Eine Frau Mitte 60 aus Trier ist wegen Diebstahls angeklagt. Im September des vorigen Jahres soll sie in einem Hochwalddorf einer in ihrer Bewegung stark eingeschränkten älteren Dame drei Goldringe im Wert von zusammen über 500 Euro gestohlen haben. Einen davon, den Ehering, soll sie der Frau sogar vom Finger gezogen haben. Doch die Angeklagte bestreitet den Diebstahl. Ja, sie sei bei der alten Dame gewesen, habe die Ringe aber nicht gestohlen, sondern für 30 Euro gekauft, sagt sie. Damit sei die Dame einverstanden gewesen. Auf keinen Fall seien die Ringe so viel wert gewesen, „das sieht man doch, jeder Laie“, sagt sie.
Der Staatsanwalt will wissen, warum sie überhaupt in dem Hochwalddorf war, worauf die Angeklagte erklärt, das wisse sie nicht mehr so richtig. Sie fahre öfter in der Gegend herum und schaue nach Sachen, die sie auf dem Flohmarkt verkaufen könne. Die Frau habe draußen vor dem Haus gestanden, weshalb sie angehalten und gefragt habe, ob sie etwas zu verkaufen hätte. Sie habe sie ins Haus gebeten und ihr dann einige Sachen gezeigt, „da war aber nichts dabei“, meint die Angeklagte. Dann habe die Frau gesagt, sie habe noch drei Ringe, die sie verkaufen könne, und so sei man sich handelseinig geworden. Auf dem Flohmarkt habe sie zusammen 60 Euro dafür bekommen. Auf die Frage von Richterin Buchenberger, ob sie denn nicht gesehen habe, dass einer davon ein Ehering gewesen sei - „Die sind ja normalerweise nicht so billig“, sagt sie -, antwortet die Angeklagte: „Das war ein ganz dünner, nix wert, das sieht man doch!“ Und darauf beharren sowohl sie als auch ihr Verteidiger im weiteren Verlauf der Verhandlung.
Nun wird die Geschädigte als Zeugin hereingerufen. Es ist auf den ersten Blick zu sehen, dass sie stark gehbehindert ist und sich trotz zweier Gehhilfen nur ganz mühsam und mit großen Anstrengungen bewegen kann. Sie habe vor der Tür gestanden und auf ihre Tochter gewartet, sagt sie. Da habe ein Mercedes vor ihr angehalten, die Angeklagte sei ausgestiegen und habe sie gefragt, ob sie etwas für den Flohmarkt habe. Obwohl ihre Antwort „Nein“ gewesen sei, sei die Frau durch die offene Haustür ins Haus gegangen und habe dort Schubladen durchsucht. Aus einer habe sie zwei Ringe geholt und anschließend ihr noch den Ehering vom Finger gezogen. „Die war so dreist!“ erklärt die alte Dame, auch heute noch sichtlich entrüstet. Sie sei so entsetzt und geschockt gewesen, dass sie zuerst überhaupt nichts habe sagen können. „Ich gebe ihnen auch Geld“, habe die Angeklagte gesagt, und ihr 30 Euro in die Hand gedrückt; das sie ja alles minderwertig, habe sie behauptet. Einen der Ringe habe sie in den 1960er Jahren von ihrem ersten Weihnachtsgeld für 180 Mark bei Alois Eiden in Hermeskeil gekauft, das sei 333er Gold gewesen. Und der Ehering mit dem eingravierten Namen ihres verstorbenen Mannes und dem Hochzeitsdatum, auch 333er Gold, sei noch teurer gewesen. Zum Glück habe sie später den Ehering ihres verstorbenen Mannes im Haus wiedergefunden.
„Ich bin dann rein und habe geheult“, berichtet die Zeugin. Als ihre Tochter kurz danach gekommen sei, habe diese sofort die Polizei rufen wollen. Doch sie selbst haben „Bammel“ vor der Polizei und sich erst am nächsten Tag getraut dort anzurufen. Warum sie nichts gemacht habe, als die Angeklagte angeblich in den Schubladen gewühlt habe, will der Verteidiger wissen. „Ehrlich gesagt hatte ich Angst vor ihr, ich war so geschockt“, lautet die Antwort der Zeugin.
