Der große Saal des Wirtshauses, der in bessern Zeiten zu Festen oder Aufführungen dienen mag, ist dichtgefüllt mit Menschen. Der Hochwaldausschuß und die christlichen Gewerkschaften, die gemeinsam zu dieser Notversammlung gerufen haben, stellen in ihren Begrüßungen überrascht diesen Besuch fest; aber es muß weit mit dem stillen, arbeitssamen Hochwaldbauer gekommen sein, wenn er in Kundgebungen seine letzte und einzige Hoffnung sieht.
In den einleitenden Ansprachen wurde betont, daß sich zu dieser Kundgebung Bauern und Arbeiter zusammengefunden hätten, um gemeinsam die Interessen ihres bedrohten Heimatgebiets zu wahren, ein Zusammengehen, das hier um so verständlicher ist, weil der Bauer meist zugleich Arbeiter und der Arbeiter nebenbei auch Bauer ist.
Pastor Pees schilderte die Notlage der Bevölkerung auf dem Hochwald; zwischen Nahe, Saar und Mosel gelegen, bildet er das eigentliche landwirtschaftliche Hinterland des abgetrennten Saargebiets. Vor dem Krieg und noch bis 1925, wo Frankreich endgültig die Grenze mit Zöllen sperrte, war das Saargebiet das natürliche Absatzgebiet für die landwirtschaftlichen Produkte des Hochwalds, vor allem für Kartoffeln, die waggonweise verladen wurden. Heute kommt in keinem, selbst nicht in den größern Orten mehr ein Waggon Kartoffeln zur Verladung; mühsam, auf schlechten Wegen, werden kleine Mengen noch nach Trier gebracht, dessen Aufnahmefähigkeit eng begrenzt ist.
Der Bauer hat versucht, sich umzustellen, doch für Körnerfrucht, die zudem auf dem Boden des Hochwalds nur schlecht gedeiht, ist der Absatz noch schwieriger. Längst hat man eingesehen, daß nur eine radikale Umstellung auf Vieh-, vor allem Rindviehzucht ihm helfen kann. Der Boden ist dafür geeignet, Land genug ist da, aber es kann nichts geschehen, solange der Besitz so zersplittert ist wie heute (in Reinsfeld etwa kommen 14 000 Parzellen auf 1400 Einwohner) und man an die Dreifelderwirtschaft gebunden ist.
Der Wunsch nach Zusammenlegung ist allgemein. Doch fehlt es dem Kulturamt in Trier an Beamten; in seiner heutigen Besetzung würde es 25 Jahre brauchen, um alle bisher vorliegenden Gesuche erledigen zu können. Erst wenn die Umlegungen vollzogen sind, ist es auch möglich, die Odländereien und die längst unrentabel gewordenen Eichenschälwaldungen urbar und nutzbar zu machen.
Die Möglichkeiten zu gesunder Entwicklung sind gegeben, nur für den Anfang fehlt es an Hilfe. Eine der Hauptschwierigkeiten ist der fast gänzliche Mangel an guten und brauchbaren Straßen. Die Straßen sind so schlecht und ungünstig gelegen, daß Zugvieh und Material viermal so stark abgenutzt werden wie an der Mosel. Kleine bodenständige Industriewerke (Schuhfabrik Romika), die der Landbevölkerung Beschäftigung und Verdienst geben und sie gleichzeitig dem Land erhalten, kämpfen um ihre Existenz, nur deshalb, weil es an den nötigen Straßen mangelt. Der Bau der Ruwertalstraße von Waldrach nach Hermeskeil und weiter nach Züsch-Birkenfeld, die den Anschluß nach Mosel, Rhein und Nahe herstellen würde, ist dringend notwendig.
Zu allemdem kommt, und dies ist der unmittelbare Anlaß zu der nun ganz unerträglich gewordenen Not auf dem Hochwald: die allmähliche, aber sichtlich ganz systematisch sich vollziehende Entlassung der deutschen Arbeiter auf den in französischen Händen befindlichen Saargruben. Seit dem 17. Mai 1930 sind 1200 Bergarbeiter und 600 andre Arbeiter aus dem Saargebiet entlassen worden; die Arbeitslosen machen für die Kreise Trier und Wadern 28 v.H. der Bevölkerung aus. Man hat Grund genug anzunehmen, daß diese Entlassungen nicht die letzten sind und daß bis zum nächsten Jahr sämtliche in den Saargruben beschäftigen und auf deutschem Boden wohnhaften Arbeiter arbeitslos sind. Trotzdem die Saar-Gewerkschaften in einem vorbildlichen Akt der Solidarität forderten, daß, um Entlassungen der deutschen Arbeiter zu vermeiden lieber für alle Feierschichten eingelegt werden sollten, wurde nichts daran geändert.
