Der Mann auf der Anklagebank, Jahrgang 2000, macht einen erwachsenen Eindruck. Als er die Straftaten begangen hat, die ihn dorthin gebracht haben, ist er wohl noch nicht so weit gewesen. Ein Erwachsener hätte so was eher nicht gemacht.
Seine Schwester ist irgendwann wahrscheinlich so unvorsichtig gewesen, ihm das Passwort für ihr Paypalkonto zu verraten. Damit hat er sich dann eine Zeit lang munter bedient, immer wieder Sachen bestellt, die einzeln nicht allzu viel gekostet haben. Nur einmal hat er sich 800 Euro „rübergeschoben“; insgesamt hat er einen Schaden von 1.900 Euro angerichtet. Warum die Schwester das nicht sofort unterbunden hat, bleibt offen.
Er hat hat auch noch eine andere „glorreiche“ Idee: Im Internet bietet er Amazon-Gutscheine zum halben Preis an, also jemand schickt ihm beispielsweise 25 Euro und bekommt von ihm einen Gutschein über 50 Euro. Ein alter Spruch lautet: „Jeden Morgen steht mindestens ein Dummer auf“. Hier sind es zwei, die ihm insgesamt 500 Euro schicken. Einen Gutschein haben sie nie gesehen, er dafür aber eine Anzeige, genau wie von seiner Schwester.
Warum er das gemacht hat, will Richterin Buchenberger wissen und der Angeklagte sagt wahrheitsgemäß: „Der Hauptgrund war, an Geld zu kommen.“ Zurückgezahlt hat er bis jetzt noch nichts, sich auch noch nicht bei der Schwester entschuldigt. Dazu bietet die Richterin ihm nun die Gelegenheit, denn die Schwester ist als Zeugin geladen, doch der Mann sagt, dass er das „lieber privat machen“ möchte. Die Schwester muss nun nicht mehr als Zeugin gehört werden, weil ihr Bruder ja alles gestanden hat. Sie sagt nur noch, dass sie über Paypal alles zurückbekommen hat.
Außer dass die Eltern sich getrennt haben, als er zehn Jahre alt war, hat der Angeklagte eigentlich eine relativ normale Kindheit gehabt. Probleme gibt es erst, als er die Schule abgeschlossen hat. Danach hat er noch die Berufsfachschule besucht und 2018 eine Lehre begonnen, die er aber wegen psychischer Probleme abbrechen muss. Die Ursache ist, wie die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe berichtet, eine bei dem jungen Mann diagnostizierte Panikstörung, die mit Medikamenten behandelt wird. Im Sommer 2020 hat er dann einen Rückfall und befindet sich für längere Zeit in einer labilen Phase; das ist der Zeitraum, in dem er die Straftaten begangen hat. 2021 beginnt er eine stationäre Therapie, die ab Februar 2022 ambulant fortgesetzt wird.
Vielleicht stehen seine psychischen Probleme mit frühzeitigem Drogenkonsum in Verbindung. Dass der bei ihm vorliegt, ergibt sich aus einer Handvoll Vorstrafen, von denen mehrere wegen „unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln“ verhängt worden sind. Die Strafen haben sich in Verwarnungen und der Auferlegung von Sozialstunden erschöpft, weil noch Jugendstrafrecht galt. Die „Abstinenznachweise“, die er im Lauf der Therapie vorlegen musste, sind alle ohne Befund gewesen, er ist also inzwischen „clean“.
Um Jugendstrafrecht geht es nun auch in der heutigen Verhandlung. Hat ein Straftäter, der zwar schon über 18 Jahre alt ist, noch nicht die nötige Reife eines Erwachsenen, kann dies bis zum 21. Lebensjahr weiter zur Anwendung kommen. Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe empfiehlt es auch in diesem Fall, womit sie beim Staatsanwalt, der die Suchtproblematik zur Tatzeit sieht und betont, dass der Angeklagte nach der erfolgreichen Therapie „einen sehr positiven Eindruck“ macht, und Richterin Buchenberger auf offene Ohren stößt. So wird der Angeklagte wegen Computerbetrugs zwar schuldig gesprochen, erhält aber nur die Auflage, den Schaden wieder gut zu machen. Die 500 Euro wegen der Amazon-Gutscheine soll er innerhalb von drei Monaten zurückzahlen, die 1900 Euro, die er Paypal schuldet, werden eingezogen, d.h. er muss den Betrag an die Staatsanwaltschaft zahlen, wo die Gläubiger ihre Ansprüche dann geltend machen können.
In seinem letzten Wort hat der Angeklagte gesagt, er schäme sich für das, was er gemacht habe. Es hat ehrlich geklungen. Weil er ab August eine Ausbildung beginnen wird, die er hoffentlich auch abschließt, sollte es ihm möglich sein, die Schulden in Raten zu begleichen.