Die nachstehenden Erinnerungen von Hermann Schmidt1 befassen sich mit Ortsverhältnissen und Kindheitserlebnissen in den 1910er und 1920er Jahren.
(Fortsetzung aus RuH Nr. 16/2025, Erstveröffentlichung: RuH Nr. 46 u. 48/1969)
Das Ende des großen Ringens wurde der Hermeskeiler Einwohnerschaft durch ein Extratelegramm, das im Schaufenster der Buchhandlung Lohmer hing, angezeigt. Kaiser Wilhelm hatte am 9. Nov. 1918 abgedankt. Nun kam die Rückführung des Deutschen Heeres in die Heimat. Für uns Jungens wieder eine große Abwechslung. Wir durften auf den Zugpferden mitreiten, durften mithelfen und nahmen teil am Biwakleben unserer Feldgrauen. Die anschließende Soldatenratzeit mit ihren trostlosen Begleiterscheinungen ist noch vielen in Erinnerung. Wir sahen, wie man unseren Soldaten ihre Kriegsauszeichnungen, ihre Kokarden und ihre Achselstücke von der Uniform riss.
Als Besatzung kamen zuerst die Amerikaner. Diese übernahmen die Ortsregie. Sie hatten große Angst vor Seuchen und ansteckenden Krankheiten. Alles musste desinfiziert werden, die Straßen mussten übertrieben sauber gehalten werden. Die Misthaufen der Bauern mussten mit Tannen abgedeckt werden und wurden reichlich mit Chlor bestreut. In ihrer Freizeit spielten die amerikanischen Soldaten in den Ortsstraßen Wurfball, ritten halbwilde Maulesel und abends schlugen sie sich mit der männlichen Jugend des Ortes blutige Köpfe. Über dem Amtsgericht auf dem früheren Eiskeller der Brauerei errichteten die Amerikaner einen riesigen Fahnenmast. In feierlicher Form, unter den Klängen einer Militärkapelle, wurde dort das Sternenbanner gehisst, das nun während der ganzen amerikanischen Besatzungszeit dort wehte. Ein eifriger Handel wurde mit den sogen. Souvenirs getrieben. Die Amis tauschten ehemalige deutsche Kriegsauszeichnungen, auch Uniformteile und Waffen, gegen Lebensmittel ein.
Den Amerikanern folgten die Franzosen. Zuerst zogen marokkanische Regimenter durch die Straßen Hermeskeils, sie requirierten alles, was ihnen wertvoll erschien. Viele Geschäfte hängten schließlich Gardinen an ihre Schaufenster, um eine Privatwohnung vorzutäuschen.
Vor dem Einzug der amerikanischen und französischen Besatzungstruppen erhielt der Ort Hermeskeil auch einen kleinen Vorgeschmack von den allgemeinen Zusammenbruchserscheinungen des Jahres 1918. Am zweiten Sonntag im November 1918 wurden die in Hermeskeil weilenden Feldgrauen von einigen mit roten Bändchen versehenen einfachen Soldaten belästigt, sie rissen ihnen die Achselstücke und die Orden von den Uniformen. Die in verschiedenen Städten des Reiches aufgeflammten Spartakistenaufstände fanden auch in Hermeskeil eine Nachahmung. Unter dem Motto „Hl. Spartakus los“ zertrümmerte eines Abends lichtscheues Gesindel die Schaufenster des Kaufhauses Adam Eiden. Die Plünderer rafften so viel Ware an sich, wie sie fassen konnten und wollten damit verschwinden. Man hatte jedoch die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Hermeskeiler Bürger machten den Plünderern den Garaus, sie wurden zusammengeschlagen, ein Toter und mehrere Verletzte blieben auf der Walstatt.
Ein neuer Schock für die Bevölkerung waren die Auswirkungen des „passiven Widerstandes“ im Jahre 1923. Anlässlich des Einbruchs der Franzosen in das Ruhrgebiet forderte die Deutsche Reichsregierung das Deutsche Volk zum passiven Widerstand auf. Die Folgen waren für die Besatzungsmacht sehr einschneidend. Keine Hand rührte sich für den Fremden. In Hermeskeil stand zunächst der gesamte Bahnbetrieb vollkommen still. In die große Drehscheibe des Hermeskeiler Bahnhofs hatte man eine Lokomotive gestürzt und damit unbrauchbar gemacht. Die Telefonleitungen waren unterbrochen, die sonstigen Ämter waren geschlossen, der Gegner stand vollkommen alleine da. Wie überall auf linksrheinischem Gebiet, waren auch in Hermeskeil die Gegenmaßnahmen der frz. Besatzungsmacht sehr scharf. Viele Eisenbahner und andere Beamte und Angestellte wurden mit ihren Familien von Marokkanern zusammengetrieben, mit dem Notwendigsten versorgt, wurden sie auf Lastwagen nach rechtsrheinisch transportiert. Haus und Hof mussten verlassen werden. Allmählich gelang es den Franzosen, die Bahn wieder fahrbereit zu machen, aus der ehem. Deutschen Reichsbahn wurde die frz. Regiebahn.
