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Rund um Hermeskeil
Ausgabe 41/2023
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Die Zeit war noch nicht reif

Vor 30 Jahren: Große Aufregung beim 1. Hermeskeiler Kulturherbst

Genau 30 Jahre ist es her, dass ein modernes Kunstwerk in unserer kleinen Stadt für große Aufregung sorgt. Es ist Anfang Oktober 1993, als der im Jahr zuvor neu gegründete städtische „Arbeitskreis Kultur“ ein anspruchsvolles Programm für den 1. Hermeskeiler Kulturherbst präsentiert: Zehn Tage lang folgt eine Veranstaltung der anderen und es sind hochkarätige Kunstschaffende dabei wie z.B. der Dramatiker Rolf Hochhuth, das „Frankfurter Fronttheater“, der Pantomime JOMI, das „Chaostheater Oropax“ oder die „Cantores Trevirensis“.

Für ein als besonderer Höhepunkt geplantes Werk, nämlich eine „Skulptur für Hermeskeil“, die möglicherweise dauerhaft an ihrem Platz stehen soll, ist die Zeit vor 30 Jahren aber noch nicht reif. In der Nähe der Erzbergkapelle ist am Sonntag, den 3. Oktober 1993 das vor Ort konzipierte Werk des in Deutschland schon recht bekannten Künstlers Thomas Poggenhans aufgestellt worden. Wie die damalige Stadträtin und stellvertretende Vorsitzende des Arbeitskreises Dr. Ingeborg Schnettler, eine Kunsthistorikerin, erläutert, bildet es zusammen mit der Kapelle und dem großen weißen Holzkreuz ein Ensemble, das nicht durch Gegensätze, sondern durch Korrespondenzen wirke und einen homogenen und ausgeglichenen Eindruck mache. Die Skulptur besteht aus einem in die Erde eingelassenen U-förmigen Eisen, in dem durch drei waagerechte Wellen ein Flacheisen befestigt ist, das 13 Meter in den Himmel ragt. Durch die Führung über die mittlere Welle erhält das Flacheisen nach außen einen leichten Schwung (RuH Nr. 40/1993) und soll so eine menschliche Wirbelsäule symbolisieren.

Doch wie lautet die bekannte Hausmeisterfrage: „Ist das Kunst oder kann das weg?“ Mancher Hochwälder tut sich schwer damit, in einem Gebilde aus rostigem Eisen ein Kunstwerk zu erkennen. Schon eine Woche nach dem Bericht über die Aufstellung der Skulptur startet RuH-Redakteur Bernd Backes (Gusenburg) eine Diskussion, als er in einem Kommentar schreibt: „Vielleicht ist Kunst wirklich nichts für einfache Leute wie mich, eher was für Intellektuelle, Hochschulstudium und so. Also bleibe ich ein Kunstbanause, da kann ich noch stundenlang die Skulptur betrachten. Das Ding geht mir irgendwie nicht ab, es gelingt mir nicht, in dieses rostige Gebilde aus U-Eisen, Flacheisen und drei Bolzen etwas hinein zu interpretieren. Mein Versuch, die Kunst zu entdecken, ist gründlich in die Hose gegangen“ (RuH Nr. 41/1993).

Kunstlehrer Dr. Rainer Schnettler vom Gymnasium Hermeskeil geht damit eine Woche später unter der Überschrift „Kunst macht (auch) Mühe!“ hart ins Gericht: „Wer sich ehrlich und vorurteilsunbelastet bemüht, der wird langsam verstehen. Wer sich nicht bemüht, der wird auch nichts verstehen. Und wer nichts versteht, der muss gerade nicht damit prahlen und meinen, dies - vielleicht sogar noch auf die Zustimmung einer schweigenden Gruppe, auf ‚Volkes Stimme‘ hoffend - veröffentlichen zu dürfen… Gerade Zeitungsleute haben hier eine besondere Verantwortung und Verpflichtung und sollten nicht ihrem ‚gedruckten Nichtverstehen‘ das Vorurteil von der unverständlichen, womöglich scharlatanhaft sich gebenden Modernen Kunst verbreiten helfen. Denn so fordern sie Ablehnung von Kunst geradezu heraus, ja könnten sogar als Anstifter zu zerstörerischen Akten (Vandalismus an den der Öffentlichkeit gehörenden Kunstwerken) werden… Freuen wir uns doch, dass Kunst und Künstler uns ein so reiches Feld noch zu entdeckender Formen und Inhalte bereiten“ (RuH Nr. 42/1993).

