Eine kuriose Meldung findet sich am 29. August 1932 im „Badischen Beobachter“1:
„Von einem Blitzschlag aus dem Bett geschleudert wurde während eines Gewitters ein junges Mädchen, die Tochter des Baumeisters Jakob Schuh im Franziskanerkloster Hermeskeil im Hunsrück. Der Blitz schlug in das Dach des Klostergebäudes und nahm seinen Weg durch das Zimmer des schlafenden Mädchens. Der gewaltige Schlag schleuderte die Schlafende auf den Fußboden, auf dem sie mit schweren Verletzungen besinnungslos liegen blieb. Als das Mädchen wieder zu sich kam, hatte es die Sprache verloren.“
Der unbefangene Leser stellt sich natürlich unwillkürlich die Frage, was die Tochter eines Baumeisters nachts in einem Klosterbett macht. Dem Schreiber der streng katholischen Zeitung kommt diese Frage offenbar nicht - wohl aber dem eines sozialdemokratischen Blattes, wie sich im Folgenden zeigen wird. Denn etwa sechs Wochen später, am 17. Oktober 1932, veröffentlicht der Badische Beobachter einen Beitrag der „Kipa“2 mit der Überschrift „Gegen eine sozialistische Verdächtigung“, der sich mit einem in der „Berner Tagwacht“3 am 28. September enthaltenen Meldung befasst. Dort hatte laut Kipa gestanden:
„Ein eigentümlicher Unfall hat sich im Franziskanerkloster Hermeskeil im Hunsrück ereignet. Dort schlug nachts während eines Gewitters der Blitz ein, der seinen Weg quer durch das Gebäude nahm, ohne zunächst Schaden anzurichten. Schließlich traf er die schlafende Tochter des Architekten Schuh und schleuderte sie aus dem Bett gegen die gegenüberliegende Wand. Merkwürdigerweise hat das Mädchen keinerlei Verbrennungen erlitten; durch den Anprall an die Wand erlitt sie einen Bruch der rechten Hand und verlor die Sprache. Im Bett hat der Blitz nicht gezündet.“
Dazu schreibt die Kipa nun:
„Daran knüpft das sozialistische Organ die nicht mißverständliche Frage: ‚Was hat die Tochter des Architekten Schuh auch in einem Franziskanerkloster zu suchen, und gar noch in einem Bett?‘“
Auf Anfrage in Hermeskeil hat die Kipa von der Leitung des Klösterchens „die folgende Darstellung des wahren Sachverhalts“ erhalten: Der Blitz ist in das ehemalige Franziskanerkloster in Hermeskeil4 eingeschlagen, wo nun fünf Familien und eine Jugendherberge untergebracht sind. Und das unglückliche Mädchen ist die Tochter des ebenfalls in diesem Haus wohnenden Hausmeisters Schuh, „also kein Architekt, sondern nebenbei ein armer Buchbinder“.
Die Berner Tagwacht ist für den wackeren Kipa-Redakteur wohl das sprichwörtliche „rote Tuch“, denn er schreibt weiter:
„Einmal mehr stellt sich somit eine Tendenzmeldung gegen das katholische Ordensleben als unrichtig heraus. Eine konsequente Kontrolle solcher kirchenfeindlicher Schauergeschichten wird die alte Voltairische Taktik: ‚Lügt nur drauflos, es bleibt immer etwas hängen‘ vielleicht mit der Zeit doch unmöglich machen!“
Peinlich! Denn dass auch der stramm katholische Badische Beobachter diese „kirchenfeindliche Schauergeschichte“ - und damit die gleiche „Lüge“ - schon sechs Wochen vorher verbreitet hat, hat der Autor in seiner Rage offenbar nicht auf dem Schirm - oder er ignoriert es geflissentlich, weil er ja dann seinen „Giftpfeil“ gegen die böse sozialistische Schweizer Zeitung nicht losgeworden wäre. Auf die Redaktion des Badischen Beobachters wirft die Sache im Übrigen auch kein gutes Licht... (WIL-)
1 Der Badische Beobachter ist zu dieser Zeit das Hauptpresseorgan der badischen Zentrumspartei und stramm katholisch.
2 Katholische internationale Presseagentur, 1917 in der Schweiz gegründet.
3 Die Berner Tagwacht ist das Organ der Sozialdemokratischen Partei des Schweizer Kantons Bern.
4 Es handelte sich um ein ehemaliges Bauernhaus am Bahnhof, das die Franziskaner 1922 gekauft (und nach dem Neubau des Klosters am heutigen Standort wieder verkauft) hatten. Zu diesem ersten Kloster finden wir in RuH Nr. 52/1960 folgende Notiz: „An Pfingsten (Anm.: 1922) konnte schon der erste Gottesdienst darin gefeiert werden. ln der Folgezeit wurde durch Umbau von Stall und Scheune eine Kapelle hergerichtet, und so war es zwar ein armes, doch ein würdiges Klösterchen.“