Oualid Mokhtari
Oualid Mokhtari ist in Raunheim eine bekannte Persönlichkeit. Der ehemalige Fußballprofi mit marokkanischen Wurzeln wuchs in Raunheim auf, kickte bei der SSV Raunheim und beim SV 07 Raunheim. Stationen seiner Fußballerkarriere waren unter anderem Kickers Offenbach und Eintracht Frankfurt. Heute lebt er nach wie vor in Raunheim, ist Sportlehrer an der Anne-Frank-Schule, Vorsitzender des SV 07 Raunheim und führt eine eigene Fußballschule. Jetzt berichtet er in seiner spannenden Autobiografie „Im Schatten des Balles – Aufstieg, Fall und Neuanfang“ über sein Leben. Am 6. März stellt er ab 19 Uhr bei einer Lesung im Bürgersaal sein Buch vor. Die Stadt Raunheim sprach im Vorfeld mit dem Autor.
Stadt Raunheim:Herr Mokhtari, wie ist denn die Idee zu Ihrem Buch entstanden?
Oualid Mokhtari: Freunde und Bekannte haben mir immer wieder gesagt, ich solle ein Buch über mein Leben schreiben. Sie meinten, ich könnte anderen aufzeigen, wie man von ganz unten mit Kraft und Willen immer wieder nach oben kommt. Menschen, die ganz unten sind, fühlen sich oft allein. Sie fühlen sich als Versager. Ich möchte ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind und dass auch Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen oder standen, schwere Zeiten durchmachen können, von denen niemand etwas ahnt. Man kann nie hinter die Fassade eines anderen schauen. Und so ist dieser Gedanke, ein Buch zu schreiben, in mir gereift. Es war für mich eine Art Selbsttherapie und Selbstreflexion. Ich glaube, dass es wichtig ist, aus seinem Leben zu lernen.
Stadt Raunheim: Auffällig ist der Wechsel zwischen der Chronik und den immer wiederkehrenden Einlassungen der Familienzusammenkunft. Welchen Zweck hat dieses Stilmittel?
Mokhtari: Zum einen war es mir wichtig, keine chronologische Biographie zu schreiben. Der Leser soll über die folgenden Seiten im Unklaren gelassen werden. So konnte ich einen Spannungsbogen aufbauen. Zum anderen wollte ich zeigen, dass mich bestimmte Themen bis heute verfolgen und in mir eine Entwicklung stattgefunden hat. Und ich konnte meine Familie, die eine sehr wichtige und zentrale Rolle in meinem Leben spielt, besser einbinden.
Stadt Raunheim: Sie gehen sehr offen mit Ihren negativen Erlebnissen um, mit dem Partyleben, Depression, Hartz IV. Warum?
Mokhtari: Was ist menschlicher, als zuzugeben, dass man Fehler macht, dass man Depressionen haben kann, dass man sich den Verführungen des Lebens hingibt und als junger Mensch die Welt von ihrer anderen Seite, auch die glitzernde Welt, neu entdecken möchte? Ich stehe für eine ganz authentische Person. Ich bin meinen Weg gegangen und ich bin beispielhaft für Menschen, die einen ähnlichen Weg wie ich zurückgelegt haben. Ich möchte besonders jungen Menschen etwas weitergeben, dass man eben nicht immer hinfallen muss, um zu lernen, sondern dass man auch einfach mal zuhören muss und aus der Geschichte anderer lernen kann. Heute ist die Zeit sehr schnelllebig. Mit dem Buch kann man auch mal kurz innehalten und sich selbst hinterfragen. Es ist keine Schande, sich helfen zu lassen. Es ist nicht leicht, eigene Fehler einzugestehen. Aber ehrlich zu sich selbst zu sein, ist auch Teil einer Persönlichkeit. Dies habe ich über Mahatma Gandhi erfahren und das ist eine ganz wichtige Botschaft meines Buches.
Stadt Raunheim:Sie sprechen an einer Stelle in Ihrem Buch den Glauben an. Welche Rolle spielt die Religion in Ihrem Leben?
Mokhtari: Ich bin ein gläubiger Mensch, ohne meinen Glauben hätte ich vieles in meinem Leben nicht geschafft. Der Glaube ist wie eine warme Decke, die mich umhüllt. Der mir sagt, ich bin gut, so wie ich bin und dazu gehören auch Fehler. Wie meine Religion und mein Glaube mein Herz beruhigt haben, so hat mein Glaube mich geleitet: bei all der Schlechtigkeit, die die Welt bietet, an das Gute zu glauben und Gutes zu tun. Natürlich gibt es Leute, die weniger Glück hatten als ich. Ich könnte natürlich auch sagen, dass ich viel Pech hatte mit Verletzungen und meine Karriere nicht so verfolgt habe, wie ich das eigentlich gerne gemacht hätte. Aber nichtsdestotrotz bin ich ein sehr, sehr reicher Mann. Ich habe eine Frau und gesunde Kinder. Ich habe einen tollen Beruf und kann mich um Jugendliche kümmern. Aber ohne Zuversicht, ohne Urvertrauen geht es nicht. Das hat mir sehr geholfen.
Stadt Raunheim: Was war denn das schönste Ereignis in Ihrer Fußballerkarriere?
