Der Deutsch-Marokkaner Ahmed Al Kadari steht für den kulturellen Austausch und ein friedliches Miteinander in Raunheim. Seit über 55 Jahren lebt der 83-Jährige in Deutschland, davon ein halbes Jahrhundert in Raunheim.
Für sein herausragendes Engagement in der Integrationsarbeit wurde er 2010 mit der Integrationsmedaille der Bundesregierung ausgezeichnet. Als Mitbegründer des Marokkanischen Freundschaftskreises in Raunheim und Umgebung prägt er die Stadtgesellschaft bis heute nachhaltig. Die Stadt Raunheim sprach mit dieser Persönlichkeit, die für viele in Raunheim ein Vorbild ist.
Guten Tag, Herr Al Kadari. Wie haben Sie die Zeit des Fastenmonats Ramadan erlebt?
Ahmed Al Kadari: Für mich bedeutet der Ramadan vor allem eines: Begegnung. Ich lade Menschen unterschiedlichster Herkunft ein – unabhängig davon, ob sie muslimischen oder nichtmuslimischen Glaubens sind –, um gemeinsam zu essen, zu trinken und zusammenzusitzen. Es geht nicht immer um Diskussion, sondern darum, einander kennenzulernen und ins Gespräch zu kommen. Das ist mir sehr wichtig. Denn wir sind alle Brüder und Schwestern – wir stammen alle von Adam ab. Ich mache keinen Unterschied zwischen den Nationen.
Welche Bedeutung hat das interkulturelle Fastenbrechen für Sie, und welche Rolle spielt Ihr Verein dabei?
Al Kadari: Unser Verein ist ein Ort der Begegnung und der kulturellen Vielfalt. Er richtet sich an Menschen, die neu nach Deutschland kommen und sich zunächst fremd fühlen. Wir möchten ihnen helfen, hier ein Zuhause zu finden. Es ist ein Geben und Nehmen – wir sind füreinander da. Die Moschee ist für uns wie eine Schule des Lebens: Ich freue mich jedes Mal, wenn ich sehe, wie viele Menschen hierherkommen, sich einbringen und durch unsere Arbeit ein Stück Heimat zurückgewinnen. Es ist auch eine Form der Bildung – zur Integration in Deutschland und zugleich zur Bewahrung der eigenen Sprache und Kultur. Dieses Glück, das wir schenken, kehrt immer zu mir zurück.
Wie haben Sie Ihre Kindheit erlebt?
Al Kadari: Ich bin in einer sehr prägenden Zeit aufgewachsen – zwischen der spanischen Kolonialherrschaft in Nordmarokko (1912–1956) und der Zeit der Unabhängigkeit. Diese Phase war für mich sehr bedeutsam. Ich gehörte zu den ersten Schülern meiner Generation, die zur Schule gehen durften, und erhielt ein Diplom von der spanischen Verwaltung. Unter der Herrschaft von Franco war mein Vater Offizier – ein angesehener Mann, der mir stets als Vorbild diente. Seine Zielstrebigkeit hat mich geprägt und mir den Weg gewiesen. Ich wollte so werden wie er – dieser Wunsch begleitet mich bis heute.
Warum kamen Sie damals nach Deutschland?
Al Kadari: Zunächst lebte ich eine kurze Zeit in Großbritannien. Doch nach dem Attentat auf John F. Kennedy wurden viele Menschen ohne dauerhaften Aufenthaltsstatus ausgewiesen. Also reiste ich weiter nach Deutschland – auch, weil mein Bruder bereits hier war. Dadurch konnte ich ganz nah bei ihm sein. 1970 begann ich meine Arbeit bei Lufthansa, wo ich bis 2004 tätig war. 2007 ging ich offiziell in Rente. Lufthansa war für mich einer der besten Arbeitgeber – ich bin stolz, dort gearbeitet zu haben.
Wie fanden Sie Anschluss in Raunheim? Gab es prägende Wegbegleiter?
Al Kadari: Ein besonderer Mensch in meinem Leben war mein Freund Gerd Plath. Er war Ingenieurstudent in Darmstadt und wir trafen uns bei einem offiziellen Empfang des marokkanischen Konsulats. Unsere Freundschaft begann bei einem gemeinsamen Essen – und wir wurden unzertrennlich. Gerd war nicht nur wie ein Bruder für mich, sondern auch ein Onkel für meine acht Kinder. Er blieb immer Teil unserer Familie – bis zu seinem Tod und darüber hinaus in unseren Herzen. In Raunheim fand ich schnell Anschluss – durch die Kindergärten, Schulen und viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer. Ich möchte keine Namen nennen, um niemanden zu vergessen – doch jeder, der den Namen Ahmed Al Kadari kennt, weiß, dass er oder sie gemeint ist. Raunheim war für mich immer offen – und ich war offen für Raunheim: für die Stadt, die Kirchen, die Schulen, die Sportvereine und die Politik. Ich habe stets versucht, mich einzubringen und die Gemeinschaft zu unterstützen, auch weil ich selbst den Sport sehr liebe.
Was bedeuten Deutschland und Marokko für Sie?
Al Kadari: Beide Länder bedeuten mir sehr viel. Deutschland ist das Land, in dem meine Kinder zur Schule gingen, eine Ausbildung machten, studierten und sich ein gutes Leben aufbauen konnten. Marokko bleibt meine Wurzel – ein Teil meines Herzens, den ich nie vergessen werde. Ich mache keinen Unterschied: Beide Länder sind ein Teil meiner Identität.
Warum wurde der Marokkanische Freundschaftskreis gegründet?
Al Kadari: Der Verein ist für mich wie ein Licht – ein funkelnder Diamant, der sowohl im Hellen als auch im Dunkeln strahlt und niemals seinen Glanz verliert. Dieses Licht brauchen wir alle, besonders dann, wenn wir einmal den Weg aus den Augen verlieren. Der Verein wurde daher gegründet um Orientierung, Hoffnung und Zusammenhalt zu bieten.
Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken – wie würden Sie es in wenigen Worten zusammenfassen?
Al Kadari: Ich erinnere mich an die Worte des Propheten Noah, der 950 Jahre lebte. Als er gefragt wurde, wie er diese lange Zeit empfand, sagte er: „Es ist, als ob ich einen Markt betrat und gleich wieder hinausging.“ So fühlt sich auch mein Leben an – kurz, aber voller bedeutender und schöner Momente.
Welche Botschaft möchten Sie den Menschen in Raunheim mitgeben?
Al Kadari: Meine Botschaft ist einfach: Wir sollten wie eine Kette sein – verbunden, fest und unzerbrechlich. Nur wenn wir diese Verbindung bewahren, können wir gemeinsam stark und erfolgreich sein. Durch das friedliche Miteinander, das Reichen der Hände und den Zusammenhalt wachsen wir als Gemeinschaft. Raunheim soll eins sein – und eins bleiben.
Das ist ein schönes Schlusswort. Lieber Herr Al Kadari, danke für das anregende Gespräch.