unsere Grenzen. Ziehen wir beispielsweise 60 Eichhörnchen in einer Saison groß, wo sollen wir sie dann zum Auswildern hinbringen? So viele Volieren haben wir gar nicht“, ergänzt Wagner.

Fazit

„Wenn wir von Verbandsseite, wie dem Nabu, BUND oder anderen Stellen, nicht Unterstützung bekommen, wird es bald kaum noch eine Möglichkeit geben, verletzte Wildtiere unterzubringen. Es müsste ein umfangreiches Netzwerk geben und die Möglichkeit, bei Überbelegung Tiere an andere Stationen abzugeben. Dazu müsste man abrufen können, wo noch Kapazitäten für welche Tierart sind. Wir sind alleingelassen mit allen Problemen, inzwischen hart an unserem Limit und überlegen, ob unsere Wildtierstation am Jahresende für immer die Tore schließen muss“, konstatiert Wagner.

Eckert findet ebenfalls deutliche Worte: „Uns fehlt es an ausreichend einsatzbereiten Fahrern, an Geld, an Platz. Unsere Nerven liegen blank, wenn wir sehen, wie uns die Tiere unter den Händen wegsterben, weil wir nicht genug Kapazitäten haben. Wir brauchen Hilfe von den Dachverbänden und von staatlicher Seite. Aber wir sind auch dankbar für jede Privatspende, die wir sofort in Medikamente, Tierarztkosten oder Futter investieren. Und wir können jede weitere helfende Hand dringend gebrauchen.“ (Tierschutzverein / ana)