“Wenn die gehen, dann ist ja gar nichts mehr hier!”
“Hermeskeil macht zu.”
“Hermeskeil ist am Ende...”
Solche Sätze höre ich dieser Tage zuhauf.
Ein Geschäft nach dem anderen verlässt die Innenstadt.
Ein Restaurant nach dem anderen macht zu...
Und auch unser Klösterchen hat vorzeitig zu gemacht und steht nun leer...
Unsere Stadtbürgermeisterin Lena Weber hat das vor kurzem in einem Social-Media-Beitrag so in Worte gefasst: “Mir blutet bei jedem leeren Schaufenster und jeder ungenutzten Geschäftsfläche das Herz.”
“Schneller als wir ahnten,
zerriss des Himmels Blau,
Durchkreuzt ist, was wir planten.
Die Welt scheint kalt und grau.”
heißt es in einem neuen geistlichen Lied von Eugen Eckert, das nicht nur gut in die Karwoche passt, sondern vielleicht auch zu uns hier in Hermeskeil.
Viel schneller als gedacht: Leerstand und nicht nur das: auch Stillstand und das nicht nur in Hermeskeils “City”.
Unser Gesundheitswesen scheint am Ende zu sein und viele ahnen: So wie bisher geht das nicht weiter. Die Diskussionen um den ärztlichen Bereitschaftsdienst in Hermeskeil sind da nur ein Symptom.
Nicht viel besser sieht es im Bildungs- und Erziehungssektor aus. Da ist auch Stillstand und Leerstand zu verzeichnen, der insbesondere die Erzieherinnen und Erzieher unserer Kitas am Limit und über das hinaus arbeiten lässt...
In die Dinge, bei denen immer deutlicher wird, dass es so nicht mehr lange weitergeht, reiht sich natürlich auch die Kirche - ganz besonders die katholische - ein. Die Zahl der Kirchenaustritte ist so hoch wie nie. Waren es 2016 noch über 10.000 Katholiken in der Pfarrei St. Franziskus, sind es jetzt noch 7.500... Wenn das genauso weitergehen würde, gäbe es 2044 keine katholische Pfarrei mehr in Hermeskeil... Die Gründe für die Kirchenaustritte haben auch viel mit Leerstand und Stillstand zu tun. Menschen verzweifeln gerade an der Reformunfähigkeit der katholischen Kirche und spüren zugleich, dass viele der kirchlichen Formate ihnen heute nichts mehr sagen, zumindest nicht mehr so viel, dass sich ein Dauer-Abo lohnt.
Ukraine-Krieg, Energiekrise, Klimawandel, Corona-Pandemie sind dabei alles Stichworte, die an keiner Institution aber auch an keinem Einzelnen von uns spurlos vorübergehen.
Hinzukommen dann noch die Leerstände und Stillstände in meinem eigenen Leben. Die Beziehung, die still steht und am Ende ist, das berufliche oder ehrenamtliche Engagement, das mich nicht mehr mit Sinn erfüllt, Krankheit und Tod, der in diesen Tagen gefühlt zu oft in und um Hermeskeil Einzug gehalten hat.
Dass viele angesichts all dessen erschöpft sind und nicht mehr weiterkönnen, ist kaum verwunderlich.
„Rasender Stillstand“, so beschreibt der Soziologe Hartmut Rosa unsere Situation.
Er benutzt das Bild einer Rolltreppe, die abwärts läuft. Wir wollen mit aller Macht gegen sie aufwärtslaufen, doch mit jedem Schritt gegen die Rolltreppe wird diese schneller und wir treten letzten Endes auf der Stelle. Das erschöpft und macht einen „rasend“.
Nichts bewegt sich bzw. jede Bewegung scheint ins Nichts zu laufen. Wenn überhaupt: Stolpern, Hinken, wie es das Lied von Eugen Eckert in einer anderen Strophe beschreibt.
