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Raunheim aktuell
Ausgabe 15/2024
Amtlicher Teil
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Sprachscreening bei den Vierjährigen deckt Sprachauffälligkeiten auf / Stadt leistet Beachtliches hinsichtlich der sprachlichen Bildung

Kinder frühzeitig in Kontakt mit Büchern zu bringen, ist eine gute Voraussetzung, ihre sprachliche Bildung positiv zu stärken.

Stadt leistet Beachtliches hinsichtlich der sprachlichen Bildung

Was leistet die Stadt Raunheim, um die Deutschkenntnisse von Kindern im Kindergartenalter mit nicht deutscher Familiensprache zu fördern?

Eine beachtliche Anzahl an Programmen und Maßnahmen unterstützt seit vielen Jahren die Bildungsarbeit. „Alle Akteure der Stadt Raunheim im Bereich der frühkindlichen Bildung im Alter von 0 bis 10 Jahren sind sehr engagiert, um die Kinder bestmöglich in ihrer sprachlichen Entwicklung zu fördern“, unterstreicht Sibylle Grigat vom Fachdienst Kindertagesbetreuung. Das Ziel ist die Chancengleichheit aller Kinder unabhängig ihrer Herkunft. Denn unterdurchschnittliche Deutschkenntnisse haben Auswirkungen auf die gesamte Bildungsbiografie der Kinder.

„Raunheim ist schon seit sehr langer Zeit mit verschiedenen Sprach-Förderprogrammen aktiv“, berichtet Sibylle Grigat. Dies sind seit dem Jahr 2008 das Programm „frühstart“ in der Folge das Förderprogramms „Deutschkenntnisse für Kinder im Kindergartenalter“, „Frühe Chancen – Schwerpunktkitas Sprache & Integration“, „Sprach-Kitas – Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ sowie „Sprachentdecker – Alltagsintegrierte Sprachförderung in Kita & Schule“.

Viele Sprachförderprogramme und Maßnahmen

Hinzu kommen weitere Maßnahmen wie die Marte-Meo-Ausbildung mehrerer pädagogischer Fachkräfte, Fachtage, Fortbildungen, Vorlaufkurse über die Schulen, aufsuchende Elternarbeit, Angebote des Familienzentrums und Vorlesepaten.

„Im Jahr 2022 wurde Raunheim Modellkommune im Kreis Groß-Gerau“, berichtet Sibylle Grigat: Alle Vierjährigen werden mit der Methode des Marburger Sprachscreenings durch den Logopädischen Dienst des Kreis Groß-Gerau einer Sprachstanderhebung unterzogen. Die Mitarbeitenden besuchten für das Screening die Kindertagesstätten. Um den Kindern Sicherheit zu verleihen, war bei den Tests immer eine Erzieherin oder ein Erzieher aus der Kita anwesend.

Prüfbereiche des Sprachscreenings waren Sprache, Sprachverständnis, Aussprache, Wortschatz, Satzbildung, Kunstwörter und Kunstsätze.

„Im Ergebnis des Sprachscreenings haben 76 Prozent der Kinder im Alter von vier Jahren Sprachauffälligkeiten“, stellte Sibylle Grigat fest, Koordinatorin für Sprachliche Bildung bei der Stadt Raunheim. Die tatsächliche Situation könnte sich indessen noch schlechter darstellen, weil 18 Prozent der 164 gemeldeten Kinder nicht an dem Screening teilgenommen hatten. Im gesamten Kreisgebiet sind 41 Prozent der Kinder auffällig.

Nur geringe Fortschritte trotz beachtlicher Fördermaßnahmen

Warum zeigt die Sprachentwicklung der Kinder trotz des enormen Aufwandes und der Bemühungen nur geringe Fortschritte? In Raunheim leben rund 80 Prozent der Kinder, die im Jahr 2022 eine Kindertageseinrichtung besuchten, in Familien, in denen vorrangig eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wurde. Deutschlandweit lag der Anteil im Vergleich bei nur 21 Prozent.

Der Anteil der deutschsprachigen Kinder in den Raunheimer Kindertagesstätten ist demnach sehr gering. „Das automatische Erlernen der Sprache passiert nicht mehr“, stellt Sibylle Grigat fest. Der Spracherwerb hängt demnach maßgeblich vom sprachlichen Vorbild durch das pädagogische Personal ab.

Ein Jahr später, 2023, wurde das Sprachscreening der Vierjährigen wiederholt. Im Ergebnis zeigten sich erneut 76 Prozent der Kinder auffällig in ihrer Sprachentwicklung. Raunheimer Kinder kommen mehrheitlich ohne nur ein Wort Deutsch sprechen zu können, in die Kita. Laut wissenschaftlichen Erkenntnissen vergeht bei einem nicht-deutsch-muttersprachlichen Kind etwa ein dreiviertel Jahr, bis es selbst anfängt, deutsche Worte zu sprechen. Dabei handelt es sich in der Regel um Ein- bis Zwei-Wort-Sätze.

Bei dem Sprachscreening wurde deutlich, dass mit dem Anteil der Mehrsprachigkeit in der Familie die Auffälligkeiten in Sprachverständnis, Wortschatz und Satzbau steigen. In den Kitas werden Rückschlüsse auf den Bildungshintergrund der Eltern sowie auf die tägliche Bildschirmzeit der Kinder festgestellt. Rückschlüsse auf die soziale Herkunft oder andere Faktoren wurden durch das Screening nicht erhoben.

Eltern in die Verantwortung nehmen

Einzig in der Kindertagesstätte Fuchsbau, die mit einem naturnahen Konzept arbeitet, beträgt der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund dort lediglich 30 Prozent. „Die deutsche Sprache ist in dieser Kita relativ vorherrschend“, stellt Grigat fest. Hinzu kommt das naturnahe Konzept, das in der Wissenschaft als besonders sprachförderlich gewertet wird. Die Stadt Raunheim plant nun in Kooperation mit dem Kreis Groß-Gerau ein Sprachscreening der Fünfjährigen durchzuführen. Im letzten Kitajahr sollen die Maßnahmen und Konzepte auf Zielführung und Erfolg überprüft werden. Dann bleibt noch genügend Zeit, um Kinder bei Bedarf bis zum Schuleintritt intensiv zu fördern.

Sibylle Grigat betont zudem: „Wir müssen die Eltern miteinbeziehen – insbesondere jene, die bereits in zweiter und dritter Generation in Deutschland leben und die deutsche Sprache somit sehr gut sprechen“. Denn Eltern sind für die Erziehung und Entwicklung des Kindes in erster Linie verantwortlich. Sie bilden die zentrale Sozialisationsinstanz und tragen die Hauptverantwortung für die Entwicklung ihres Kindes. „Wir dürfen in unserer Anstrengung der sprachlichen Förderung nicht nachlassen, müssen in der Beratung aber auch konsequent an die Verantwortung der Eltern appellieren“, betont Sibylle Grigat.