von Bernd Willems
Schon 1926 war in Hermeskeil eine Ortsgruppe der NSDAP gegründet worden. Als Hitler am 30. Januar 1933 die gesamte Staatsmacht im Deutschen Reich an sich riss, wurde der Druck der „alten Kämpfer“, die 1926 dabei gewesen waren, auch im Hochwald immer stärker. Alle Bediensteten des öffentlichen Dienstes sämtlicher Verwaltungssparten sowie die Geschäftsinhaber wurden im April und Mai 1933 vor die Wahl gestellt, entweder der Partei beizutreten, oder aus dem öffentlichen Leben in der Gemeinde zu verschwinden.
Mit dieser Maßnahme erreichte die NSDAP in Hermeskeil zwar neuen Zuwachs. Allerdings galten viele der „unfreiwilligen“ Parteimitglieder in den Augen der Orts- und Kreisleitung nur als Mitläufer und dementsprechend war auch das gegenseitige Verhalten. (1)
Bürgermeister Clemens von Wendt, der bis dahin als Nachfolger des 1913 verstorbenen Otto Gebele von Waldstein dem Amt Hermeskeil 20 Jahre lang vorgestanden hatte, war - wohl bereits im Februar 1933 - abgesetzt worden. Dazu war der (wenig später ebenfalls aus dem Amt entfernte) Landrat Dr. Karl Pohl (2) in Begleitung des NSDAP-Kreisleiters Peter Schmitt (3) in Hermeskeil erschienen, der den hier als Rechtsanwalt tätigen Dr. Kurt Klamroth (4) in SA-Uniform mitbrachte und diesen vom Landrat als neuen kommissarischen Amtsbürgermeister einsetzen ließ. Für die Amtsverwaltung und die Bediensteten begann damit eine neue Periode, die durch die Besetzung des Amtsgebäudes mit SA-Leuten sichtbaren Ausdruck fand. Klamroths erklärtes Programm bestand darin, Hermeskeil nationalsozialistisch zu machen, den „Schweinestall in Hermeskeil ausmisten“, soll er es genannt haben. (5)
In Klamroths Amtsperiode fiel die erste Kommunalwahl nach der „Machtübernahme“, die bereits am 12. März 1933 stattfand. Außer Kandidaten der NSDAP kandidierten in Hermeskeil auch Mitglieder der Zentrumspartei und und der SPD. Der amtierende Ortsvorsteher Peter Harig (6) wurde auch in den neuen Gemeinderat gewählt. Nach der Wahl berief er die konstituierende Sitzung ein, deren Haupttagesordnungspunkt „Wahl des Ortsbürgermeisters und des Beigeordneten“ lautete.
Die Sitzung fand am 29. März 1933 im Saal des Posthofs (7) statt; dabei waren Hitlerleute in Uniform - SA- und SS-Mitglieder sowie Hitlerjugend - unter den Zuhörern stark vertreten. Der kommissarische Amtsbürgermeister Klamroth leitete die Wahl. Die Mehrheit im Gemeinderat hatte die NSDAP allerdings nicht, denn der von Philipp Bonerz (SPD) (8) vorgeschlagene alte Ortsbürgermeister Peter Harig (Zentrum) wurde mehrheitlich wiedergewählt.
Bei den Anhängern des Nationalsozialismus entstand daraufhin allgemeine Unruhe und Klamroth unterbrach die Sitzung, um mit der Aufsichtsbehörde zu telefonieren. Nach Wiedereröffnung der Sitzung erklärte er, dass der Regierungspräsident Harigs Wahl für ungültig erklärt habe. Er, Klamroth, habe er den Auftrag, den NSDAP-Ortsgruppenleiter Johann Jakobs (9) zum kommissarischen Ortsbürgermeister einzusetzen und zu ernennen.
