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Rathaus-Nachrichten Bitburg
Ausgabe 40/2023
Nachrichten und Mitteilungen der Stadt Bitburg
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AK Gedenken Bitburg: „Für mich ist jeder Mensch ein Mensch“

Veronika Jüster mit ihren Kindern Heinz, Helmut und Gisela, 1942.

Gisela Jüster mit ihrem Bruder Helmut Jüster, 1943.

Gisela Füsser, Monheim am Rhein, 15.11.2022.

Adelheid Nussbaum (1868 – 1942).

Johanna Nussbaum (1884 – 1942).

Simon Nussbaum (1887 – 1942).

Vor den Repressalien der Nazis waren die Juden eine feste Größe im Wirtschaftsleben der Eifel, so wie hier die Metzger und Viehhändler Heinrich (r.) und Salomon Nussbaum (2. v. r.) aus Kyllburg.

„Ausrottung der Juden aus Malberg“ ist auf der Tafel mit Datum 10.11.38 zu lesen. Einen Tag nach der Pogromnacht, in der in ganz Deutschland die Synagogen brannten und es vieltausendfach zu gewalttätigen Übergriffen auf die Juden kam, wurde dieses Foto vor dem Malberger Gasthof Loos aufgenommen, in dessen Nebengebäude sich ein „Kameradschaftslager“ der Deutschen Arbeitsfront befand.

Eine Zeitzeugin erzählt dem Bitburger Arbeitskreis Gedenken von ihrer Kindheit in der Nazizeit

Die Uhr tickt. Es gibt nur noch wenig Menschen, die aus eigener Anschauung über die die Nazizeit berichten können. Solche Zeitzeugen aufzuspüren und zu Wort kommen zu lassen, hat sich der Arbeitskreis Gedenken in Bitburg zum vorrangigen Ziel gesetzt. Erste Gesprächspartnerin einer geplanten Reihe war die inzwischen 87-Jährige Gisela Füsser. Die geborene Bitburgerin, die heute in Monheim am Rhein wohnt, hat ihre Kindheit in Malberg verbracht. Dort wurde sie mit eigenen Augen und Ohren Zeugin des menschenverachtenden Nazisystems.

1942 lebten in Malberg und im benachbarten Kyllburg noch gerade einmal fünf von ehedem über 50 Juden. Drei von ihnen wohnten in Malberg in der damaligen Schlossstraße 2. In eben dieses Haus zog im selben Jahr Gisela Füsser, die mit Geburtsnamen Jüster heißt, zusammen mit ihrer Mutter Veronika und den beiden Brüdern Heinz und Helmut. Der Vater war gerade zur Wehrmacht eingezogen worden. Im Interview erzählt Gisela Füsser von ihrem herzlichen Verhältnis zu Adelheid und Johanna Nussbaum, den beiden jüdischen Frauen, die zusammen mit ihrem Bruder Simon parterre wohnten. Sie erzählt aber auch, wie der damals 6-Jährigen von der Mutter der Kontakt zu den Nachbarinnen untersagt wurde. Der hatte der Malberger Bürgermeister Michael Arend mit der Entziehung des Sorgerechts gedroht.

Nach mehr als 80 Jahren kann sich Gisela Füsser noch daran erinnern, wie die jüdischen Nachbarinnen in der Malberger Schlossstraße „abgeholt“ wurden. Es war der 25. Juli 1942, als die beiden Nussbaum-Schwestern zusammen mit ihrem Kyllburger Bruder Hermann und dessen Frau Sara nach Trier gekarrt und von dort nach Theresienstadt deportiert wurden. Nachdem Simon Nussbaum bereits im April 1942 verschleppt worden war, waren Malberg und Kyllburg im Jargon der Nazis damit "judenfrei". Die kleine Gisela verstand natürlich nichts von alledem, was da vor sich ging. Und die Erwachsenen trauten sich nicht, es ihr zu erklären. Dass die fünf letzten Juden in Malberg und Kyllburg, in Theresienstadt umgekommen oder in Konzentrationslagern im besetzten Polen ermordet worden sind, erfuhr Gisela Füsser erst, als diesen 2017 Stolpersteine vor ihren ehemaligen Wohnhäusern gesetzt wurden.

Ein weiteres Ereignis, das sich in die Erinnerung von Gisela Füsser eingebrannt hat, ist der Abschuss eines US-amerikanischen Bombers. Dabei kam ein Besatzungsmitglied ums Leben, dessen Fallschirm sich beim Absprung nicht öffnete. Er wurde auf dem Friedhof in Malberg beigesetzt. Inzwischen war Giselas Vater in Russland gefallen. Von der Mutter wurde Gisela zusammen mit ihrem Bruder Helmut beauftragt, Blumen auf dem Grab des toten Soldaten zu pflanzen. "Vielleicht machen das ja Kinder in Russland auch mit dem Grab von eurem Vater", erklärte Veronika Jüster ihren Kindern. Selbst diese Geste der Menschlichkeit wurde vom Malberger Bürgermeister Arend schroff unterbunden und die Familie Jüster mit Repressalien belegt, erinnert sich Gisela Füsser heute.

Die Erlebnisse in ihrer Kindheit, das macht das Interview deutlich, beschäftigen Gisela Füsser noch heute: „Ich habe das nicht verstanden. Die Leute, die sonst mit den Juden gut harmoniert haben: Von jetzt auf gleich sind das auf einmal schlimme Menschen, die vernichtet werden müssen.“ Ihr klares Resümee: „Für mich ist jeder Mensch ein Mensch. Es ist egal, wo er herkommt oder wie er aussieht.“

Das Zeitzeugeninterview des AK Gedenken Bitburg mit Gisela Füsser wurde auf Eifeler Platt geführt, ist aber mit deutschen Untertiteln versehen. Es läuft am 5. Oktober 2023 um 18.30 Uhr im Offenen Kanal Bitburg (Kabelnetz Trier/Bitburg/Daun/Prüm auf Sonderkanal S 20). Wiederholt wird die Sendung an folgenden Terminen: 7. Oktober, 13.00 Uhr, 8. Oktober, 03.00 Uhr und 10. Oktober 10.00 Uhr. Zeitgleich ist der Film im Internet unter folgender Adresse aufrufbar: www.ok54.de/webTV. Danach kann er jederzeit in der Mediathek des Offenen Kanals Bitburg abgerufen werden.

Der Arbeitskreis Gedenken sucht weitere Zeitzeugen, die von ihren Kindheits- und Jugenderinnerungen erzählen möchten. Kontakt: E-Mail: kontakt@bitburg-gedenkt.de; Tel.: 06561 60 45 22; Der Ansprechpartner ist Herr Thomas Barkhausen.

Folgende Fotos können unter Angabe der Quellen im Zusammenhang mit der Berichterstattung zum Zeitzeugeninterview honorarfrei genutzt werden. Jede andere Nutzung ist honorarpflichtig: