von Bernd Willems
Am 13. Januar 1890 wurde der zwischen 1843 und 18471 in Weierbach bei Idar-Oberstein geborene Thalfanger Kommunalförster Julius Schmidt in seinem Haus ermordet.
Der Fall beschäftigte zahlreiche Presseorgane im ganzen Reich. Besonders tragisch war für die Hinterbliebenen - eine Ehefrau und drei minderjährige Kinder - die Tatsache, dass es im Gegensatz zu anderen Beamten für Gemeindeförster keine Hinterbliebenenversorgung gab. Anhand der Presseberichte wollen wir versuchen, den Fall und die nachfolgenden Ereignisse zu rekonstruieren.
In ihrer Ausgabe vom 16. Januar 1890 berichtet die Kölnische Zeitung von einem „furchtbaren Mord“, dem drei Tage zuvor der Gemeindeförster Schmidt in Thalfang zum Opfer gefallen ist. Gegen 9 Uhr abends ist er in seinem Haus damit beschäftigt, einen Brief zu schreiben, als ihn ein Schuss durch das geschlossene Fenster trifft. Der Schwerverletzte soll noch zur Tür gewankt sein und gerufen haben: „Ich will den Kerl sehen“, bricht dann aber bewusstlos zusammen. Die Schreckensschreie seiner Ehefrau rufen die Nachbarn herbei, die den Sterbenden ins Haus tragen. Die Kugel hat ihn oberhalb des Magens getroffen, worauf er innerlich verblutet. Von dem Täter fehlt jede Spur. Wie man feststellt, hat die auf Schmidt abgefeuerte Ladung außer der tödlichen Kugel noch aus fünf bis sechs schweren Posten2 und acht bis neun leichten Schrotkörnern bestanden, die rings um das Einschussloch im Fenster eingeschlagen sind. „So zu laden ist nur die Sitte bei Wilderern“, schreibt der Autor des Berichts. Und bei denen sei Förster Schmidt, der streng, aber gerecht gewesen sei, verhasst gewesen.
Die Meldung verbreitet sich schnell und findet sich außer in der Kölnischen Zeitung auch noch unter anderem im Düsseldorfer Volksblatt, in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung, im Halleschen Tageblatt, im Bischofswerdaer Tageblatt und in der Sächsischen Dorfzeitung.3
Etwas mehr als eine Woche später berichtet die Kölnische Zeitung, dass eine „Hochwälder Jagdgesellschaft“ eine spontane Sammlung zur Unterstützung der Witwe veranstaltet hat. Dabei sind 210 Mark zusammengekommen. Die Staatsanwaltschaft setzt gleichzeitig eine Belohnung von 300 Mark für die Ergreifung des Mörders aus.
Unter der Überschrift „Ein neuer Förstermord“ bringt die Kölnische Zeitung vom 27. Januar 1890 zu der Tat eine ebenso ausführliche wie herzzerreißende Schilderung, die vermutlich aber größtenteils erfunden ist. Doch das ist Absicht, denn gleichzeitig wird zu einer Spendenaktion für die „trauernde Gattin und drei unerzogene Kinder in dürftiger Vermögenslage“ aufgerufen. Diese seien, „da keinerlei Pensionsansprüche, weder Witwen- noch Waisengelder den Hinterbliebenen verstorbener Kommunalbeamter zustehen, der Not und dem Elende preisgegeben, wenn nicht Hülfe naht“. Der königliche Forstassessor Wenzel in Thalfang nimmt „Gaben zum Besten der Hinterbliebenen“ entgegen.
Vier Tage später meldet das Berliner Tageblatt, der Täter sei zwar „trotz der eifrigsten Nachforschung“ noch nicht gefasst, man sei ihm aber auf der Spur. In der Nähe des Tatorts habe man Stiefel und eine Flinte aufgefunden, die dem Mörder gehören sollen. Schmidt sei ein strenger Beamter gewesen, der viele Feinde gehabt habe.
