Titel Logo
Rund um Hermeskeil
Ausgabe 22/2024
Aus dem Gerichtssaal
Zurück zur vorigen Seite
Zurück zur ersten Seite der aktuellen Ausgabe

Die wichtigste Zeugin ist nicht auffindbar

Vor Gericht steht diesmal ein Wiederholungstäter: Wie schon öfter wirft man ihm Beleidigung und Bedrohung vor, wofür er auch schon mehrmals bestraft worden ist. Wie es scheint, hat er ein Problem mit Alkohol und wenn er zu viel getrunken hat, hat er sich nicht mehr unter Kontrolle. Dann kommen von ihm angeblich schon mal Worte wie „Drecksau“ und „Kanake“ oder Drohungen wie „Ich schlag‘ dir in die Fresse“. Laut Anklage hat es diesmal – zu unterschiedlichen Zeitpunkten – zwei Personen getroffen: eine Frau und einen Mann, wobei die Frau auch dabei war, als der Mann die Zielscheibe war. Doch es gibt ein Problem: Die Frau, sozusagen die wichtigste Zeugin in diesem Prozess, ist unbekannt verzogen; die Zeugenladung konnte ihr nicht zugestellt werden. Auch mit Hilfe der Polizei hat Richterin Buchenberger ihren neuen Aufenthaltsort nicht herausfinden können. So ist nur der mutmaßlich beleidigte und bedrohte Mann als Zeuge anwesend. Bei diesem gibt es aber auch ein Problem: Er versteht und spricht so gut wie kein Wort Deutsch; ein Dolmetscher übersetzt seine Aussagen.

An dem fraglichen Tag (es war noch zu Corona-Zeiten) sitzen der Zeuge mit seiner Familie auf der einen Seite und der Angeklagte auf der anderen Seite im Bus nach Hause. Als der Zeuge den Mann, der nach seinen Worten „sturzbesoffen“ ist (so übersetzt es der Dolmetscher) auffordert, eine Maske anzuziehen, rastet der so sehr aus, dass der Busfahrer die Polizei verständigt und ihn aus dem Bus holen lässt. Fatal ist, dass sowohl der Angeklagte als auch der Zeuge mit seiner Familie im selben Haus wohnen. Dort geht es am Abend dieses Tages weiter, wobei es dann zu den genannten Beleidigungen und der Bedrohung gekommen sein soll. Weil sich das gegen Mitternacht abgespielt hat, hat die nicht erreichbare Zeugin, die damals ebenfalls in dem Haus gewohnt hat, wiederum die Polizei gerufen. Von den Beamten hat der Zeuge einen Anhörungsbogen bekommen, den er auf der Dienststelle mit Hilfe eines Polizisten, der seine Sprache spricht, ausgefüllt hat – mit den schon bekannten Schimpfworten. Heute sagt der Mann, er könne sich nicht mehr daran erinnern, was der Angeklagte seinerzeit gesagt hat, weil er nicht so gut Deutsch verstehe. Und hier hakt nun die Verteidigerin des Angeklagten ein und meint, genau deshalb könne ihr Mandant – der im Übrigen alle ihm vorgeworfenen Taten vollumfänglich bestreitet – den Mann überhaupt nicht beleidigt haben. Dem Staatsanwalt passt das überhaupt nicht. „Das ist Ihre Rechtsauffassung“, sagt er und widerspricht nachdrücklich. Ein erwachsener Mensch könne sich auch beleidigt fühlen, wenn er die Worte nicht verstanden habe.

Als Richterin Buchenberger die Frage stellt, wie weiter verfahren werden soll, sagt der Ankläger, die unbekannt verzogene Frau werde auf jeden Fall als Zeugin gebraucht. Vielleicht könne man über ihre Tochter, von der eine Telefonnummer in der Akte sei, ihren Aufenthaltsort herausfinden. Da sich nach einem Blick in die Terminkalender kein neuer gemeinsamer Verhandlungstermin innerhalb der nächsten drei Wochen findet, beschließt das Gericht die Aussetzung des Verfahrens. Wird die wichtige Zeugin ausfindig gemacht, wird es – vermutlich nach der Urlaubszeit – wieder aufgenommen werden.