Titel Logo
Rund um Hermeskeil
Ausgabe 35/2023
Titelseite
Zurück zur vorigen Seite
Zurück zur ersten Seite der aktuellen Ausgabe

Bürsten, Löffel, Spielwaren und „Hermeskeiler“

Erinnerungen an Heimarbeit und Hausindustrie im Hochwald in der Zeit von 1880 bis 1935

Als in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die kleinen Eisenwerke in Züsch und Abentheuer ihren Betrieb allmählich einschränkten und um 1845 ganz einstellten, verarmte die Bevölkerung in Damflos, Neuhütten, Thiergarten und Muhl - sie hatte bis dahin ihren Lebensunterhalt ausschließlich in diesen Eisenwerken verdient - in einem Ausmaß, das wir uns heute kaum vorstellen können. So hatte ein Tagelöhner, wenn er überhaupt Arbeit fand, einen Tagesverdienst von 8 Groschen; zum Vergleich: ein Brot kostete 13 Groschen. Viele Familien suchten deshalb ihr Glück in der „Neuen Welt“ und wanderten nach Nordamerika aus. Erst um 1860 besserte sich die Lage etwas, als viele Männer Beschäftigung und Verdienst in Mariahütte sowie auf den Gruben- und Hüttenwerken des Saargebiets fanden.

Doch die Not hatte die Zurückgebliebenen auch erfinderisch gemacht; so waren in den Dörfern erste Anfänge einer Hausindustrie entstanden, die sich zum Teil bis in die Zeit um 1930 (ebenfalls eine Zeit wirtschaftlicher Not) halten konnte: Züsch und Neuhütten die Respenmacherei (Respe = sehr starker, flachrunder Korb aus Eisenschienen) sowie in Damflos, Abtei und Thiergarten die Holzdrechslerei.

Als in den Jahren 1876 bis 1883 sieben Missernten aufeinander folgten, die Notlage der Bevölkerung immer unerträglicher wurde und noch mehr Menschen aus ihrer Heimat abwanderten, unterstützte auch die Regierung in Trier unter Regierungspräsident Berthold Nosse die Damfloser Holzdrechslerei mit vielerlei Maßnahmen: Bau eines Schuppens zur Aufbewahrung und Austrocknung des Werkholzes, Anschaffung von Drechslerbänken, Gewährung zinsgünstiger Darlehen; Anwerbung eines Drechslermeisters aus dem Westerwald (der sich als Trinker entpuppte und nach fünfviertel Jahren wieder „wegbeordert“ wurde). Die Drechsler hatten sich jedoch zwischenzeitlich so viel handwerkliche Fertigkeiten und Kenntnisse angeeignet, dass sie selbständig weitermachen konnten; viele von ihnen wurden tüchtige Meister, die ihr Wissen und Können an die nachfolgende Generation weitergaben.

In einem Untersuchungsbericht über die wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem Hochwald heißt es (im Jahre 1933) dann sogar: „Heute bietet die Drechslerei als Heimarbeit in den Hochwalddörfern Damflos, Thiergarten, Abtei und Bierfeld den Leuten einen auskömmlichen Verdienst“.

Bezug des Materials und Arbeitsprozess

Neben allerlei Holzgegenständen für den Küchengebrauch, wie Nudelrollen („Rumläfer“ und solche mit feststehenden Rollen), Rührlöffel, Backofenschießen, Wäscheklammern, Waschbleuel wurden auch Rechen und „Hermeskeiler“ (eine besondere Art derber Spazierstöcke) angefertigt; künstlerische Gegenstände wurden nicht hergestellt. Neben den Drechslern gab es auch noch die Bürstenmacher, die Bürsten aller Art herstellten. Bürstenmacherei und Drechslerei wurden nie gleichzeitig betrieben; sie stellten besondere Branchen dar.

