Titel Logo
Rund um Hermeskeil
Ausgabe 19/2025
2 - Hermeskeiler Stadtnotizen
Zurück zur vorigen Seite
Zurück zur ersten Seite der aktuellen Ausgabe

„Sternenkinder sind auch Kinder“

Erinnerungskirche in Abtei als besonderer Trauer- und Gedenkort

Jede dritte Frau erlebt im Laufe ihres Lebens mindestens eine Fehlgeburt. Dennoch bleibt der Verlust eines ungeborenen oder früh verstorbenen Kindes ein gesellschaftliches Tabu. Betroffene fühlen sich oft alleingelassen – doch in der Region gibt es zwei besondere Angebote, die Trauernden Halt geben: die wiedereröffnete Erinnerungskirche in Abtei und das Engagement der Hermeskeilerin Corinna Hansen-Krewer, die als Doula Frauen durch Fehlgeburten begleitet und ein Buch zum Thema veröffentlicht hat.

In der Kirche von Abtei hängen Sterne unter einem gemalten Regenbogen. Jeder steht für ein Sternenkind – ein Kind, das zu früh ging, bevor es das Licht der Welt erblicken konnte. Seit ihrer Wiedereröffnung ist die Erinnerungskirche Abtei ein besonderer Ort geworden: für Trauernde, für Suchende, für Eltern, die ihrem verlorenen Kind einen Platz geben wollen.

Wie eine Kirchenbank zum Erinnerungsort wurde

Die Idee entstand auf der ersten Synodalversammlung: „Wir brauchen einen Ort, an dem Menschen ihre Verstorbenen ehren können – besonders jene, für die es kein Grab gibt“, erklärt Dorothee Kupcik, die das Projekt begleitet. Das handwerkliche Kernstück stammt von Frank Müller aus Neunkirchen, der aus einer alten Kirchenbank ein schlichtes Holzregal schuf. Hier finden Fotos, Briefe und Kerzen Platz. „Viele Eltern haben nichts, was sie beerdigen könnten“, sagt Kupcik. „Hier können sie trotzdem Abschied nehmen.“ Genau das bietet die Erinnerungskirche – niedrigschwellig und ohne religiösen Zwang. „Manche kommen nur für fünf Minuten, andere bleiben stundenweise“, so Kupcik. Geöffnet ist sonntags von 10 bis 16 Uhr (bis Herbst).

Warum solche Orte so wichtig sind

Die Hermeskeilerin Corinna Hansen-Krewer (heute in Longuich lebend) kennt die Bedeutung solcher Räume. Nach der Totgeburt ihres Sohnes Jonathan und 13 Fehlgeburten ließ sie sich zur Doula ausbilden und begleitet heute Frauen nach der Diagnose Fehlgeburt und bietet eine Fortbildung für begleitendes Fachpersonal an. „Unsere Gesellschaft tut sich schwer mit Sternenkindern“, sagt sie. „Dabei brauchen Eltern genau das: Einen Ort, an dem ihr Schmerz legitim ist.“

Der Kampf um Anerkennung

Nach Jonathans Tod erlebte Hansen-Krewer, wie schwer sich Gesellschaft und Medizin mit dem Thema tun. „Freunde wussten nicht, was sie sagen sollten, manche gingen mir aus dem Weg“, erinnert sie sich. „Dabei wäre das Einfachste gewesen: Fragen zu stellen, zuzuhören, zu zeigen: Ich sehe dich und dein Kind.“ Gerade bei frühem Schwangerschaftsverlust hören Eltern häufig Sätze wie „Das war doch noch nichts, das passiert eben“ – eine Verharmlosung, die viele Sterneneltern trifft. Doch gerade die frühen Verluste seien oft besonders traumatisch: „Eine Fehlgeburt ist nicht nur Blutung, sondern eine kleine Geburt – und die Eltern brauchen Abschiedsrituale, um dieses Erlebnis zu bearbeiten und um in den Frieden zu kommen.“

Warum Frauen mehr Vertrauen in ihren Körper verdienen

Als Doula (nichtmedizinische Geburtsbegleiterin, griechisch für „Dienerin“) unterstützt Hansen-Krewer Frauen, die ihr Kind in der Frühschwangerschaft verlieren – und hilft ihnen, den Prozess selbstbestimmt zu gestalten. Denn oft drängen Ärzte aus Unwissenheit zur Ausschabung oder zu Medikamenten, obwohl der Körper einer Frau eine Fehlgeburt allein bewältigen kann.

„Ich bereite die Frauen vor: Wie sieht die Fruchthöhle aus? Wie stark wird die Blutung sein? Wie können sie den Moment der Geburt vorbereiten und wie kann man ein Begräbnis im Wald oder Garten würdevoll gestalten?“ Ihre längste Begleitung dauerte elf Wochen – so lange wartete eine Frau auf die natürliche kleine Geburt ihres Sternenkindes. „Es geht darum, Vertrauen in den eigenen Körper zurückzugewinnen – und dem Kind einen Platz im Herzen zu geben.“

Ein Buch gegen das Tabu

Ihr Buch „Stille Geburten sind auch Geburten und Sterneneltern sind auch Eltern“ (erschienen 2021) ist eine Mischung aus Ratgeber und persönlichem Manifest. „Was wäre, wenn Sternenkinder die gleiche Würde hätten wie lebendige Kinder?“, fragt sie darin. Sie kritisiert, dass Fehlgeburten vor der 24. Woche rechtlich kaum Anerkennung finden – es wird nicht als Leichnam definiert, damit gibt es auch keine Bestattungspflicht und es gibt auch keine Geburtsurkunden. „Dabei sagen Eltern nicht: Das war nur Gewebe. Sie sagen: Das war mein Kind.“ Glücklicherweise wurde vor kurzem ein neues Gesetz verabschiedet, wodurch Mütter bereits ab der 13. Schwangerschaftswoche die Möglichkeit auf Mutterschutz erhalten, was ein großer Fortschritt ist, weiß Hansen-Krewer. Ihr Appell: Mehr Aufklärung für Ärzte und Hebammen, mehr Sensibilität im Umfeld. „Trauer braucht Raum – nicht Wegschauen.“ Über ihre Website Soul-Feelings.de bietet sie Begleitung, Seminare und eine klare Botschaft: „Jede Seele verdient es, gesehen zu werden – egal, wie kurz ihr Weg war.“ (LeWe)