Leona Riemann lebt in Gödenroth bei Kastellaun und hat sich der Heimatforschung verschrieben. Im Mittelpunkt stehen bei ihr weniger Ereignisse, sondern Menschen, die seit Generationen den kargen Höhen des Hunsrücks ihren Lebensunterhalt abtrotzen. Die Ergebnisse ihrer Recherchen schreibt sie seit einigen Jahren in Erzählungen und Reportagen nieder; fünf Bände mit Anektdoten über unterschiedlichste Personen sind seit 2018 im Verlag Hunsrücker erschienen. Mit dem sechsten Band geht sie neue Wege. Unter dem Titel „Hunsrücker Lebensbilder“ ist der erste Band im Eifeler Literaturverlag erschienen.
Aufmerksame Leser erinnern sich vielleicht noch an den Artikel „Vom Hasenfritz und anderen (kleinen) Leuten“ in RuH Nr. 16/2022, in dem wir den fünften Band der Reihe vorgestellt hatten. Auch mit ihrem aktuellen sechsten Band enttäuscht Leona Riemann ihre Leser nicht. Es erwarten sie zum Teil „sehr tragische Geschichten“ zwischen Mosel, Nahe und Rhein, wie sie in ihrem Vorwort schreibt und ergänzt, das Fazit der meisten Hunsrücker in diesem Band könne wohl lauten: „Es war zwar nicht so geplant - ist aber so gekommen.“
Als erstes liest man die auf historischen Fakten basierende Geschichte von Franz Merkel, der als ehemaliger Mönch aus dem Kloster Wolf als erster protestatischer Gemeindepfarrer in Gödenroth sein Glück als Ehemann und Vater suchte und scheiterte und seinem Leben selbst ein Ende setzte. Anders der Tessiner Waisenjunge Balthasar Sottocasa, der als Kaminfeger mit seinem Meister in St. Goar landete, wo er 1765 das Bürgerrecht erlangte, was nur wenigen Einwanderern beschieden war. Karriere machte auch Oberförster Johann Wilhelm Grosholz, Urenkel eines badischen Scharfrichters, der 1851 den letzten Wolf im Soonwald erlegte. Gerichtsakten bilden die Quellen für den Bericht über den Prozess gegen den bayrischen Schreiner Thaddäus Kaindl, der 1933 zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Er hatte in Blankenrath in einer wahrscheinlichen Notwehrsituation einen SA-Mann erschossen und ist - so Leona Riemann - „jener nationalsozialistischen Gesinnungsgerichtsbarkeit, vor der sich damals kaum jemand retten konnte“, zum Opfer gefallen. Wie die Menschen im Hunsrück den Krieg in den Jahren 1944 und 1945 erlebten, beschreibt die Autorin eindrucksvoll in den Biografien zweier Frauen aus Wirschweiler und Bundenbach. Von einem Rheinschifffahrtskapitän, der den Hochwaldort Morbach zu seiner Wahlheimat machte, weil er mit dem „Mittelrheinromantik“ genannten Tourismusrummel irgendwann nichts mehr anfangen konnte, dort zum Maler wurde und bis zu seinem Tod 2002 hunderte Gemälde und Grafiken von Hunsrücklandschaften hinterließ, berichtet eine Kurzbiografie am Ende des Buchs. Eine Reportage über die Tabakspinnereien, die es von 1850 bis 1965 in Morbach gab, und die laut Autorin frei erfundene Geschichte über einen in den 1950er Jahren bei der Firma Bengel in Idar-Oberstein beschäftigten „Stanzer“ runden die lesenswerte Sammlung von „Hunsrücker Lebensbildern“ ab.
(Leona Riemann, Hunsrücker Lebensbilder Band 1, Eifeler Literaturverlag 2023, ISBN 978-3-96123-076-1)