Damit ist wieder einmal aus politischen Beweggründen das Leben unzähliger Menschen zerstört worden; die ungewöhnliche und äußerst gesunde Verbindung des landbesitzenden Hochwaldbauers, der wochenüber in der benachbarten Industrie arbeitet und am Sonntag und mit der Hilfe von Frau und Kind sein Land bestellt, ist damit zerstört. Ganze Dörfer werden arbeitslos: in einem Ort mit 100 Familien gibt es 180 Arbeitslose. Dabei sind die Unterstützungen gering, da der Landbesitz, der viel zu klein ist, um eine Familie zu ernähren, eben als Besitz angerechnet wird. Die Folge ist die trostloseste Verelendung der niemals reichen, aber gesunden, mit Kleinem zufriedenen Kleinbauernbevölkerung.
Die Wohnungsverhältnisse sind denkbar schlecht, in vielen Dörfern gibt es keine Wasserleitungen. Die Ernährung besteht aus Kartoffeln und Brot; Fleisch und Gemüse fehlen gänzlich. Kinder sind so unterernährt, daß eine Gesundheitsstatistik der Schulkinder unter die der Großstadt-Proletarierkinder sank.
Die verzweifelte Bevölkerung, die seit Jahren vergeblich auf die Hilfe des Reichs hofft, das mit der Bereitstellung von Mitteln für Straßenbau, für die Zusammenlegung, für verbilligte Darlehen nur den Anstoß zu einer gesunden Aufwärtsentwicklung zu geben bräuchte, weiß nun nur noch einen Rat:
Wenn Hindenburg seine versprochene Reise nach Trier macht, soll er auch einmal eine Stunde über den Hochwald fahren, er soll das Elend mit eignen Augen sehen und hören, er soll dem durch die Maßnahmen Frankreichs immer stärker bedrohten Saargrenzland zeigen, daß es noch zu Deutschland gehört, daß es dort nicht vergessen ist, und daß man das äußerste tut, um ihm zu helfen.
Die Versammlung nahm diesen Gedanken mit begeisterter Zustimmung auf. Nachdem noch verschiedene Redner, vor allem Vertreter der Gewerkschaften, ihre wesentlich in gleicher Richtung gehenden Wünsche geäußert hatten, wurde eine Entschließung angenommen, in der folgende Maßnahmen als dringend notwendig bezeichnet wurden:
1. Bau von Durchgangsstraßen als Absatzkanäle für die Landwirtschaft und Verdienstmöglichkeiten für die Arbeiterschaft:
a) Straße von Leiwen - Büdlicherbrück - Dhronecken mit Abzweigung Bescheid – Neuhaus, um den allerärmsten und von allem Verkehr abgeschlossenen 15 Gemeinden eine Verkehrsmöglichkeit und dem ganzen Hochwald eine Absatzquelle nach der Mittelmosel zu geben;
b) Bau der Ruwertalstraße zur Beseitigung der fürchterlichen Verkehrsnot der dortigen Höhengemeinden und um die anliegenden Industrien lebensfähig zu erhalten zur Beseitigung der Not in der dritten Ecke (Züsch) des Hochwalds, die von allem Verkehr abgeschlossen und überwiegend von armen entlassenen Saargängern bewohnt ist, als große Durchgangsstraße nach dem Rhein den Bau der Straße Hermeskeil – Züsch – Birkenfeld.
2. Zur Beseitigung der besondern Notlage der Landwirtschaft und zur Seßhaftmachung der abgebauten Arbeiter verlangen die Versammelten
a) die beschleunigte Durchführung der beschlossenen Zusammenlegung;
b) die Errichtung eines Kulturamts in Hermeskeil, weil das Kulturamt in Trier für 25 Jahre belastet ist;
c) die sofortige Urbarmachung von Ödland und Schälwaldungen in Grünland und Viehweiden.
3. Um die Landwirtschaft unsrer Kleinbauern rentabel zu gestalten und den abgebauten Arbeitern und Bauernsöhnen die Möglichkeit der Seßhaftmachung zu bieten, sind stark verbilligte Darlehen erforderlich. Die gewährte Saargrenzhilfe muß über 1931 hinaus verlängert werden.
4. Um noch größere Not zu verhüten, ist die Erhaltung der noch bestehenden Arbeitsstätten für die Arbeitnehmerschaft im Grenzgebiet durch Reichs- und Staatsaufträge und aus Mitteln der Westgrenzhilfe sicherzustellen.