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Rund um Hermeskeil
Ausgabe 16/2024
Aus dem Gerichtssaal
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Unachtsamkeit mit schlimmen Folgen

Diese Einmündung in eine Bundesstraße im Hochwald ist eigentlich total übersichtlich. Man muss sich wundern, dass es dort fast regelmäßig zu schweren Unfällen kommt. Sie liegt am Scheitelpunkt einer Kurve und wer in die Bundesstraße einfahren will, hat in beide Richtungen freie Sicht über mehreren hundert Meter. Die einzigen Erklärungen: Unachtsamkeit oder Selbstüberschätzung. Ersteres ist es wohl in diesem Fall gewesen, wenn man dem Angeklagten glauben darf. Der junge Mann, der seinen Führerschein erst seit drei Monaten hat, sieht „rechts frei“ und von links zwei Pkw kommen, die aber den Blinker zum Abbiegen gesetzt haben. Dass dahinter noch einer gewesen ist, bemerkt er erst, als es zu spät ist und dieser ungebremst in die Seite seines Fiestas kracht. Er wird bei dem Unfall schwerst verletzt, verbringt mehrere Tage auf der Intensivstation, bis er operiert werden kann. Es folgen eineinhalb Wochen im Krankenhaus und zwei Monate im Rollstuhl, danach geht er eine Zeit lang an Krücken. Heute ist er wieder weitgehend mobil. Der Unfallgegner hat mehr Glück gehabt und ist mit Prellungen und Stauchungen davongekommen. Er selbst hat gegen den Angeklagten keine Strafanzeige gestellt, hat ihm sogar Genesungswünsche übermittelt. Bei der Polizei hat er gesagt: „Der hat mehr an den Folgen zu leiden als ich.“

Doch die Staatsanwaltschaft hat den jungen Mann wegen fahrlässiger Körperverletzung angeklagt und wirft ihm zusätzlich Verkehrsgefährdung vor, weil er vorsätzlich die Vorfahrt des anderen missachtet haben soll. Seinen Führerschein hat er erst einmal abgeben müssen. „Die fahrlässige Körperverletzung ist unstreitig“, sagt sein Verteidiger. „Aber wir regen uns auf, dass daraus eine Verkehrsgefährdung gemacht wird“, fährt er fort. Es liege natürlich „ein heftiger Vorfahrtspflichtverstoß“ vor, aber für eine Verkehrsgefährdung müsse ja doch noch einiges hinzu kommen. Er habe das dritte Fahrzeug wirklich nicht gesehen, erklärt der Angeklagte. „Sonst hätte ich natürlich angehalten, schon aus eigenem Interesse.“ Zwei Zeugen schildern ihre Sicht des Geschehens. Einer ist von rechts gekommen und hat den Fiesta erst wahrgenommen, als der aus der Ausfahrt gekommen ist. „Ich dachte noch: Was macht der da? Da hat es schon gekracht“, berichtet er. Nach seinem Eindruck hat der Angeklagte nicht an dem Stoppschild gehalten, sondern ist einfach in die Straße eingefahren. Auch der zweite Zeuge spricht davon, dass der Fiesta „unerwartet rausgezogen“ habe, könne sich aber nicht bewusst erinnern, dass der vorher „nicht gestanden“ habe.

So jung der Angeklagte noch ist, hat er doch bereits fünf Einträge im Bundeszentralregister. Richterin Buchenberger berichtet von Betäubungsmittelverstößen, Sachbeschädigung, Diebstahl und Bedrohung - zwar nicht einschlägig, aber ein unbeschriebenes Blatt ist er also nicht. Laut Bericht der Jugendgerichtshilfe haben sich seine Eltern getrennt, als er sechs Jahre als war. Er lebt mit seiner Mutter und deren neuem Partner im Haushalt. Irgendwann hat er mit Drogen angefangen und seinen Eltern große Sorgen bereitet, als sich der Konsum gesteigert hat. Er hat dann an einer stationären Therapie teilgenommen, aber die Klinik auf eigenen Wunsch verlassen. Mit Hilfe der Suchtberatung hat er es aber offenbar geschafft, von dem Zeug loszukommen, denn er hat seine Abstinenz inzwischen nachgewiesen und das Verhältnis zu den Eltern hat sich deutlich gebessert. Er hat nun einen Vertrag für eine Ausbildung in der Tasche und wird im August damit starten.

Der Staatsanwalt lässt den Vorwurf der Straßenverkehrsgefährdung fallen. „Wahrscheinlich hat er die Verkehrssituation falsch eingeschätzt“, meint er. Er beantragt „eine kleine Geldauflage“ und den Nachweis der Teilnahme an einem Fahrsicherheitstraining. Der Verteidiger fasst sich kurz und schließt sich „im Wesentlichen“ an. Und so endet das Verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung mit einem milden Urteil: 300 Euro, zu zahlen an die Johanniter Unfallhilfe und die Auflage, ein Fahrsicherheitstraining zu absolvieren. „Ich denke, dass Sie die geringe Geldauflage abstottern können“, sagt Richterin Buchenberger. Kosten hat der Angeklagte, der kein eigenes Einkommen hat, nicht zu tragen und den Führerschein, der sich beim Gericht befindet, darf er wieder mitnehmen.