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Rund um Hermeskeil
Ausgabe 2/2025
Aus der Heimatgeschichte
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Arglose Begegnung im Winterwald

Eine „Kamingeschichte“ um den - für fast 150 Jahre – letzten Wolf im Hochwald

(RuH-Archiv, Ausgabe Nr, 3/1979)

Wenn draußen der Schnee sein weißes Tuch über die Landschaft gelegt hat und der Winter mit Frost und Eis das Leben beherrscht, gibt es auch heute noch abends kaum einen gemütlicheren Platz als in der „guten Stube“, möglichst noch in einem bequemen Sessel in der Nähe des eine wohlige Wärme verbreitenden Kaminfeuers. Früher war das die Zeit, wenn die Familien zusammen saßen und alte Geschichten erzählt wurden, die nicht immer wahr sein mussten. Die schönsten Geschichten waren wahrscheinlich die, bei denen es einen so richtig schön gruselte. Eine davon, allerdings eine wahre, wollen wir hier noch einmal nacherzählen.

Der Hochwald-Winter 1878/79 war besonders lang und hart; meterhoher Schnee hatte Wald und Flur zugedeckt, die Natur war in Eis und Schnee erstarrt. Das widrige Wetter setzte Mensch und Tier arg zu,wenn sie wie die Postillione mit ihren Wagen, Schlitten oder Kutschen regelmäßige Linien befahren oder wie die Landbriefträger auf ihren Zustellgängen lange, im Winter keineswegs geräumte Wegstrecken zu gehen hatten.

Karoline Loch geb. Schuster (1861-1901), Tochter des Posthalters von Hüttgeswasen, berichtet eine Begebenheit (von Albert Molz aufgeschrieben) aus diesem schneereichen Winter 1878/79, als sie nämlich auf ihrem Zustellgang als Briefträgerin dem letzten im Hochwald erlegten Wolf begegnete, ohne dass sie diesen als Wolf erkannte.

Nach der Übernahme der Verwaltung des Hochwaldes durch die Preußen im Jahr 1815 ist in Hüttgeswasen am Fuß des Erbeskopfs eine Poststation eingerichtet worden, weil sich hier die Postlinien Birkenfeld-Morbach und Birkenfeld-Thalfang trafen. Der Posthalter hatte die zum Wechsel der Gespanne nötigen Pferde zu betreuen, die Teilstrecke nach Thalfang zu befahren sowie an bestimmten Tagen der Woche Briefe in Thranenweier und Börfink zuzustellen bzw. dort abzuholen.

Posthalter der Poststation Hüttgeswasen war in dem besagten Winter 1878/79 Johann Friedrich Schuster, dem seine Tochter Karoline in dem nicht allzu umfangreichen Postdienst zur Hand ging. Hüttgeswasen war damals eine einsame Waldsiedlung; für das Jahr 1849 sind dort drei Wohnhäuser mit 18 Einwohnern bezeugt. Das Leben dürfte recht eintönig verlaufen sein, Neuigkeiten und Nachrichten brachten nur die Reisenden der Postlinien mit, für deren Betreuung zwei Gasthäuser als Raststätten zur Verfügung standen: das Gasthaus Gethmann und das des Posthalters (das in späteren Jahren abgebrannt ist). Karoline Schuster war in dem abgelegenen Ort groß geworden; schon ihr täglicher Schulweg nach Allenbach hatte ihr die Angst vor dem, was der Wald an Gefahren und Geheimnissen birgt, genommen. So übernahm sie schon in jungen Jahren den Zustelldienst nach Thranenweier und Börfink, eine Landzustellung, die durch dichten Wald zu den kleinen Siedlungen führte.

Wie schon in früheren Wintern war im Winter 1878/79 ein Wolf, vermutlich aus Lothringen über die Saar, in die ausgedehnten Wälder des Hochwaldes gewechselt. Das war lange nicht mehr vorgekommen; 1836 hatten zuletzt der Oberförster Habermann im Bereich des Erbeskopfs eine Wölfin und im gleichen Jahr Peter Heberer bei Schillingen einen Wolf erlegt. Seitdem war nichts dergleichen mehr geschehen. Nun aber im Winter 1878/79 war Unruhe im Wald; das Wild flüchtete bei dem geringsten verdächtigen Geräusch, man fand Reste von gerissenem Rotwild und auch Spuren, die nur von einem Wolf stammen konnten.

Die Briefträgerin Karoline Schuster wusste nichts von alledem, sie machte ihren gewohnten Zustellgang durch den tiefen Schnee, eingehüllt in Mantel und Wolltuch. In den ersten Januartagen des Jahres 1879 stand da eines Tages plötzlich seitwärts von ihrem Weg und am Anfang einer Schneise „ein großer Hund“, wie sie meinte. Der Hund, so berichtete sie nach ihrer Heimkehr dem Vater, sei so groß gewesen, wie sie noch keinen gesehen habe. Er habe sie „wiescht besehen“, sei aber dann lautlos und rasch verschwunden. Karoline, damals 18 Jahre jung, ahnte nicht, dass sie einem Wolf begegnet war und in welcher Gefahr sie geschwebt hatte.

Der Förster von Hüttgeswasen, dem Karoline die Begegnung berichtet hatte, schätzte den „großen Hund“, wie Karoline ihn schilderte, richtig als den vermuteten Wolf ein; er gab Jagdalarm und am 12. Januar 1879 fiel der letzte Wolf im Hochwald unter den Kugeln des Försters Teusch aus Deuselbach.

Anmerkung: Wie es aussieht, wird man sich künftig wahrscheinlich wieder auf derartige Begegnungen einstellen müssen. Sowohl im Nationalpark, in dessen Zentrum Hüttgeswasen liegt, als auch in der Hochwaldregion westlich von Hermeskeil wurden inzwischen wieder Wölfe gesichtet.