Am 22. Oktober 1943, also vor nunmehr 80 Jahren, veröffentlichte „Die Zeitung – Londoner deutsches Wochenblatt“1 den Bericht eines Luxemburgers, der mehrere Monate im KZ Hinzert verbracht hatte. Allein die unmittelbare Zeitnähe verleiht diesem Bericht eine besondere Authentizität. Unzensiert und ungefiltert schildert der Mann die unmenschlichen und bestialischen Gräueltaten, die sich vor der Haustür unserer nächsten Vorfahren abspielten und von denen diese – wie sie im Nachhinein sagten – angeblich nichts gewusst oder bemerkt hatten. Die Zeitung schreibt:
„Hinzert liegt nordöstlich2 von Trier, eine Stunde entfernt von Hermeskeil im Hunsrück. In Hinzert befindet sich ein Konzentrationslager, das nicht bekannt ist wie Dachau und Buchenwald, obwohl täglich die gleichen Bestialitäten geschehen. Der folgende Bericht über die Zustände in Hinzert stammt von einem Luxemburger, der auf Grund einer Denunziation verhaftet, von der Gestapo zwei Stunden lang mit Peitschen bearbeitet, dann in einen Keller gesperrt, wiederum ausgepeitscht und schliesslich nach Hinzert gebracht worden war. In seinem Bericht heisst es:
„Das Lager ist ein grosses Quadrat, das in zwei Teile geteilt ist. Auf einer Seite ist das SS-Lager, das mit allem modernen Komfort ausgestattet ist, mit Schwimmbad, Kino, Sportplatz, Gartenanlagen, Bädern, Kantine u.s.w. Auf der anderen Seite ist das Gefangenenlager.
Es besteht aus acht Baracken, die sich um einen Mittelhof und einen Teich gruppieren. Jede Baracke ist in zwei Räume geteilt. Die Möblierung besteht jeweils aus fünf Tischen und Bettgestellen in mehreren Etagen. Es ist übertrieben, die Holzkästen, die aufeinander geschichtet sind, Betten zu nennen. Sie sind zu niedrig, um sich darin zu bewegen, so niedrig, dass man bei der geringsten Bewegung mit dem Kopf an das Holzgestell darüber stösst. Aber das ist nur eine Kleinigkeit. In jedem Raum hausen 70 bis 90 Mann; ich war zusammen mit 81. Die beiden Räume der Baracke haben 16 Waschgelegenheiten, 4 Bäder und vier Aborte, von denen zwei in Ordnung waren. Ich weiss nicht, ob man versteht was das bedeutet: zwei Aborte für 160 bis 180 Mann, die fast alle ruhrkrank sind.
Nach der Ankunft musste ich drei Stunden um einen Hof rennen, der 60 mal 55 m gross ist. Am Ende war es kein Rennen mehr, sondern ein fortdauerndes Hinstürzen. Keine Rast, denn die SS passte auf, schlug und trampelte auf uns ein. Wir mussten über Mauern springen, mit dem Ergebnis, dass viele stürzten. Wenn jemand infolge eines Herzanfalls hinfiel, wurde er aufgelesen und vollbekleidet in das Wasser geworfen, um ihn zu „beleben“. Es gab keine Möglichkeit, sich und seine Kleider zu trocknen, gar keine. Der Lagerkommandant Sporenberg, ein Bruder des SS-Generals, ein Mann zwischen 50 und 55 Jahren, fragte jeden Ankommenden - er schrie mehr als er sprach -, warum er verhaftet war. Meinen Nachbarn fragte er, wie gross er sei und welche Länge sein Sarg haben solle. Als mein Nachbar nicht antwortete, spuckte ihm Sporenberg ins Gesicht.
Kurz nach der Ankunft bekamen wir die Haare geschnitten und den Kopf rasiert. Danach wurden unsere Kleider und alles sonstige Eigentum mit Ausnahme von Trauringen fortgenommen. Wir bekamen alte Uniformen, die kaum den Namen Lumpen verdienen: kein einziger Knopf war daran, sodass das kleinste Stück Draht ein Vermögen wert war. Ferner erhielten wir alte Schuhe -ganz alte -, deren innere Sohlen geborsten waren, mit vielen Löchern. Wir hatten kaum das Aussehen menschlicher Lebewesen.
Die schwarze Zelle
Ausgeplündert, rasiert und „eingekleidet“ wurde ich in die „schwarze Zelle“ gebracht. Das heisst, dass ich mich in einem Raum, ein mal anderthalb Meter, aufhalten musste, mit Wasser und Brot ernährt wurde und auf dem nackten Boden ohne Decke zu schlafen hatte. Zwei Tage lang wurde ich in Ruhe gelassen. Dann begann die Untersuchung, besser gesagt die Folterung von neuem. Ich kann nur sagen, es erfordert ausserordentliche körperliche Kraft und Mut, nichts zu gestehen.
17 Tage blieb ich in der schwarzen Zelle und jeden Tag wiederholten sich Fragen und Schlagen. Schlafen konnte ich nur auf den Knien, mit dem Kopf auf dem Boden, weil mein Rücken und Magen eine einzige schmerzende Wunde war. Schliesslich wurde ich ins Lager gesandt. Ich kam nach Baracke 2, wo mehrere Luxemburger waren, einige davon seit 14 Monaten. Wie in den anderen Baracken so waren auch hier Männer jedes Alters und Berufs, Geistliche, Professoren, Beamte, Fabrikanten und Arbeiter. Ihre Parole war: unbeugsam im Verhör, hilfsbereit gegen Kameraden.
Wir waren in drei Gruppen eingeteilt: das Aussenkommando, das ausserhalb des Lagers arbeitete, das Innenkommando, das, im Lager arbeitete, und die Gruppen, die Transporte vom Lager nach dem Bahnhof zu schleppen hatten. Die Arbeitsbedingungen waren schlimmer als Sklaverei sein kann. Es war ein langsamer Tod, dem nur Menschen mit ausserordentlicher Widerstandskraft entgehen konnten, Allein an Ruhr starben 30 bis 40 Menschen im Monat.“
(wird fortgesetzt)
1 „Die Zeitung“ war eine deutschsprachige Zeitung in London zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Sie erschien von März 1941 bis Juni 1945 in einer Auflage von durchschnittlich 15.000–20.000 und richtete sich hauptsächlich an Deutsche im Exil. Eine Dünndruckausgabe wurde auch in Übersee verkauft und von der Royal Air Force über Deutschland abgeworfen. Sie enthielt hauptsächlich Nachrichten über den Krieg und aus Deutschland. Laut der ersten Ausgabe vom 12. März 1941 war es die einzige freie und unabhängige deutschsprachige Zeitung in Europa, wenn sie auch allgemeinen englischen Zensurbestimmungen unterlag. Chefredakteur war bis Januar 1944 Johannes Lothar, danach Dietrich Mende. Für Die Zeitung schrieben u. a. Sebastian Haffner, Peter de Mendelssohn und Friedrich Feld (wikipedia).
2 Es muss natürlich „südöstlich“ heißen.