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Rund um Hermeskeil
Ausgabe 1/2025
Aus dem Gerichtssaal
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Das traut man ihm gar nicht zu

Der 20-jährige Angeklagte ist ein ziemlich schmächtiger Typ. Trotzdem soll er vor ein paar Jahren, als er noch in Hermeskeil gewohnt hat, nach der Einlieferung ins Krankenhaus wegen einer stark blutenden Wunde plötzlich so schlimm randaliert haben, dass er nur von zwei Streifenwagenbesatzungen der Hermeskeiler Polizei gebändigt werden konnte. Dabei soll er um sich geschlagen und getreten und wüste Beschimpfungen und Beleidigungen ausgestoßen haben. Außerdem soll er gedroht haben: „Ich habe eine Waffe. Morgen knalle ich euch alle ab!“ Schwer zu glauben, aber wohl wahr, denn er bestreitet den von mehreren Zeugen - Polizeibeamte und Krankenhauspersonal - bestätigten Geschehensablauf nicht. Allerdings kann er sich nicht mehr sonderlich daran erinnern; er hatte vorher auch Alkohol getrunken.

Eine als Zeugin befragte Krankenschwester erklärt, der junge Mann sei freiwillig und völlig normal mit den Sanitätern in der Notaufnahme angekommen. Erst als die Wunde versorgt werden sollte, sei er aggressiv geworden, habe geschrien und um sich geschlagen. Ihre Vermutung: Das Schmerzmittel, das man ihm verabreicht habe, könne diese Reaktion ausgelöst haben. Ihm sei am nächsten Tag, als er wieder „kooperativ“ gewesen sei, noch übel gewesen. Nach eigenen Angaben leidet der Angeklagte an ADHS; das könnte die Sache erklären.

Die Anklage enthält allerdings noch ein paar weitere Punkte, von denen nur der „spektakulärste“ hier noch genannt sein soll. Mit einem Komplizen zusammen soll der Mann an einem Getränkemarkt über den Zaun insgesamt 69 Kästen Leergut geklaut und in der Umgebung hinter Gebäuden verteilt versteckt haben. Einige davon hat er bereits in einem Geschäft zu Geld gemacht, ehe er erwischt wird. (Anm. des Verfassers: Diese Tat zeugt nicht gerade von Intelligenz; man könnte das auch einen „Dummejungenstreich“ nennen.) Im Übrigen geht es noch um fahrlässige Körperverletzung, falsche Beschuldigung, den Diebstahl eines Handys und Sachbeschädigung.

Es dauert einige Stunden, bis an diesem Verhandlungstag alle Zeuginnen und Zeugen vernommen sind. Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe kennt zwar den Angeklagten nicht persönlich, aber sie hat einen Bericht vom Jugendamt der heutigen Wohnsitzgemeinde des jungen Mannes, der diesem eine Reifeverzögerung bestätigt und unter Anwendung von Jugendstrafrecht vorschlägt, ihn für sechs Monate einer Betreuung zu unterstellen.

Der Staatsanwalt hat es in seinem Plädoyer leicht. Er sieht alle Vorwürfe der Anklage bestätigt und meint, es solle erzieherisch auf den jungen Mann eingewirkt werden, um ihn von künftigen Straftaten abzuhalten. Er sei geständig und habe Reue gezeigt. Außerdem sei er bisher nicht mit erheblichen Straftaten aufgefallen. Wegen des Alkoholkonsums sei auch nicht auszuschließen, dass er bei der Aktion im Krankenhaus vermindert schuldfähig gewesen sei. Der Ankläger beantragt die Anwendung von § 27 Jugendgerichtsgesetz. Danach kann eine Verurteilung für die Dauer einer Bewährungsfrist ausgesetzt werden. Dem Angeklagten soll für zwei Jahre einen Bewährungshelfer beigeordnet werden. Außerdem soll er Sozialstunden leisten und dem Mann, dem er das Handy gestohlen hat, 200 Euro bezahlen. Auf die Frage von Richter Dr. Zierden sagt der Angeklagte: „Ich finde das Strafmaß okay.“

Für die Abfassung des Urteils braucht das Gericht dann doch noch etwas länger als angekündigt. Darin schließt sich Richter Dr. Zierden den Anträgen des Anklägers an: Aussetzung der Verurteilung, Anordnung der Betreuung für sechs Monate, zusätzlich Beiordnung eines Bewährungshelfers für zwei Jahre und 100 Sozialstunden. Auch die Zahlung für das gestohlene Handy soll der Angeklagte, der diese Tat als einzige bestritten hat, aufbringen. „Der Mann hat keinen Grund, Sie in die Pfanne zu hauen“, erklärt Dr. Zierden, der dem jungen Mann eindringlich rät, zur Vermeidung einer Jugendstrafe innerhalb der Bewährungszeit nicht wieder straffällig zu werden. Von der Auferlegung von Kosten sieht das Gericht ab. Das Urteil wird sofort rechtskräftig, weil beide Seiten erklären, auf Rechtsmittel zu verzichten. (WIL-)