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Kelsterbach aktuell
Ausgabe 29/2023
Seite 3
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"Schule geht auch anders - es lässt sich etwas verändern."

Schulleiterin Isabella Brauns kurz vor den Sommerferien auf dem Schulhof der Karl-Treutel-Schule. Nach fast 40 Jahren an der KTS geht sie nun in Ruhestand.

Seit beinahe 40 Jahren begleitete Isabella Brauns die Entwicklung der Karl-Treutel-Grundschule in Kelsterbach. Seit 1999 war sie als Direktorin hauptamtlich für die Geschicke der Schule verantwortlich. Nun steht ihr Ruhestand bevor und sie blickt zurück auf eine entwicklungsreiche, aber auch herausfordernde Zeit. Wir nahmen dies zum Anlass und führten ein Gespräch mit ihr über vergangene und zukünftige Herausforderungen für Schulen in Kelsterbach und im Allgemeinen. Das Gespräch führte Anika Fabijanic.

Frau Brauns, seit wann sind Sie Schulleiterin an der Karl-Treutel-Schule (KTS)? Welche Stationen haben Sie in ihrem Berufsleben durchlaufen?

Seit 1999. Ich war zuvor Lehrerin an dieser Schule. 1984 bin ich an die Schule gekommen. Durch eine Lehrerfortbildung und als Fachberaterin beim Schulamt habe ich aber auch viel anderes kennengelernt. Viele Jahre lang war ich im Gesamtpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer, der für alle Schulen der Region zuständig ist. Dadurch habe ich erfahren, was an anderen Schulen gut und weniger gut läuft und vor allem, was man alles umsetzen kann.

Kommen Sie aus Kelsterbach?

Nein, ich komme nicht aus Kelsterbach. Gebürtig bin ich aus Freiburg, aber früh nach Hessen gekommen und wohne jetzt in Frankfurt Rödelheim.

Wo waren Sie vor Ihrer Stelle in Kelsterbach eingesetzt?

Ich habe nur das Referendariat an einer anderen Schule gemacht. Nach dem Studium bin ich als Lehrerin direkt nach Kelsterbach und an die Karl-Treutel-Schule gekommen. Damals wurden eigentlich keine Lehrer mehr eingestellt. Im Rahmen eines Sonderprogramms für Kinder mit Migrationshintergrund wurden jedoch Lehrkräfte gesucht. Ich habe auf diese Stelle gepasst, da ich meine Examensarbeit zum Thema Deutsch als Zweitsprache geschrieben hatte.

Was zeichnet Ihrer Meinung nach Kelsterbach aus?

Was Kelsterbach auszeichnet, ist, dass wir eine kleine Einheit sind und Kelsterbach der Schulträger ist. Früher war Kelsterbach eine reiche Stadt, die die Schulen sehr gut ausstatten konnte. Besonders wichtig sind uns die kurzen Wege in der Kommunikation. Bei Problemen werden schnell gemeinsame Lösungen gefunden und es gibt ein großes soziales Engagement von Bürgermeister und Schulverwaltung, vor allem im Bereich Inklusion fällt auf, dass es immer Unterstützung gab.

Bei so einer kleinen Einheit sind das große Aufgaben, deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass die Schulverwaltung jetzt personell aufgestockt wird.

Was war Ihre Motivation, Lehrerin zu werden?

Gar keine. Ich wollte nicht Lehrerein werden. Meine eigene Schulzeit war für mich nicht unbedingt positiv und ich wollte ursprünglich Musiktherapeutin werden. Hierfür musste ich studieren und plante, über das Musikpädagogikstudium ein zweites Instrument dazulernen zu können. Ich wollte etwas tun, das für alle gut ist und nicht nur für diejenigen, die es privat bezahlen können. Doch die Musiktherapie war damals ein neues Konzept und die Krankenkassen haben die Therapie erst bezahlt, wenn schon extreme Schäden durch lange Klinikaufenthalte vorhanden waren. So wollte ich nicht arbeiten. Das war nicht mein Ziel. Ich habe dann fertig studiert und mein Referendariat gemacht und dabei gemerkt, dass Schule auch anders geht als in meiner Schulzeit. Es lässt sich etwas verändern.

Was hat sich in ihrer Zeit an der Schule verändert?

Grundsätzlich ist die Schülerschaft deutlich heterogener geworden, nicht nur im Blick auf die Sprache, auch im Blick darauf, wie der Entwicklungsstand der Kinder ist. Darauf muss Schule reagieren, indem wir immer mehr differenziert unterrichten. Gleichzeitig ist gesellschaftlich klar, dass alle Menschen ihr ganzes Leben lang immer weiter lernen müssen. Das bedeutet, dass selbstständiges Arbeiten in der Schule einen ganz neuen Stellenwert bekommen hat.

Selbstständiges Arbeiten und differenziertes Unterrichten bedingen sich gegenseitig. Die Kinder bekommen alle ihre eigenen Lernmaterialien, die auf ihren Entwicklungsstand angepasst sind, sowohl die mit als auch die ohne besonderen Förderbedarf. Es gibt Studien dazu, dass die meisten Kinder mit Förderbedarf davon profitieren, wenn sie in die Regelschulen gehen. Genauso ist zu beobachten, dass die anderen Kinder umgekehrt auch profitieren. Denn wenn ein Kind anderen Kindern etwas erklärt, verinnerlicht es den Lernstoff ganz anders. Und nicht zuletzt profitieren auch sie von einer Förderschullehrkraft.

Das ist auch etwas, das sich innerhalb meiner Laufbahn verändert hat: Früher gab es viele Diskussionen darum, Kinder mit Förderbedarf aufzunehmen. Heute ist das kein Thema mehr. Das ist völlig akzeptiert bei den Eltern und den Lehrkräften.

Dass wir schon so früh differenziert gearbeitet haben, hat uns auch während der Corona-bedingten Schulschließung enorm geholfen. Denn die Kinder waren schon geübt darin, mit ihren Lernmaterialien allein zu arbeiten, genauso wie mit Lernzeitplänen.

Nicht zuletzt sind wir 2008 musikalische Grundschule geworden. Dafür mussten wir ein Konzept erstellen, das zum Grundsatz hat, mehr Musik mit mehr Lehrkräften in mehr Fächern zu mehr Gelegenheiten zu ermöglichen. Das beinhaltet bei uns zum Beispiel mehr Tanzen oder Trommeln im Unterricht oder auch unseren musikalischen Ferienbeginn.

Welche besonderen Herausforderungen für die KTS und die Schulen im Allgemeinen sehen Sie aktuell?

Das Allererste ist der Mangel an ausgebildeten Lehrkräften. Wir haben Quereinsteiger, die einen hervorragenden Job machen. Ich würde mir wünschen, dass es einen Einstellungskorridor geben würde. Die Kollegen haben nur befristete Verträge, die irgendwann enden und die Kollegen sind danach weg. Wir würden uns wünschen, dass sich dies ändert. Sicher ist eine gute Ausbildung von Lehrkräften sehr wichtig, aber ohne unsere neuen Kolleginnen und Kollegen könnten wir gar nicht überleben. Und diese Situation wird auch noch eine Weile so anhalten.

Eine weitere Herausforderung ist die große Heterogenität und das große Maß an erzieherischen Aufgaben, die die Schule heute hat, was zu einer hohen Arbeitsbelastung bei den Kolleginnen und Kollegen führt. Eine Entlastung, vor allem bei den Verwaltungsaufgaben, wäre dringend nötig. Ich würde mir mehr Verwaltungskräfte an den Schulen wünschen.

Was auch ein Problem für die Schulen ist, ist die Trennung zwischen Land und Schulträger, auch bei den Mitteln. So werden beispielsweise die Leihschulbücher, mit denen wir eigentlich nicht mehr arbeiten können, vom Land Hessen bezahlt. Die Lernmaterialien zum selbstständigen Arbeiten werden jedoch vom Schulträger, in dem Fall der Stadt Kelsterbach, bezahlt. Das macht alles unglaublich kompliziert und es wäre sinnvoller, wenn die Mittel zusammengelegt werden könnten.

Wie sehen Sie die Zukunft der KTS am neuen Standort neben der Integrierten Gesamtschule (IGS)?

Der Neubau ist geplant unter dem Konzept der pädagogischen Architektur und der Lernlandschaften. Das bedeutet, dass drei bis vier Klassen gemeinsam in einer Lernlandschaft untergebracht sind. Auf einem sogenannten Marktplatz können sich einzelne Kinder oder Gruppen treffen und ihre Arbeiten der gesamten Gruppe präsentieren. Der Mehrwert des Verinnerlichens steigert sich dadurch enorm. Die Lernmaterialien verringern sich ebenfalls bei so einer Lernlandschaft, da sie allen und nicht nur einer Klasse zur Verfügung stehen. Die Klassenräume haben zudem Sichtfenster zum Marktplatz. So sehen die Lehrkräfte, was in anderen Räumen passiert, ebenso wie die Kinder, die sich vor den Räumen befinden.

Ich sehe den neuen Standort als Chance. Die Nähe zur Bibliothek und zur IGS kann vielleicht für gemeinsame Projekte genutzt werden.

Werden Sie weiterhin die Entwicklung der KTS verfolgen?

Ja (lacht). Natürlich, ich werde auch so lange, bis die Schulleitung vollständig besetzt ist, die Schulleitung begleitend unterstützen. Kommissarisch wird Christiane Giese die Schulleitung übernehmen, aktuell ist sie zweite Konrektorin. Zum Februar wird die Stelle dann wahrscheinlich ausgeschrieben.

Was nehmen Sie mit aus Ihrer Zeit an der KTS in Kelsterbach?

Ich nehme mit, dass man mit Engagement und guten Teams viel bewegen kann. Und ich nehme mit, dass Vielfalt Entwicklung befördert und befruchtet.

Vielen Dank für das Gespräch.