Insgesamt 19 Vorstrafen hat der Angeklagte seit Anfang der 2000er Jahre bisher gesammelt. Von Bandendiebstahl über Raub, Nötigung, Beleidigung, gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung, Betrug, Bedrohung bis zu Fahren ohne Fahrerlaubnis ist so gut wie alles dabei gewesen, was man sich vorstellen kann. Mehrere Freiheitsstrafen hat er schon verbüßt. „Da kann einem schlecht werden“, sagt denn auch der Bewährungshelfer, der den Mann schon länger kennt, in seinem Vortrag. Die Latte an Vorstrafen sei ein Problem. Er fügt aber hinzu, dass sich die sozialen Verhältnisse des Mannes um die 40 in den letzten Jahren stabilisiert zu haben scheinen. Die letzte Straftat liegt auch schon etwas länger zurück. Aber die Bewährung läuft noch, als man ihn – zum wiederholten Mal – beim Fahren ohne Führerschein erwischt. Statt sich reumütig zu zeigen, macht er das, was viele erwischte Übeltäter tun: Nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ legt er sich mit dem jüngeren der beiden Polizisten an, fragt, wer ihn verpfiffen hat und ob die Polizei nichts Besseres zu tun hat, schildert der ältere der Polizeibeamten im Zeugenstand. Die Frau auf dem Beifahrersitz habe gesagt, sie sei hochschwanger und im Krankenhaus gewesen. Er habe aber nicht den Eindruck gehabt, dass es ihr nicht gut gehe, erklärt der Beamte.
Der Angeklagte hat zuvor den Vorfall ganz anders geschildert. Seiner Frau sei es nicht gutgegangen, sie habe – wohl aufgrund von Schwangerschaftsdiabetes – Krämpfe in den Händen gehabt und nicht selbst fahren können, weshalb er sich auf der Fahrt ins Krankenhaus und zurück hinters Steuer gesetzt habe. Warum er das gegenüber der Polizei damals nicht gesagt habe, hat Richterin Buchenberger wissen wollen. Worauf er gesagt hat, er sei gar nicht dazu gekommen: „Da war so ein junger Polizist, der hat mich nur angeschrien.“ Er habe dem Beamten gesagt, er wisse, dass er nicht fahren dürfe, aber seiner Frau gehe es nicht gut, aber der habe gar nicht zugehört. Seine Frau, die neben ihm auf der Anklagebank sitzt, weil sie das Fahren ohne Fahrerlaubnis geduldet hat, berichtet, sie habe sich dann ans Steuer setzen müssen. „Wie es mir ging, hat keiner gefragt“, beklagt sie sich.
Auch die Frau ist vor Gericht keine Unbekannte. Sie ist unter anderem wegen Diebstahls, Betrugs, Urkundenfälschung und Duldens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis aufgefallen und bestraft worden, zuletzt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, ausgesetzt zur Bewährung.
Der Bewährungshelfer kennt die Familie mit sechs Kindern – das Jüngste im Alter von vier Monaten haben die Eltern im Maxicosi dabei – schon einige Zeit. Die Frau geht arbeiten und der Mann kümmert sich um die Kinder Es bestehe ein ganz guter Kontakt, sagt der Sozialarbeiter, aber sie hätten permanent Geldschwierigkeiten. Wenn es jetzt zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung komme, der Mann in den Knast müsse und die Kinder in einem Heim untergebracht werden müssten, wäre das „eine holprige Sache“.
Das ist wohl auch ein Grund, warum die Justiz hier noch einmal Gnade vor Recht ergehen lässt. Der Staatsanwalt, der keine Notstandssituation erkennen mag - „Man hätte dann halt ein Taxi nehmen sollen“, meint er – fordert für den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von vier Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden kann, und für die Frau eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20 Euro. Richterin Buchenberger folgt dem weitgehend, setzt aber den Tagessatz auf nur 10 Euro fest. Die Geldstrafe kann in monatlichen Raten von 30 Euro gezahlt werden. Die Behauptung einer Notstandssituation sieht sie vor allem deshalb skeptisch, weil sie ihrer Ansicht nach „nachgeschoben“ ist. Es sei beiden klar gewesen, dass man im Hinblick auf das Fehlen der Fahrerlaubnis ein Taxi hätte rufen sollen. Der Angeklagte habe zwar nicht mehr unter laufender Bewährung gestanden, aber wegen der zahlreichen – auch einschlägigen – Vorstrafen habe sie nicht von einer Freiheitsstrafe absehen können. Die Bewährung habe sie nur ausgesprochen, weil die anderen Taten schon etwas länger her seien, er seit einiger Zeit in geregelten sozialen Verhältnissen lebe und weil er sich um sechs Kinder kümmern müsse. (WIL-)