In der letzten RuH-Ausgabe berichteten wir von dem gebürtigen Reinsfelder Johann Spanier, der um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in Karlsruhe für Schlagzeilen sorgte. Dabei wird auch sein 1886 in Karlsruhe geborener Sohn Johann Jakob kurz erwähnt. Aufgrund der Verhältnisse, in die er hineingeboren wurde, hat der Mann erwartungsgemäß keine allzu guten Chancen auf einen Lebensweg als braver Bürger.
Schon im Alter von nur 15 Jahren wegen Hehlerei verurteilt, taucht Johann Jakob Spanier 1907 erneut im „Karlsruher Tagblatt“ auf. Zahlreiche im April des Jahres in Karlsruhe verübte „Mansardendiebstähle“ bilden Gegenstand einer Anklage wegen Bandendiebstahls, wie die Zeitung am 2. Juni schreibt. Gemeinsam mit einem gleichaltrigen Bäcker, der wie er schon mehrfach vorbestraft ist, ist er zunächst in eine Schlosserwerkstatt eingestiegen, wo die beiden einen Bund Dietriche und Sperrhaken entwenden. Was dann folgt, schildert die Zeitung so:
„Dann ging es noch am gleichen Tage – es war der 14. April – an die Arbeit. Von da an bis 23. April verübten die Angeklagten in den Mansardenstöcken verschiedener Häuser der Adler-, Kaiser-, Morgen-, Westend-, Linkenheimer-, Hebel, Werder-, Schützen- und Rheinstraße sowie der Kaiser-Allee Diebstähle und stahlen - meist Dienstmädchen und Arbeitern - Kleidungsstücke, Schmucksachen, Uhren mit und ohne Ketten, Taschentücher, Schnürschuhe, Stiefel, Messer, sonstige Gebrauchsgegenstände und mehrere Geldbeträge von 1 M. bis 5 M. In anderen Häusern wollten sie auch stehlen, fanden aber nichts, was ihnen mitnehmenswert erschien. Einmal stiegen beide auch in einen Keller und nahmen dort 6 Flaschen Cognac mit. Die gestohlenen Sachen verkauften die Angeklagten, soweit sie dieselben nicht für sich brauchten, und verausgabten das auf diese Weise erworbene Geld in Wirtshäusern.“ Die Quittung für den 20-jährigen Johann Jakob Spanier: drei Jahre, zwei Monate und zwei Wochen Gefängnis und auf drei Jahre Ehrverlust.
Nun liest man längere Zeit nichts mehr von ihm. Aber 1919 macht er wieder Schlagzeilen, und diesmal in einer ziemlich ernsten Angelegenheit, nämlich als einer der Rädelsführer einer Gruppe, die das Mannheimer Schloss stürmen will. Es ist die Zeit der Spartakisten-Aufstände, die die Errichtung einer Räterepublik zum Ziel haben; auch Hermeskeil ist davon nicht verschont geblieben. Der „Mannheimer Generalanzeiger“ vom 14. Oktober 1919 schreibt über die Verhandlung am Mannheimer Schwurgericht:
„Am Nachmittag des Putschtages, des 21. Juni, wurde zwischen dem ersten und dem zweiten Angriff auf das Schloß der Waffenladen des Büchsenmachers Frauenstorffer in O 5 geplündert und ein Schaden von über 18 000 angerichtet. Ohne diese Waffen wäre es wahrscheinlich nicht zu dem zweiten Angriff auf das Schloß gekommen, der ebenfalls noch viel Blut kostete. Gestohlen wurden außer etwa hundert Schußwaffen und Munition auch andere Waren, wie Gamaschen, Portefeuillesachen, Messer, Stöcke u. a. Diese Episode lag der Anklage zugrunde. Es war gegen halb 5 Uhr, als ein Haufen meist halbwüchsige Burschen von der Breitestraße her durch die Kunststraße über den Gockelsmarkt gegen P 5 hinzog. An der Spitze wurde der Angeklagte Spanier gesehen, der in der Nähe der Wirtschaft „Zum Erbprinzen“ auch eine Ansprache hielt und später nachdem er die Angreifer in Gruppen verteilt, durch einen Pfiff auch das Zeichen zum Sturme auf das Geschäft von Frauenstorffer gab. Im Augenblick war das Ladenlokal von der Menge besetzt, man hörte Scheiben klirren und jeder nahm, was ihm paßte. Spanier, der das Geschäft vom Hausgang her betreten hatte, will die Parole ausgegeben haben: Nur Waffen nehmen! und er soll auch gegen Ende etlichen Plünderern, die andere Sachen hatten, diese abgenommen und in den Laden zurückgeworfen haben, dann wurde er wieder gesehen, wie er auf der Straße Munition verteilte.“
Die Lebensgeschichte wird im Prozess wie folgt beschrieben: „Der Angeklagte Spanier ist in sehr bedenklicher Umgebung aufgewachsen. Sein Vater war Säufer, hat ihn zum Schulschwänzen angehalten und ihn schon mit dem zwölften Jahre in eine Erpressungsgeschichte verwickelt, worauf der Junge in Zwangserziehung kam. Er sollte später das Schneidergewerbe erlernen, brannte aber aus der Lehre durch und wurde in der Anstalt in Flehingen untergebracht. Seine Mutter ließ sich scheiden. Er war dann Fabrikarbeiter, Kellner, Packer, u. dergl., zog sich viele, darunter sehr erhebliche Strafen zu. Im Krieg wurde er, wie er sagt, verschüttet und seitdem sei er im Kopfe nicht mehr ganz richtig. Seine Verteidigung führte er in der Tat auf eine Weise, daß man auf den Verdacht geraten mochte, er habe einen ‚Spritzer‘. Er schwatzte sehr viel und warf mit Redensarten um sich, aus denen zuschließen war, daß er gar nicht begriff, welche bedenkliche Rolle er gespielt hatte. Er suchte sein Auftreten so auszulegen, als habe er nur das Vorgehen in geordnete Bahnen lenken und die Menge beruhigen wollen, damit nur Waffen weggenommen würden, worin er anscheinend nichts Rechtswidriges erblickte. Als einer der Zeugen genau schilderte, wie Spanier den Trupp (25-30 Mann) anführte, sagte der Angeklagte: „Ja, ich war der Anführer, ich habe gepfiffen und bin voraus, aber in was für einer Absicht, darauf kommt es an. Nur in gutem Sinne, ich habe mich tapfer gezeigt. Einen ganzen Eisenbahnwagen habe ich wieder hineingeworfen und einen mit einem Fußtritt hinausgeschmissen! Ich habe nur ein Paar alte Knarren haben wollen, um die Menge zu beruhigen, aber ich habe die Leute dann nicht mehr zurückhalten können.
Die Strategie geht aber nicht auf, nicht zuletzt weil der Gefängnisarzt und ein Mediziner der Heidelberger Klinik ihn für zurechnungsfähig erklären. Das Schwurgericht verurteilt Spanier wegen schweren Landfriedensbruchs zu drei Jahren und drei Monaten Gefängnis; außerdem verliert er die bürgerlichen Ehrenrechte für fünf Jahre.
Zum letzten Mal taucht Johann Jakob Spanier im Januar 1933 in der „Neuen Mannheimer Zeitung“ auf. Vielfach vorbestraft wegen Betrug, Sachbeschädigung, Diebstahl, Landfriedensbruch, unerlaubtem Handel, Waffenbesitz und Hehlerei wird er „als notorischer Hehler“ zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. (WIL-)