Die Bürstenhölzer wurden fertig geschnitten, gehobelt und gelocht von einem Sägewerk und das Haarmaterial (Kokosfasern, Roßhaare, Piassava, Reiswurzeln, Fibre) von auswärtigen Händlern bezogen. Die Drechsler verarbeiteten in der Regel Birken-, Erlen-, Buchen und (seltener) Ahornholz; sie waren keine Spezialisten, die sich auf die Herstellung nur eines Gegenstandes beschränkten. Das ergab sich aus der wirtschaftlichen Nutzung des Holzes, das der Drechsler bei den Forstämtern ersteigerte und das vor allem knotenfrei sein musste. Er wusste ganz genau, wie ein Klotz zerlegt werden muss, damit nach Anfertigung des Hauptgegenstandes der Abfall noch zur Herstellung kleiner Gegenstände genügt. Die wichtigsten Werkzeuge waren Handsäge, Axt, Ballbeil, Dechsel (= Aushöhler), Hilgmesser, Hohlmeißel, Löffelbohrer, Stechbeule, Holzraspel, Schneidmesser, Schneidbank und Drehbank.

Bekannt wurden die in Damflos und Thiergarten (und nicht in Hermeskeil) hergestellten, sprichwörtlich gewordenen „Hermeskeiler“. Die Anfertigung eines solchen Stockes, bei der Eiche, Weichsel oder Weißdorn verwandt wurde, war relativ einfach. Die jungen Schösslinge wurden am oberen Ende über Feuer oder in kochendem Wasser erhitzt und dieses Ende dann zur Krücke-umgebogen. Zum Abschluss erhielt der Stock eine metallene Spitze; das waren die einzigen Unkosten, die bei der Herstellung entstanden (in den naheliegenden Wäldern beschafften sie sich die Leute das Holzmaterial für die Stöcke von jeher „unentgeltlich“).

Spielwarenheimindustrie in Neuhütten

Wie in einem Zeitungsbericht zu lesen ist, hatte sich auf dem Hochwald „in aller Stille“ auch eine Spielwarenheimindustrie entwickelt. „Sie nahm ihren Ausgang von dem Frankensturz im Saargebiet, der viele Bergarbeiter, die bisher dort beschäftigt waren, in sehr unzureichende Lohnverhältnisse brachte. Festen Fuß fasste diese Heimarbeit zuerst in Neuhütten, wo unter der Führung von Hauptlehrer Welter sich eine Genossenschaft zur Förderung der Heimarbeit bildete. Als solche wurde die Herstellung von Spielwaren gewählt, weil der Hochwald mit seinen großen Waldbeständen das Material nicht nur in jeder Menge, sondern auch billig zu liefern vermochte. Im Sommer wurden die ersten Erzeugnisse öffentlich ausgestellt auf der Provinzwanderausstellung in Trier, wo sie den Ehrenpreis erhielten. Jetzt wird eine Weihnachtsausstellung in Hermeskeil veranstaltet, um die Neuhüttener Holzspielwaren mehr bekannt zu machen und ihren Absatz zu heben.“ (Echo des Siebengebirges vom 10. Dezember 1927).

Absatz der Produkte

Der Absatz der Produkte war ganz verschieden, je nachdem es sich um Bürsten oder Drechslerwaren handelte. Erstere wurden ausnahmslos von den Produzenten oder deren Frauen im Hausierhandel abgesetzt. Hierbei transportierten die Frauen die Waren in Körben auf dem Kopfe, während die Männer zum Transport sich einer „Hotte“ bedienten. Im Gegensatz hierzu überließ der Drechsler den Absatz seiner Waren einem berufsmäßigen Hausierer, indem er diesem seine Ware verkaufte. Als Absatzgebiete kamen sowohl für Bürsten- als auch für Drechslerwaren der Hunsrück, das Moselland, die südliche Eifel, das Saarland und auch noch die nördliche Pfalz in Frage. Das Saarland war hauptsächlich Abnehmer für Rechen. Sie wurden in größeren Mengen - meist 50 Stück - auf dem Kopf dorthin transportiert und an die Geschäfte direkt verkauft.