Mokhtari: Im Fußball muss man erst einmal sehr hart arbeiten. Dann kann es plötzlich sehr schnell bergauf gehen. Man steht einfach im Stadion. Man hat ein Tor geschossen. Man ist umzingelt von tausenden von Menschen. Das Stadion tobt. Dann erkennt man, dass man ein Fußballprofi ist. Und das passiert jemandem, der aus ganz bescheidenen Verhältnissen kommt, dessen Familie nach Deutschland gekommen ist, der von Kindesbeinen an hart für seinen Erfolg in der Schule und für seine Karriere arbeiten musste. Ich habe irgendwann erkannt, dass ich einen Beruf, eine Position erreicht habe, von der Millionen von Kindern und Jugendlichen träumen. Dann sind da natürlich auch der Stolz der Eltern, der Familie, der Freunde. Das ist einfach wunderschön.
Stadt Raunheim: Viele Kinder und Jugendliche träumen von einer Fußballerkarriere. Was geben Sie ihnen mit auf den Weg?
Mokhtari: Wie viele Jugendliche wollen Fußballprofi werden und wie viele werden es tatsächlich? Fußballprofi zu sein, ist sehr hart. Man hat schon in der Jugend wenig Zeit für sich selbst, die Jugendzeit ist sehr schnell vorbei. Es ist keine realistische Welt und das möchte ich ihnen mitgeben: Man kann sehr schnell fallen. Sei es durch eine Verletzung, durch Übermut oder mangelnde Disziplin. Ganz wichtig ist ein guter Schulabschluss. Man sollte nicht nur an das große Geld denken. Profifußball kann auch einsam machen. Ein Plan B ist also sehr wichtig.
Stadt Raunheim: Heute wird von der Fachwelt häufig der Straßenfußball vermisst und die Rundumversorgung an den Fußballakademien kritisiert. Sie leiten selbst eine Fußballschule. Wie beurteilen Sie die heutige Fußballausbildung?
Mokhtari: Von den Spielern wird immer mehr verlangt, sie müssen Übermenschliches leisten. Individualität wird dagegen manchmal schon im Keim erstickt. Immer weniger Fußballer lernen ihren eigenen Stil auf der Straße. Perfektion kann aber auch langweilig sein. An meiner Sportschule stelle ich das Soziale in den Mittelpunkt. Ich stehe in Kontakt mit den Familien. Ich teile die Sorgen meiner Schützlinge. Für manche Jugendliche ist der Fußballplatz einfach der Ort, an dem sie aufgefangen werden. Ebenso, wie ich es auch erlebt habe.
Stadt Raunheim:Sie selbst waren Opfer von Rassismus. Wie beurteilen Sie den Rassismus in den Fußballstadien? Wie kann dem Einhalt geboten werden?
Mokhtari: Rassismus erlebt heute wieder eine kleine Renaissance. Das ist deprimierend. Wie Präsidenten und Trainer in den letzten Wochen, Monaten und Jahren ganz klare Worte gegen Rassismus gefunden haben, ist bewundernswert und gleichzeitig beruhigend. Dennoch gibt es in den Stadien immer wieder unangenehme rassistische Ausfälle gegen Spieler mit Migrationshintergrund. Hier müssten alle Vereine mit vereinten Kräften nochmals an einem Strang ziehen. Aber ich bin auch Realist und habe wenig Hoffnung, dass der Rassismus aus den Fußballstadien vertrieben werden kann.
Stadt Raunheim:Sie selbst sind gut in die deutsche Gesellschaft integriert. Was ist bei der Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund besonders wichtig?
Mokhtari: Ich könnte natürlich eine provokante Gegenfrage stellen: Warum wird immer nur über die Frage der Integration der Kinder mit Migrationshintergrund gesprochen? In den letzten Jahren sind, Stichwort Hanau, schreckliche Dinge passiert. Ich wünsche mir deshalb, auf beiden Seiten weniger Ressentiments gegenüber dem Fremden zu haben. Wir sind inzwischen eine multikulturelle Gesellschaft und ich genieße das. Es ist eine unglaubliche Bereicherung. Wir sind nun mal hier und das ist unsere Heimat. Viele Menschen mit Migrationshintergrund sind hier geboren. Die deutsche Sprache ist ihre Hauptsprache.
Stadt Raunheim: Ihr Buch, Ihre Lebensgeschichte liest sich außerordentlich spannend. Sonderschule, Profifußballer, Putzkraft, Lehrer. Können sich besonders Kinder mit, aber auch ohne Migrationshintergrund an Ihrer Geschichte aufrichten? Sehen Sie sich als Vorbild?
Mokhtari: Vorbild ist natürlich ein schmeichelndes Wort. Ich würde mich eher als Beispiel sehen, denn schließlich habe auch ich Fehler gemacht. Aber ganz wichtig ist, dass ich meine Fehler analysiert habe. Was ich, dann als Vorbild, den Jugendlichen weitergeben möchte, ist mein unbändiger Wille, niemals aufzugeben. Und darauf, dies sage ich ganz unbescheiden, bin ich sehr stolz.
Stadt Raunheim:Sie sind in Raunheim aufgewachsen und verbrachten den Großteil Ihres Lebens hier. Welche Rolle spielt die Stadt in Ihrem Leben?
Mokhtari: Raunheim ist natürlich nicht Paris. Aber dennoch ist es für mich einer der schönsten Orte der Welt. Raunheim hat mir unglaublich viele Wege geöffnet, Raunheim ist der Mittelpunkt meines Lebens.