Die Folge war ein großer Tumult, in dessen Verlauf die Anhänger von Zentrum und SPD auch tätlich angegriffen wurden. SPD-Mann Bonerz wurde gewaltsam aus dem Saal verwiesen (10) und von SS- und SA-Leuten auf der Straße körperlich misshandelt (11). Letztlich brachte man Harig und Bonerz zum Gericht. wo sie auf Klamroths Anordnung vorübergehend in Haft genommen wurden. (12)
Schon in der nächsten Gemeinderatssitzung am 18. April wurden „der Führer“ Adolf Hitler, Reichspräsident Paul von Hindenburg, Gustav Simon (Gauleiter Koblenz-Trier) und Robert Ley (Gauleiter Rheinland-Süd) einstimmig (13) zu Ehrenbürgern von Hermeskeil ernannt. (14) (15)
Rechtsanwalt Klamroth sollte sich seiner Position nicht lange freuen. Schon nach drei Monaten war er bei der Parteiführung in Ungnade gefallen und wurde am 1. Juli 1933 durch Dr. Wilhelm Jager ersetzt. Damit gelangte wieder ein Verwaltungsfachmann an die Spitze der Amtsverwaltung, der - wie es schien - das Vertrauen des Kreisleiters und der Partei genoss. Die Bevölkerung soll unter der Führung von Dr. Jager wieder „aufgelebt“ sein, da er angeblich unparteiisch regierte. (16)
In seinem 2018 im Paulinusverlag erschienenen Buch „Juden im Gaumusterdorf - Auf den Spuren ehemaliger jüdischer Nachbarn in Hermeskeil“ (17) schildert der gebürtige Hermeskeiler Heinz Ganz-Ohlig anhand von durch Zeugenaussagen und Dokumente belegten Beispielen die Entwicklung:
Schon Anfang März 1933 war der jüdische Viehhändler Hermann Weiller aus fadenscheinigen Gründen in „Schutzhaft“ genommen und eine Woche lang im Gefängnis am Amtsgericht festgehalten worden. Er hatte sich auf einer Geschäftsreise in Deuselbach mit einem Gastwirt über antijüdische Exzesse in einem Ort am Rhein unterhalten, woraufhin ihm „Verbreitung von jüdischen Greuelmärchen“ vorgeworfen wurde.
Als das jüdische Kaufhaus Bonem vor Ostern 1933 unter anderem mit einem Kreuz im Schaufenster für österliche Artikel warb, wurden Hermeskeiler NSDAP-Mitglieder als „selbst ernannte Hüter der christlichen Lehre“ aktiv und traten mit einer Kamera vor das Geschäft, woraufhin das Fenster geschlossen und das Kreuz entfernt wurde.
Anfang April rief Ortsgruppenleiter Jakobs in einer Ansprache auf dem Hermeskeiler Marktplatz „zu einer entschlossenen Abwehr der jüdischen Greuelmeldungen und zur entschlossenen Durchführung des Boykotts der jüdischen Geschäfte“ auf.
Auch private Kontakte zu Juden wurden von den Nationalsozialisten schon 1933 in Hermeskeil geächtet. Wenn man jüdische Nachbarn auf der Straße traf, wurde „lieber weggeschaut als weiterhin gegrüßt“, Eltern verboten ihren Kindern den Umgang mit jüdischen Klassenkameraden. Die jüdischen Mitbürger Hermeskeils wurden so nach und nach isoliert.
Einem Teil von ihnen gelang es in den folgenden Jahren, sich durch Auswanderung nach England, Israel und die USA in Sicherheit zu bringen. Doch insgesamt 21 Menschen jüdischen Glaubens, die bis Anfang der 1930er-Jahre in Hermeskeil ein normales Leben als Mitbürger und Nachbarn geführt hatten, überlebten den Terror nicht, weil sie deportiert und in Konzentrationslagern ermordet wurden. Ihre Namen finden sich auf einer im November 2021 enthüllten Gedenktafel an einer Mauer gegenüber der Martinuskirche in Hermeskeil, dem ungefähren Standort der früheren jüdischen Synagoge. (18)
(1) 1923 - 1933 - 1938: Stationen zwischen den Kriegen (RuH Nr. 49/1973). Der Bericht beruht auf den Erinnerungen des Zeitzeugen Matthias Schneider (1890-1964), von 1918 bis 1955 Mitarbeiter der Amtsverwaltung, nach seinem Eintritt in den Ruhestand von 1956 bis 1961 Ortsbürgermeister von Hermeskeil.
