Vor etwa zwei Jahren ist in einem Hermeskeiler Supermarkt einer Frau die EC-Karte gestohlen worden; die Geheimzahl hat der Täter vermutlich vorher an der Kasse ausgespäht. Denn noch ehe der Diebstahl bemerkt und die Karte gesperrt wird, schlägt er mehrmals an Geldautomaten und in Geschäften zu, unter anderem in Hermeskeil, Schweich, Wittlich und Gelsenkirchen. Natürlich weiß er, dass in Geldautomaten Kameras eingebaut sind. Und so trägt er beim Geldabheben nicht nur eine Corona-Maske, was zu der Zeit ja nicht auffällt, sondern auch noch eine Schiebermütze. Auf dem Fahndungsfoto, das die Polizei veröffentlicht, ist deshalb kaum mehr als die Augenpartie zu sehen. Trotzdem meldet sich jemand, der glaubt, den Mann erkannt zu haben. Und obwohl in dessen Wohnung bei einer Durchsuchung nichts gefunden wird und er angibt, noch nie in seinem Leben in Hermeskeil gewesen zu sein, erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen diesen Mann.
Das Gericht hat einen Gutachter bestellt, einen Facharzt für Rechtsmedizin. Der macht zu Beginn der Verhandlung noch Fotos von dem Angeklagten, fotografiert dabei auch den linken Unterarm des Mannes, weil dieser Körperteil des Täters auf dem Bild einer Überwachungskamera in einem Geschäft an der Kasse zu sehen ist. Und während Richterin Buchenberger dem Angeklagten Fragen stellt, studiert der Sachverständige am Bildschirm seines tragbaren Rechners sorgfältig die Bilder und vergleicht die Fahndungsfotos mit denen, die er gerade aufgenommen hat. Es dauert nur ein paar Minuten, bis er sein Ergebnis präsentiert: Der Angeklagte ist mit dem Mann auf den Bildern vom Geldautomaten und der Überwachungskamera „sehr wahrscheinlich nicht identisch“.
Vor diesem Hintergrund bleibt dem Staatsanwalt nichts anderes übrig als Freispruch zu beantragen, weil dem Mann die Taten nicht nachgewiesen werden können, wie er sagt. Der Verteidiger schließt sich diesem Antrag selbstverständlich an, das Urteil lautet erwartungsgemäß ebenso. Sämtliche Kosten trägt die Staatskasse und dem Angeklagten wird eine Entschädigung für die Durchsuchung zugesprochen. „Sie haben leider Pech gehabt, weil Sie der Person sehr ähnlich sehen“, sagt sie zu dem Mann und betont, dass der Gutachter nicht gesagt habe, man könne die Identität nicht nachweisen, sondern sie sei sehr wahrscheinlich nicht gegeben. Am Ende spricht sie „im Namen des Volkes“ eine Entschuldigung aus: „Es tut mir leid, dass es zu einer Verhandlung gekommen ist.“
Eine Anmerkung sei erlaubt: Dieser Prozess wäre vermeidbar gewesen. Es ist schon kaum nachvollziehbar, dass lediglich aufgrund einer Vermutung Anklage gegen einen Unbescholtenen (er hat keinen Eintrag im Bundeszentralregister) erhoben worden ist, ohne dass irgendwelche weiteren Indizien oder gar Beweise vorgelegen haben. Zudem hätte das Gutachten auch schon von der Anklagebehörde eingeholt werden können. Dem Mann und dem Gericht hätten so Ärger und Arbeit erspart bleiben können. (WIL-)