Arbeitskräfte und Verdienst

Im Jahre 1932 wurden Holzbearbeitung und Bürstenmacherei noch von 40 Personen hauptberuflich als Heimarbeit betrieben, und zwar in Damflos von 22, in Thiergarten von 12, in Abtei von 4 und in Bierfeld von 2 Personen. Als Heimarbeiter betätigten sich in erster Linie Männer. Frauen und Kinder halfen nur gelegentlich mit und zwar bei der Herstellung der einfacheren Gegenstände; ausgesprochene Kinder- oder Frauenarbeit gab es nicht. Eine besondere Ausbildung als Drechsler oder Bürstenmacher gab es ebenfalls nicht; alle Handgriffe erlernte der Sohn vom Vater in dessen „Werkstatt“. Als Arbeitsstätte diente dem Heimarbeiter ein Wohnraum, der oft zugleich auch Küche war. Werktäglich wurden durchschnittlich 10 Stunden gearbeitet.

Der Verdienst war an unseren heutigen Verhältnissen gemessen mehr als bescheiden; für die damaligen Notzeiten bedeutete es schon sehr viel, sich so viel erarbeiten zu können, dass die meist recht große Familie der Sorge ums tägliche Brot enthoben war. Bürstenmacher und Drechsler kamen im Jahre 1932 auf einen durchschnittlichen Monatsnettoverdienst von 140.- Mark; zum Vergleich: ein Pfund Rindfleisch kostete damals etwa 1.- Mark.

Das Einkommen des Heimarbeiters lag etwa auf der gleichen Höhe wie das des Kleinbauern und auch des Industriearbeiters, der als „Saargänger“ Arbeit im saarländischen Industrierevier gefunden hatte. Nach einer Untersuchung (1928/29) der Einkommensverhältnisse rheinischer Kleinbauern (,,Die rheinische Landwirtschaft“, Bonn 1930) mußssen damals 72 % aller Betriebe schwer um ihre Existenz ringen; die errechneten bäuerlichen Stundenlöhne lagen bei 20 bis 25 Pfennig (Pf). Die Einkommensverhältnisse der Heimarbeiter hingegen werden von der Bürgermeisterei Hermeskeil 1932 mit folgenden Stundenlöhnen angegeben: Holzarbeiter (Drechsler) 53 Pf, Bürstenmacher 50 Pf, Nagelschmiede 41 Pf, Gemeindearbeiter und Waldarbeiter 40 - 45 Pf. Das Einkommen der Saargänger erscheint auf den ersten Blick gegenüber diesen Stundenlöhnen sehr hoch; sie verdienen 1931/32 zwischen 63 und 75 Pf. Dabei muss aber gesehen werden, dass der Saargänger für getrennte Haushaltsführung (am Wohnort und am Arbeitsort) sowie für Fahrtkosten höhere Aufwendungen hatte.

Niedergang der Hausindustrie

In den Jahren großer Not um 1930, als viele Saargänger arbeitslos wurden und von wenigen „Stempelgroschen“ leben mussten, war es vielfach der Nebenverdienst aus der Bürstenmacherei und Drechslerei, der die Saargängerdörfer Damflos, Thiergarten und Abtei vor einer Verelendung bewahrte. Wie groß die Not war, zeigt uns ein Bericht aus dem Jahre 1930 an die Regierung, in dem am Beispiel der Gemeinde Damflos festgestellt wird: „Damflos hat 552 Einwohner, die sich auf 110 Haushaltungen verteilen. Von den 110 Haushaltungen werden 103 von Saargängem ernährt. Von diesen Industriearbeitern sind nun schon 76 entlassen; hinzu kommen noch 68 junge Männer, die bisher überhaupt noch keine Arbeit haben finden können. Bedenkt man weiterhin, dass diese Gemeinde bereits 30.000.- Mark Schulden hat, dann erscheint die Lage dieses Dorfes hoffnungslos!“

Als diese wirtschaftliche Not Mitte der 30er Jahre auch auf dem Hochwald überwunden war, die Menschen anderweitig und anderswo besseren Verdienst fanden, war auch das Ende der Hausindustrie, der Bürstenmacherei und Drechslerei, in den Hochwalddörfern gekommen.

Erstveröffentlichung in RuH Nr. 12/1979