Ihre Tochter hat sich zu Beginn der Verhandlung auch als Zeugin angeboten und tritt als Nächste in den Zeugenstand. Es stellt sich heraus, dass die Angeklagte vorher bei ihr im Nachbardorf gewesen ist, nachdem sie sich auf eine Kleinanzeige wegen des Verkaufs von Turnschuhen gemeldet hatte. Doch an den Turnschuhen ist die Angeklagte, so die Zeugin, nicht interessiert gewesen. Sie sei vielmehr bei ihr ungefragt ins Haus, sei durch alle Räume gezogen und habe nach Goldschmuck gefragt, bis sie sie gestört habe. Ob sie die Angeklagte dann zu ihrer Mutter ins Nachbardorf geschickt habe, wollen Richterin und Staatsanwalt wissen, doch das bestreitet die Tochter vehement, wogegen die Angeklagte das nun aber plötzlich behauptet. Richterin Buchenberger reagiert sofort: „Sie sagten doch, dass Sie nicht gewusst haben, warum Sie in dem Dorf waren…“ und die Frau auf der Anklagebank erklärt: „Ach ja, jetzt weiß ich’s wieder“.
Es entsteht eine kurze Pause, an deren Ende der Verteidiger die Einstellung des Verfahrens vorschlägt, weil er erhebliche Zweifel an der Tat hat. Doch da hat er die Rechnung ohne den Staatsanwalt gemacht: „Wenn ich sowas hier einstelle, dann schlafe ich heute Abend nicht gut“, erklärt der trocken und fordert in seinem Plädoyer eine Haftstrafe von acht Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden kann, weil die Angeklagte nicht vorbestraft ist. Was diese sage, sei „alles ein bisschen weit hergeholt“. Die Zeugin sei trotz ihres Alters „absolut klar“, könne sich sogar genau daran erinnern, wann und wo sie die Ringe gekauft habe. „Und die soll sie für 30 Euro verkauft haben? Niemals! Im Leben nicht!“ Welchen Grund die Zeugin haben sollte, um eine Frau zu beschuldigen, die sie vorher nie gesehen habe, will er wissen. Es sei wohl vielmehr so gewesen, dass die Angeklagte die Angst und Hilflosigkeit der verschüchterten Frau, die körperlich nicht in der Lage gewesen sei sich zu wehren, ganz bewusst ausgenutzt habe.
Der Verteidiger ergeht sich in juristischen Begriffsdefinitionen, die darin gipfeln, dass seine Mandantin aus dem Verhalten der Zeugin („sie steht daneben und schreitet nicht ein“), den „Eindruck des Einverständnisses“ habe gewinnen können. „Da die Zeugin ihren Gegenwillen nicht zum Ausdruck gebracht hat, konnte meine Mandantin von deren konkludentem Willen zum Verkauf ausgehen“, endet er und beantragt Freispruch.
Doch Richterin Buchenberger glaubt der Angeklagten ebenso wenig wie der Staatsanwalt. Sie verurteilt die Frau zu sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Dabei unterstellt sie, dass diese zwar wohl keine Gewalt angewendet hat, geht aber nicht davon aus, dass sie glauben durfte, die Zeugin wolle die Ringe verkaufen. Vielmehr müsse es für die Angeklagte klar erkennbar gewesen sein, dass das gerade nicht der Fall war. „Das ist sonst schlicht unvorstellbar“, sagt sie. Die Zeugin, die in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt und körperlich unterlegen sei, habe so unter Schock gestanden, dass sie nichts gegen die Angeklagte habe unternehmen können. Bewährung habe sie nur ausgesprochen, weil die Frau bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei. Sie hoffe, so die Richterin, dass die erste Strafverhandlung Eindruck auf sie gemacht habe.