Auch Stadtbürgermeister Albert Kampmann schaltet sich in die Diskussion ein und berichtet, er werde im Gespräch mit Bürgern „mit sehr konträren Meinungen konfrontiert“. Er zählt drei Punkte auf, die ihm wichtig erscheinen, weil darüber in der Öffentlichkeit diskutiert wird, wobei wie in solchen Fällen üblich wohl auch (falsche) Vermutungen angestellt werden: „1. Die Stadt hat dem Künstler die Möglichkeit gegeben, im Rahmen des Hermeskeiler Kulturherbstes eine 13 m hohe Skulptur zu erarbeiten und für diesen Zeitraum aufzustellen. 2. An den Kosten für das Fundament, die Baugenehmigung, die Materialien usw. hat sich die Stadt beteiligt. 3. Die Skulptur wurde nicht gekauft und es gibt keinerlei Verpflichtung seitens der Stadt zum Ankauf.“ Kunst sei nie unumstritten gewesen. Das verwendete Material, „rostendes Eisen“, sei bewusst gewählt, um deutlich zu machen, dass alles auf dieser Welt nur lebe, wenn es gleichzeitig verfalle. So wie die Natur sich verändere, der Mensch altere, so werde auch dieses Material nicht ewig bleiben, schreibt Kampmann und stellt abschließend die Frage, ob „eine Skuptur aus veredeltem Erz“ am Erzberg, wo früher nach dem Metall gegraben wurde, wirklich so fehl am Platz sei (RuH Nr. 44/1993).

In der selben RuH-Ausgabe ist der Leserbrief eines Hermeskeiler Bürgers veröffentlicht, der „aus zuverlässiger Quelle erfahren“ haben will, dass das Kunstwerk 30.000 DM kosten soll. Er schreibt: „Es ist eine Beleidigung der Hermeskeiler Bevölkerung gegenüber, uns dieses Ding als ‚Kunstwerk‘ verkaufen zu wollen. Glauben diese Leute wirklich, die Hermeskeiler wären Dummköpfe und würden für solch ein ‚Kunstwerk‘ solch eine große Summe zahlen?“ Seine Meinung: „Lasst dem Erzberg seine Ruhe und entfernt dieses Ding schnellstens, um des lieben Friedens willen.“

Mit dieser Leserzuschrift beendet RuH die Diskussion um das Thema. Ein weiterer Leserbrief, den ein Hermeskeiler mit Anschrift „zur Zeit Flughafen Frankfurt“, aber unter Verwendung eines wenig originellen Pseudonyms, was ihn leicht identifizierbar macht, eingesandt hat, ist sprachlich und grammatisch derart misslungen, dass die Redaktion ihn nicht veröffentlicht.

Das Thema „Skulptur am Erzberg“ taucht lediglich zwei Ausgaben später noch einmal auf, wo Redakteur Paul Gemmel - nicht ohne Ironie - einen interessanten Vergleich anstellt, wenn er schreibt, es gebe in Hermeskeil auch eine (von der Größe her unbekannte) Minderheit, der die Skulptur so gut gefalle, dass sie sie unbedingt auf dem Platz vor der Erzbergkapelle erhalten wolle. Mit Minderheiten könne der Stadtrat gut umgehen, was sich daran zeige, dass er mit dem Nachtragshaushalt für 1993 unter anderem den Bau einer Skaterbahn für 75.000 DM beschlossen habe, wodurch sich aber „die jetzt vorhandene gute Handvoll Skateboard-Fahrer nicht zu einer Hundertschaft erhöhen“ werde. Der Unterschied zur Skulptur sei halt nur, dass „wir in Hermeskeil offensichtlich mehr selbsternannte Kulturkritiker als Skateboard-Fachleute haben“ (RuH Nr. 46/1993)

Die „Skulptur für Hermeskeil“ findet schließlich ein trauriges Ende. Im Frühjahr 1994 wird sie entfernt und landet schließlich auf dem Gelände des Schmiedebetriebs im Industriegebiet, wo sie entstanden war. Was daraus geworden ist, ist nicht bekannt.

Nebenbei: Begleitend zu den Abendveranstaltungen finden im 1. Hermeskeiler Kulturherbst auch gut besuchte Workshops statt, von denen einer besondere Erwähnung verdient: Am Gymnasium erarbeitet Musiklehrer Andreas Steffens mit Schülern mehrerer Jahrgangsstufen das Kindermusical „Tabaluga“ von Peter Maffay. Die - eigentlich als einmalige Sache geplante - Aufführung im voll besetzten Musiksaal der Realschule ist so erfolgreich, dass das Ensemble das Stück gleich im Anschluss noch einmal spielen muss und damit über mehrere Monate in der näheren und weiteren Umgebung auf Tournee geht, wobei stets alle Hallen ausverkauft sind. (WIL-)

Bild 1

Die Freude über die Skulptur am Erzberg - hier der Künstler Thomas Poggenhans mit Stadtbürgermeister Albert Kampmann und Kunsthistorikerin Ingeborg Schnettler (links) nach der Einweihung am 3. Oktober 1993 - währte nicht lange. Anfang 1994 wurde das Werk wieder entfernt.

Bild 2

Der Stein des Anstosses, die Skulptur von Thomas Poggenhans