(2) Dr. Karl Pohl (* 1873 in Kinheim, + 1944 in Schiefbahn), Landrat des Kreises Trier 1921-1933 (Dittmar Lauer, Dr. Karl Pohl, Biographische Skizze und seine Absetzung durch die Nationalsozialisten. Kreisjahrbuch 2016)
(3) Peter Schmitt (* 1901 in Ottweiler, + 1985 in Altenkessel), SA- und SS-Mitglied, NSDAP-Kreisleiter Trier-Land-Ost/Wadern, galt 1945 als gefallen, war aber im Hessischen untergetaucht bis 1962 (Dittmar Lauer, Die NSDAP-Kreisleitung Trier-Land-Ost/Wadern in Hermeskeil, Kreisjahrbuch 2017).
(4) Kurt Klamroth, * 1890, Rechtsanwalt, NSDAP-Mitglied seit 01.03.1933, führte nach dem Krieg seine Anwaltskanzlei in Hermeskeil weiter (Dittmar Lauer, s. 2).
(5) Aussage von Dr. Heinz Kahn 2011 (zitiert nach Willi Körtels: Antisemitische Übergriffe in der Region Trier vor 1933, Konz 2011, http://mahnmal-trier.de/uebergriffe_1933.pdf)
(6) Peter Harig (* 1893 in Hermeskeil, +1981 in Trier), Landwirt auf dem Wendelshof, Ortsbürgermeister 1930-1933 und 1945-1959, Amtsbürgermeister 1945-1959 (RuH Nr. 26/1981)
(7) Das Hotel Posthof stand in der Saarstraße. Es ist das Haus, in dem sich heute die Allgemeinarztpraxis Dr. Müller/Dr. Wagener befindet.
(8) Philipp Bonerz (* 1884 in Gusenburg, + 1966 in Trier), Eisenbahnbeamter, Gemeinderatsmitglied 1924-1933 und 1946-1964 (RuH Nr. 46/1964)
(9) Johann Jakobs (* 1900 in Gusenburg, + 1971 in Heilbronn), 1931 bis 1933 Geschäftsführer des „Nationalblatts“ in Trier, NSDAP-Ortsgruppenleiter in Hermeskeil, 1934-1937 Kreisleiter in Baumholder, 1937-1943 Kreisleiter in Bitburg (Dittmar Lauer, s. 3)
(10) Klamroth schrie: „SA und SS hierbleiben!“, zeigte auf Bonerz und sagte: „Schmeißt den Kerl raus!“ (Aussage von Philipp Bonerz 1949, zitiert nach Heinz Ganz-Ohlig: Juden im Gaumusterdorf, Auf den Spuren ehemaliger jüdischer Nachbarn in Hermeskeil, Paulinus Verlag Trier, 2018)
(11) Man darf nicht vergessen, dass diese SS- und SA-Leute keine „dahergelaufenen Fremden“ waren. Hier wurden Hermeskeiler Bürger von Mitbürgern, bei denen es sich vielleicht um Nachbarn, zumindest Bekannte oder sogar (ehemalige) Freunde handelte, verprügelt.
(12) RuH a.a.O. (s. 1)
(13) Die Willkürmaßnahmen der neuen Machthaber sowie die körperlichen Angriffe gegen Andersdenkende hatten also schon nach kurzer Zeit ihre Wirkung gezeigt und die nicht der NSDAP angehörigen Ratsmitglieder trauten sich offenbar schon nicht mehr, dagegen zu stimmen.
(14) Heinz Ganz-Ohlig, a.a.O. (s. 10)
(15) Auch wenn die Ehrenbürgerschaft als höchstpersönliches Recht mit dem Tod des Ehrenbürgers automatisch endet, hat der Hermeskeiler Stadtrat in einem symbolischen Akt diesen Gemeinderatsbeschluss in seiner Sitzung am 3. Dezember 2019 einstimmig aufgehoben (vgl. RuH Nr. 50/2019).
(16) So steht es zumindest im Bericht von Matthias Schneider in RuH Nr. 49/1973.
(17) Heinz Ganz-Ohlig, a.a.O. (s.10)
(18) RuH Nr. 47/2021