Der Kreis der potenziellen Verdächtigen vergrößert sich allerdings in der nächsten Zeit. Wie das Düsseldorfer Volksblatt vom 13. Februar 1890 berichtet, ist der Ermordete „besonders bei den Holzfrevlern doch viel mißliebiger gewesen, als man anfangs annehmen zu müssen glaubte“. Schon in seinem früheren Wohnort Gielert habe man Schmidt wiederholt alle Fensterscheiben eingeschlagen. Allerdings richte sich der Verdacht gegenwärtig gegen einen Verwandten, einen Müllerknecht namens Matthias J. von einer Mühle, die etwa eine Stunde von Thalfang liege. Angeblich, so die Zeitung, hat der Ermordete diesen „sterbend als seinen vermutlichen Mörder“ genannt. Kurz vor der Tat habe es zwischen den beiden einen heftigen Streit gegeben, an dessen Ende Schmidt dem Müllerknecht das Jagdgewehr wegen Missbrauchs abgenommen habe. Der Verdächtige sei verhaftet worden, streite aber alles ab.
Danach wird es in der Presselandschaft um den Mordanschlag für längere Zeit still. Erst rund ein Jahr später, am 10. Februar 1891, schreibt die Kölnische Zeitung, die „neulich durch mehrere Blätter verbreitete Nachricht, daß sich der Mörder des Gemeindeförsters Schmidt in Thalfang selbst der Behörde angezeigt habe, entbehrte jeder Begründung“. Anlass dazu seien wohl „eines Schwachsinnigen verworrene Redensarten“ gewesen. Der Verdacht gegen den Müllerknecht Matthias J., von dem nun keine Rede mehr ist, hat sich offenbar zerstreut.
Wieder ein halbes Jahr später ist in der Kölnischen Zeitung vom 15. August 1891 zu lesen. es scheine endlich Licht in die Angelegenheit zu kommen. Was ist passiert? Ein (anderer) Müllerbursche namens Schnabel hat in betrunkenem Zustand in einer Gastwirtschaft zu Kellenbach4 vor Publikum mit seinen Schießkünsten angegeben. „Er hätte einmal in Thalfang auf so und so viel Meter über die Chaussee und durchs Fenster hindurch einen getroffen, grade wie er einen Brief zumachen wollte“ soll er gesagt haben, woraufhin ihn ein Zuhörer, dem der Förstermord noch in Erinnerung ist, angezeigt hat. Doch auch diese Spur führt nicht weiter, denn drei Wochen später schreibt die Kölnische Zeitung, nach dem Ergebnis der weiteren Ermittlungen „liegt offenbar nur leichtfertige Prahlsucht vor, die jedes thatsächlichen Untergrundes entbehrt“. Die Entdeckung des Mörders, so heißt es weiter in der Ausgabe vom 7. September 1891, wird hauptsächlich dadurch erschwert, dass der Ermordete in seiner Eigenschaft als Forstschutzbeamter „wegen allzugroßer Strenge im Dienste sehr zahlreiche Feinde besaß und so verhaßt war, daß er gar leicht der Rache zum Opfer fallen konnte“. Gleichwohl halte man an der Hoffnung fest, „daß das abscheuliche Verbrechen zur gerichtlichen Strafe gelangen wird“.
Doch diese Hoffnung bleibt unerfüllt, denn soweit ersichtlich, ist dies das letzte Mal, dass der Fall in der Presse auftaucht. Es ergibt sich jedenfalls nicht aus weiteren Zeitungsberichten, dass der Mörder des Försters Julius Schmidt jemals gefasst wurde.
Die Spendenaktion erbringt am Ende 11.732 Mark. Dies und die Namen der Spender hat der Forstassessor Wenzel im Auftrag des Komitees schon in der Kölnischen Zeitung vom 25. November 1890 veröffentlicht. 10.950 Mark sind bei der Kreissparkasse Bernkastel für die Kinder „rentbar angelegt“, der Rest ist nach Abzug von geringfügigen Kosten für Post- und Anzeigengebühren an die Witwe ausbezahlt worden.
1 Laut einem Zeitungsbericht war er 43 Jahre alt, im Familienbuch von Thalfang wird sein Alter mit 46 Jahren angegeben.
2 gröbere Schrotkugeln, die früher zur Jagd auf Rehwild und Frischlinge verwendet wurden, heute aber in Deutschland verboten sind (wikipedia)
3 www.deutsche-digitale-bibliothek.de
4 ein Dorf zwischen Kirchberg im Hunsrück und Simmertal an der Nahe