Die aufkommende Inflation, die im Dezember 1923 ihren Höhepunkt fand - ein Brot, das 1918 noch 0,54 Reichsmark gekostet hat, wurde im Dezember 1923 mit 540 Milliarden Reichsmark bezahlt - wurde am 1. Januar 1924 beendet, die Rentenmark trat an die Stelle der alten wertlos gewordenen Reichsmark.
Die Inflationszeit hatte, besonders in unserer engeren Hochwaldheimat, ihre krasse Gegenseite. Der frz. Franken behielt, gestützt auf den Versailler Vertrag, seinen alten Kurs. Während die Deutsche Reichsmark immer weniger wurde und man fast nichts mehr dafür bekam, konnte man für ein paar Franken alles kaufen. Die im Saargebiet arbeitenden Wochenpendler kamen an den Samstagen mit dem sogen. Bärenzug in Hermeskeil an. Es ging oft hoch her, schon für 4 Franken konnte man z. B. bei Bergs Gret, heute Bauer Hermann, oder bei Mönke, heute Eisenring, ein Faß Bier auffahren lassen. Die Bäcker und Metzger hatten vollauf zu tun, in den Geschäften wurde tüchtig gekauft. Die unmöglichsten Gegenstände zierten oft die einfachsten Wohnstuben.
Dieser plötzliche Wohlstand ist manchem nicht bekommen. Mit Millionenscheinen zündeten sich die besonders Ausgelassenen ihre übergroßen Bauchbindenzigarren an. Aber auch diese unnormale Wohlstandsperiode ging vorüber, sie war den Pendlern gewiss zu gönnen, es war jedoch gut, dass sie zu Ende ging, denn nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen.
Kaum war der „passive Widerstand“ beendet, versuchten einige Unentwegte eine Rheinische Republik zu bilden. Auch in Hermeskeil fand dieses Unterfangen seine Anhänger. Die Rh. Republik wurde eines Tages den Einwohnern durch die Ortsschelle bekannt gegeben, verschiedene Ämter waren in der Frühe von Leuten mit grünweißroten Armbinden besetzt worden. Auf dem Bürgermeisteramt wehte die grün-weiß-rote Separatistenfahne, sie wehte nicht lange. Obwohl das Amt ständig besetzt war, wurde die Fahne am helllichten Tage heimlich entfernt, ein Husarenstück, das damals allgemeine Beachtung fand. Mit der Niederschlagung des Separatismus im Rheinland und in der Pfalz war auch in Hermeskeil der Spuk beendet.
Im Sommer 1925 wurde Hermeskeil von einer schweren Typhusepidemie heimgesucht. 104 Krankheitsfälle wurden festgestellt, die Erkrankten wurden im Isolierhaus des Krankenhauses, in 2 Schulsälen und in 3 Baracken untergebracht. Aus dem Mutterhaus von Waldbreitbach wurden 7 Schwestern zur Verstärkung des Pflegepersonals nach Hermeskeil geschickt.
Wie ein Fanal wirkte der im Jahre 1928 von 2 Deutschen und einem Engländer durchgeführte Ozeanflug. Zum ersten Male wurde der Ozean in ostwestlicher Richtung überflogen. Es waren die Flieger Hermann Köhl, Ehrenfried Günther von Hünefeld und der Engländer James Fitzmaurice, die diese große Leistung vollbracht hatten. Die Welt horchte auf, das besiegte Deutschland zeigte, daß es noch lebte. Als die Nachricht Hermeskeil erreichte, versammelte sich gegen Abend ein Großteil der Bevölkerung auf dem alten Marktplatz. Vom Fenster der Wirtschaft Gettmann aus hielt der Redakteur Eduard Lohmer eine zündende Ansprache, der Musikverein intonierte anschließend das Deutschlandlied.
Im Jahre 1930 wurde die letzte Besatzungszone von den Franzosen geräumt. Aus diesem Anlass fand auf dem alten Marktplatz eine Befreiungsfeier statt. Dechant Greff würdigte die Bedeutung des Tages. Die aufkommende Weltwirtschaftskrise führte schließlich eine Entwicklung ein, deren Folgen unser Land und damit auch unsere Heimat bis zur Neige auskosten mußte.
(Ende)
1 Friseurmeister Hermann Schmidt, * 31.03.1908 in Hermeskeil, + 26.03.1999 in Bernkastel-Kues, bereicherte unsere Heimatzeitung bis in die 1980er Jahre mit zahlreichen fundierten Beiträgen zu Themen aus der Heimatgeschichte. Seinem Geburtsort Hermeskeil blieb er bis zu seinem Tod verbunden.