Viele neue Ideen verlaufen im Sand, weil es an Ressourcen fehlt, weil die Mühlen so mancher Behörden zu langsam mahlen und vielleicht auch deshalb, weil der große Wurf fehlt. Neu zu denken und Neues zu wagen, dafür braucht es Mut und Kraft und vor allen Dingen: Zutrauen und Vertrauen.
Zu sehr hänge ich selbst am Alten, an dem, was ich kenne, was immer so war und am besten auch immer so bleiben soll... auch in der Kirche. Deshalb versuche ich das mit aller Kraft zu erhalten und bei anderen, die etwas Neues wagen, da bin ich eher skeptisch und spreche alles aus: Nur kein Vertrauen und Zutrauen.
Ist es nicht das, was uns so schmerzlich fehlt? Ein Zutrauen in uns selbst, in den anderen, die Zukunft, Gott?
Zu diesem Zutrauen gehört dann auch, die Leere und den Stillstand anzunehmen. Die Leere und den Stillstand anzuschauen, auszusprechen, zu betrauern, ja “das Herz bluten lassen”, wie Lena Weber es für die Leerstände in unserer Stadt schreibt.
Die Karwoche mit ihren schweren Themen, Scheitern, Verrat, Zerbrechen von Gemeinschaft, Unrecht, Leiden, Sterben und Tod, will eine Zeit sein, in der wir eben dieses Schwere in den Blick nehmen - gemeinsam. Für mich sind die kommenden Tage ein Trainingslager, um mit anderen Leer- und Stillstände aushalten zu lernen. Da beieinander zu bleiben und füreinander zu sorgen, ist und bleibt die Herausforderung. Die Gefahr, dass zu viele sich an den Leer- und Stillständen abarbeiten, ausbrennen und ausbluten, sich gegeneinander erheben und verletzen, ist viel zu groß. Der Blick auf unsere Kommunalpolitikerinnen und -politiker erfüllt mich mit großer Sorge, aber auch der auf unsere Erzieherinnen und Erzieher, die im Gesundheitssektor Beschäftigten und auch die in unserer Kirche Engagierten. Sie drohen auszubluten.
Ein Tag, den wir in der Karwoche gerne „übergehen“, ist der Karsamstag - der sogenannte Tag der Grabesruhe. Ich selbst tue alles Mögliche an diesem Tag, damit er ja nicht ruhig ist. Leere und Stillstand aushalten, das fällt mir schwer. Davor habe ich Angst. Zeit ist schließlich Geld, sagt der Kapitalismus, also: So schnell wie möglich weitermachen… Trauernde wissen, dass nach der Umtriebigkeit und Ablenkung um das Begräbnis eines lieben Menschen herum die schwerste Zeit beginnt, die Stille im Alltag ist, da wo die geliebte Person vermisst wird.
Vielleicht braucht es den Karsamstag mehr denn je: Dass wir zunächst den Stillstand und die Leere aushalten und akzeptieren. Die Botschaft von Ostern ist nicht: „Es geht weiter wie bisher!“ oder „Alles ist wieder gut!“, sie lautet: „Das Grab ist leer.“ Leere ist die erste österliche Erfahrung und: „Er ist nicht hier.“ Es geht an Ostern dann auch darum, dass wir Neues wagen und denken. Das gelingt wohl nur, wenn wir die Leere akzeptieren und uns auf die Suche machen - am besten gemeinsam, miteinander und füreinander.
Für mich jedenfalls ist dies die Botschaft von Ostern 2023 rund um Hermeskeil:
Bleiben wir beieinander in den großen und kleinen Leer- und Stillständen in unserem Leben! Fragen, klagen, trauern wir! Lassen wir es zu und gehen wir dabei achtsam miteinander um! Schaffen wir so Zutrauen und Vertrauen ineinander, damit wir Neues denken und wagen - für uns, die anderen, für unser Hermeskeil!