Vier Jugendsachen stehen heute auf der sogenannten Rolle, die neben der Tür des Gerichtssaals hängt. Bei einer davon darf die Presse nicht dabei sein, weil sie nicht öffentlich ist.
Zu Beginn sitzt ein fast 20-jähriger auf der Anklagebank, der im vorigen Sommer mit einer nicht unerheblichen Menge Cannabis erwischt worden ist. In seiner Wohnung hat man zudem noch weitere Drogen sowie Utensilien, die üblicherweise für deren Konsum benutzt werden, gefunden. Vor Gericht, wo er wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln angeklagt ist, macht er einen ziemlich unruhigen und nervösen Eindruck. Mit Drogen ist er schon in der Schulzeit in Berührung gekommen und hat heute Probleme, davon los zu kommen. Aber strafrechtlich ist er bisher ein unbeschriebenes Blatt. Eine Ausbildung hat er nach der Schule zwar begonnen, aber abgebrochen. Auf die Frage von Richter Dr. Zierden, ob die Vorwürfe zutreffen, erklärt er, er habe das Cannabis nicht gekauft, sondern geschenkt bekommen; der Dealer sei ein Bekannter. Doch der Richter hält ihm seine Aussage bei der polizeilichen Vernehmung vor: Dort hat er selbst angegeben, dass er es gekauft hat; heute erinnert er sich daran nicht mehr. Die Jugendgerichtshilfe, deren Bericht verlesen wird, schlägt eine Verwarnung vor, verbunden mit der Weisung, keine Drogen mehr zu konsumieren. Als Auflage soll der junge Mann Beratungstermine bei der Jugendberufshilfe nachweisen. Das meint auch der Vertreter der Anklage und das Gericht folgt dem im Urteil. Wie üblich in solchen Fällen muss er seine Abstinenz durch die Abgabe mehrerer Urinproben nachweisen. Das Urteil wird sofort rechtskräftig, weil beide Seiten auf Rechtsmittel verzichten.
Der zweite Angeklagte zieht es vor, nicht zum Termin zu erscheinen, was leider öfter vorkommt. Bei ihm handelt es sich - wie sich aus dem Gespräch zwischen Richter, Staatsanwalt und Vertreterin der Jugendgerichtshilfe ergibt, nicht um ein unbeschriebenes Blatt; er stand offenbar schon öfter vor Gericht. Worum es heute geht, erfährt man aber nicht. Nach Ablauf der obligatorischen Wartezeit von 15 Minuten beantragt der Staatsanwalt, zum nächsten Termin den Angeklagten vorführen zu lassen. Für den bedeutet das, dass ihn die Polizei an diesem Tag „in aller Herrgotts Früh“ abholen und bis zum Beginn der Verhandlung festsetzen wird. Ob er sich mit seinem Fernbleiben einen Gefallen getan hat, darf deshalb bezweifelt werden. Die Dame von der Jugendgerichtshilfe meint am Ende trocken: „Da bin ich heute länger gefahren als ich hier war.“
Es kann heute aber gleich weiter gehen, denn der nächste Angeklagte - ganze 17 Jahre alt - ist schon da und es sind keine Zeugen geladen. Angeblich hat der Jugendliche vor rund einem Jahr in einer Einrichtung „aus Langeweile“, so der Ankläger, eine Tür im Zimmer eines Freundes eingetreten. Die Anklage lautet also auf Sachbeschädigung. Doch so soll es nicht gewesen sein, erklärt der junge Mann. Er und sein Freund hätten „Spaß gemacht“ und dabei sei versehentlich die Tür zu Bruch gegangen. Es sei also keineswegs Absicht gewesen. Er hat sich entschuldigt und zahlt schon seit längerem den Schaden mit monatlichen Raten von seinem Taschengeld ab. Richter Dr. Zierden und der Staatsanwalt sind sich deshalb einig, dass die Sache strafrechtlich nicht weiter verfolgt und das Verfahren ohne weitere Auflagen eingestellt wird. (WIL-)